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Politische Entgleisung der USAEine Zerstörungsattacke auf das demokratische System

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die Meinungsfreiheit wird von der Trump-Regierung dezimiert, immer mehr linke, kritische Stimmen zensiert. Auch in Deutschland müssen wir die Warnsignale erkennen.

Es gibt sie noch, die Verteidiger der Meinungs- und Pressefreiheit. Hier in Los Angeles am 18.09.2025 Foto: J.W. Hendricks/reuters

E s ist beklemmend, dem Erfolg des autoritär-faschistischen Angriffs auf die US-­amerikanische Demokratie in Echtzeit zuzusehen. Der Überfall auf alle den Präsidenten kon­trollierenden und seine Macht einhegenden Institutionen hat nicht mit dem Attentat auf den rechten Aktivisten und organizer Charlie Kirk in Utah begonnen.

Die Einschüchterung von Medien, Universitäten, Nichtregierungsorganisa­tio­nen, Justiz und parteipolitischer Opposition bestimmte schon die Sprache des Trump-Wahlkampfs, war programmatisch niedergeschrieben im Project 2025, ist Gegenstand von Trumps Personalpolitik und unzähliger präsidialer Dekrete. Aber die Zerstörungsattacke auf das demokratische System ist seit der vergangenen Woche in eine neue Phase eingetreten.

„Radikal linke terroristische Netzwerke“ gehörten jetzt zerstört, sagt Trumps stellvertretender Stabschef Stephen Miller, assistiert von Vizepräsident J. D. Vance. Vom Vorgehen gegen George Soros’ Open Society Foundation und die Ford-Stiftung ist die Rede und davon, „die Antifa“ zur terroristischen Organisation zu erklären.

Je­de*r in der Regierung scheint dabei seine Rolle zu kennen – ob Pam Bondi an der Spitze des Justiz­ministeriums, Kash Patel an der Spitze des FBI oder jüngst ­Brendan Carr, von Trump eingesetzter Chef der Medienaufsichtsbehörde. Auf dessen Druck hin setzte in dieser Woche der ­Sender ABC die Show seines Late-Night-­Comedystars Jim­my ­Kimmel ab.

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Vorwand war eine bestenfalls unglückliche, aber harmlose Formulierung Kimmels zur Causa Kirk – tatsächlich konnte ja jeder nachlesen, dass Donald Trump selbst schon vor zwei Monaten, nach der angekündigten Absetzung der Late-Night-Show von Host Stephen ­Colbert, gefordert hatte, Jimmy Kimmel müsse der Nächste sein.

Jetzt schreibt Trump dasselbe über die ebenfalls Trump-kritischen Moderatoren ­Jimmy ­Fallon und ­Seth ­Myers. Er erklärt im Regierungsflieger nach Großbritannien: Sender, die Shows ausstrahlten, die ihn immer nur kritisierten, sollten ihre Lizenz verlieren. Da wird nicht einmal mehr Vertuschung versucht.

Warnsignale des Faschismus

Es geht längst nicht mehr um Logik, Wahrheit, Anstand oder das bessere Argument. Es geht ausschließlich um Macht. Die Verachtung von Regeln und von Institutionen, die für deren Einhaltung sorgen sollen, erleichtert das Ausüben von Macht; und sie lässt jene in Hilflosigkeit versinken, für die jene Regeln sowohl Rahmenbedingung als auch Zielvorstellung sind.

Wer ein System, in dem Opposition und checks and balances eine Rolle spielen, nicht nur zähneknirschend akzeptiert, sondern es ausdrücklich will, ist im Nachteil gegenüber jenen, die eine Gesellschaftsordnung der unkontrollierten Macht anstreben.

In den USA hat Charlie Kirks Tod viele seiner oft jugendlichen An­hän­ge­r*in­nen zutiefst getroffen. Ihre Trauer, vermutlich auch ihre Wut, ist ehrlich. So widerlich Kirks Positionen waren – als politischer Kommunikator hat er seine Zielgruppe erreicht, und als politischer Organisator hat er eine Bastion für Trump aufgebaut, wo MAGA vorher nicht präsent war.

Beides nutzt die Trump-Regierung jetzt schamlos aus, um ihren Feldzug auf dem Weg zu absoluter Macht siegreich zu beenden. Wer der posthumen Heiligsprechung Charlie Kirks Widerworte gibt, muss mit Repression rechnen.

Bitte nicht nachmachen

Fast in der gesamten Nachkriegszeit galt, dass kulturelle, gesellschaftliche und politische Entwicklungen in den USA mit einiger Verzögerung auch in Europa ankommen. Im aktuellen Fall sind sie längst da. Schon bejubelt die rechte Propagandaschleuder Nius die Drohgebärden der US-Regierung gegen den ARD-Korrespondenten Elmar Theveßen. Die AfD trauert um Kirk und entsendet Vertreter zur Gedenkfeier nach Arizona.

Längst sehen sich auch hier Menschen wie die TV-Journalistin Dunja ­Hayali einer Welle von Morddrohun­gen ausgesetzt, weil sie vollkommen korrekt darstellen, wie Charlie Kirk politisch agierte und wofür er stand – ohne auch nur im Ansatz seine Ermordung zu rechtfertigen.

Und CDU-Ministerin Karin Prien lässt zivilgesellschaftliche Organisationen untersuchen, die in den vergangenen Jahren vom Bundesprogramm „Demokratie ­eben!“ gefördert wurden. Der Vorwurf: links.

Es gibt einen Schluss, der aus der Beobachtung der rasanten Entwicklungen in den USA zu ziehen ist: Kräfte dieser Art dürfen niemals auch nur in die Nähe der Macht kommen, denn sie werden sie missbrauchen. Solange es noch Instrumente gibt, sie von den Kanzlerämtern, Präsidentenpalästen oder Staatskanzleien fernzuhalten, müssen sie genutzt werden – sonst kann es sehr schnell zu spät sein.

Die USA zeigen, dass eine solche Warnung nicht alarmistisch ist. Sie ist real.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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