Heizen im Winter: Die Gasspeicher sind zu 70 Prozent voll
Reichen die Gasvorräte, um in einem kalten Winter die Wohnungen warm und die Industrie am Laufen zu halten? Darüber gibt es eine aufgeheizte Debatte.
Die unterirdischen Gasspeicher in Deutschland – wichtig für die Versorgung im Winter – sind tatsächlich nicht so voll wie vor einem Jahr. Augenblicklich sind sie zu gut 70 Prozent gefüllt. Vor einem Jahr waren es etwa 90 Prozent. Die Erdgasreserve muss für mehrere Monate reichen. Weil die russische Regierung seit ihrem Angriff auf die Ukraine 2022 kein Gas mehr liefert, spielen gut gefüllte Lager eine große Rolle, um im Winter die Wohnungen zu heizen und Industrieanlagen am Laufen zu halten.
Riskiert Katherina Reiche die Versorgungssicherheit? Zumindest in einem harten Winter, der durch die Klimakrise zwar unwahrscheinlicher, aber nicht unmöglich geworden ist, könnte es dem Speicherverband zufolge knapp werden. „Ein Füllstand von 70 Prozent reicht nicht aus, um die Versorgung in einem sehr kalten Winter zu gewährleisten“, erklärt die Initiative Energie Speichern, „selbst dann nicht, wenn die Gasspeicher in unseren Nachbarstaaten vollständig befüllt worden sind.“
Für den Fall sehr niedriger Temperaturen prognostiziert der Speicherverband eine Deckungslücke ab Januar 2026. Weil sie dann voll ausgelastet seien, wären auch die LNG-Terminals nicht mehr in der Lage, Importe und Lieferungen zu steigern.
Wirtschaftsministerin Reiche könnte tätig werden und die Organisation Trading Hub Europe (THE) beauftragen, noch schnell größere Mengen Gas einzuspeichern. Damit trägt aber auch der Staat das Verlustrisiko, was Reiche wohl vermeiden will.
Die Gashändler rechnen nicht mit Knappheiten
Der Teil der Gaswirtschaft, der nicht am Einlagern des Energieträgers in Speichern verdient, sieht die Lage ohnehin locker. „Wir sehen aktuell keine schlechte Befüllung“, schreibt der Verband der Gas- und Wasserstoffwirtschaft. Die Gashändler haben keinen Anreiz, die Vorgaben der Regierung freiwillig zu übertreffen, sie rechnen nicht mit steigenden Preisen – und auch nicht mit Knappheit.
Dass die Gaswirtschaft sich zurücklehnt, ist wohl auch eine Folge des politischen Kurses von Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne). In der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs ließ die Ampelregierung Anladestellen für Flüssiggastanker in Deutschland mit deutlichen Überkapazitäten bauen. Die staatlichen Investitionen in die fossile Infrastruktur führten zu starker Kritik von Klimaschützer*innen. Bislang sind die Anlagen kaum ausgelastet.
Die Gashändler haben also mehr Optionen als früher, um noch kurzfristig Gas einzukaufen, wenn doch mal nicht genug eingelagert wurde. „Das führt dazu, dass Gasspeicher relativ gesehen zur Sicherstellung der Gasversorgungssicherheit an Attraktivität verloren haben“, heißt es beim Wirtschaftsministerium.
„Die privaten Gashändler sind momentan überwiegend entspannt und sehen keine gefährliche Knappheit im kommenden Winter“, sagt Heiko Lohmann, Autor des Branchendienstes Energate Gasmarkt. Auch er meint: Ein wichtiger Grund sei das zu erwartende steigende LNG-Angebot. Für die Verbraucher könnte das allerdings Nachteile haben. „Sollte das gespeicherte Gas wegen einer anhaltenden Kältewelle oder anderer Ereignisse knapp werden, wird sich vermutlich genug LNG auch aus den USA beschaffen lassen“, sagt Experte Lohmann, „allerdings dann zu deutlich höheren Preisen als jetzt.“
Rückhalt von der Bundesnetzagentur
Rückhalt für ihr Abwarten bekommt Wirtschaftsministerin Reiche von der Bundesnetzagentur, die die zuständige Überwachungs- und Regulierungsbehörde ist. „Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil“, heißt es dort, „die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.“ Auch die Bundesnetzagentur verweist auf die neuen LNG-Terminals.
Bereits die Ampelregierung mit Robert Habeck als Wirtschaftsminister hatte in einem ihrer letzten Amtsakte Ende April 2025 die Regeln für die Speicher gelockert. Vorher galt: Die unterirdischen Kavernen müssen am 1. November einen Füllstand von 90 Prozent haben. Nun sind es nur noch 80 Prozent, unter bestimmten Umständen auch nur 70 Prozent. Die niedrigere Marke ist also bereits jetzt, knapp zwei Monate vorher, erreicht.
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