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Aus für „Jimmy Kimmel Live“Die Nächte werden länger

US-Late-Nights waren einst freies Terrain für die ironische Selbstbefragung einer ganzen Gesellschaft. Das Ende von Kimmels Show ist ein Desaster.

Nahbar und zugleich scharfzüngig wie ein politischer Kommentator: Jimmy Kimmel Foto: Evan Vucci/ap/picture alliance

Als Johnny Carson 1962 mit seiner „Tonight Show“ anfing, gewöhnte er den USA eine intelligente, unterhaltsame Leichtigkeit an, die zur TV-Tradition wurde: Carson brachte mit hochgezogener Augenbraue das Land zum Kichern, David Letterman erhob die Pause zur Kunst und Jon Stewart verwandelte den Eröffnungsmonolog zum moralischen Kommentar. Die Nacht im US-amerikanischen Fernsehen war eine Art demokratischer Schutzraum, in dem die Menschen auch über Dinge lachen durften, die schmerzen. Die Moderatoren prallten mit Ironie auf die Welt, weil ihnen die Welt nicht egal war, sondern am Herzen lag.

Jimmy Kimmel ist unter den aktuellen Late-Night-Talkern vielleicht der mit dem größten Herz. Der Mann kann aus einem Gag heraus in eine Empfindung kippen, die tief und wahr ist, er verbindet alberne Spiele mit ernsthaften Appellen und findet so eine Balance, von der die meisten Moderatoren nicht einmal wissen, dass es sie gibt.

Kimmel war nie der glatteste unter den Late-Night-Größen, nie der eleganteste Conferencier mit makellosem Timing. Sein Genie liegt im Gegenteil: in der Mischung aus Derbheit und Verletzlichkeit, in der Fähigkeit, das Lachen gleich neben der Rührung zu platzieren. Er kann auf der Bühne kindisch sein, mit Streichen und mit schrägen Ru­briken wie „Mean Tweets“ – und im nächsten Moment die Kamera nutzen, um über das Herzleiden seines kleinen Sohnes zu sprechen. Da, wo andere eine Fassade errichten, lässt Kimmel bewusst Risse sichtbar.

Gerade diese Doppelgesichtigkeit macht ihn zu einem Ausnahmephänomen: nahbar und zugleich scharfzüngig wie ein politischer Kommentator. Seine besten Monologe verbinden den Zorn des Bürgers mit dem Witz des Komikers, seine Interviews leben von der Gabe, Stars zu entwaffnen, ohne sie zu entwürdigen.

Kimmel ist kein ironischer Intellektueller wie Colbert, kein show-manischer Charmeur wie Fallon. Er ist etwas Drittes: der Mann, der das Chaos der amerikanischen Gegenwart mit einem Schulterzucken, einem Seitenhieb und einem plötzlichen Ernst ins Bild bringt. Das Talent, scheinbar leichtfüßig über den Abgrund zu tänzeln, macht ihn zu einer der authentischsten Stimmen der Late Night.

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Die Sätze stehen da im Präsens, dabei war es das vorerst für Kimmel, seine Show wurde Donnerstag „ausgesetzt“, das klingt etwas freundlicher als „abgesetzt“, wie es die Show von Stephen Colbert ist. Doch beide Fälle sind ein grauenhafter Triumph für Donald Trump und ein Schlag gegen Ironie, Menschlichkeit, Spitzenunterhaltung und die Demokratie.

Colbert, der immer schon bewies, dass Unterhaltung und Haltung keine Gegensätze sind, war Trumps erstes Late-Night-Opfer, bei Kimmel reichte ein Monolog über den Mord an Charlie Kirk: Er kritisierte jene, die das Verbrechen politisch ausschlachten wollten, und hielt ihnen den sogenannten Spiegel vor. Was Late Night schon immer war, nämlich kluge, zugespitzte Reflexion, wurde ihm zum Vorwurf. Senderketten wie Nexstar verweigerten die Ausstrahlung, die Aufsichtsbehörde FCC drohte und ABC setzte seine Show aus. Auf unbestimmte Zeit, wie es offiziell heißt.

Dass diese Aus- und Absetzungen Entscheidungen von ganz weit oben sind, bewies Trump mehr oder weniger selbst, als er Ende Juli auf seiner Plattform schrieb, er weise jede Verantwortung für Colberts Absetzung von sich – nur um einen halbgaren Satz später Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon als „die nächsten im unbegabten Late-Night-Karussell“ zu verspotten und sich für ihren möglichen Untergang eine Mitverantwortung zu wünschen. Das liest sich heute wie eine Bestellung.

Das Late-Night-Format war einst das freie Terrain für den respektlosen Witz und die ironische Selbstbefragung einer ganzen Gesellschaft. Kimmels Sendung ist keine reine Unterhaltung, sondern eine Kulturtechnik der Demokratie.

Dass er seiner Show beraubt wird, ist mehr als ein medienpolitischer Zwischenfall. Es ist ein Desaster. Denn ohne die Ironie, ohne die satirische Selbstbefragung werden die Nächte lang und länger. Bis am Ende alles von der Dunkelheit verschluckt wird.

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