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Politologe über Wahlen in Moldau„Viele sehen Russland als großen Bruder“

Wegen der Parlamentswahlen steht Moldau im Fokus russischer Desinformation. Politikwissenschaftler Andrei Curăraru über den Kampf gegen Manipulationen.

Die EU unterstütze Moldau beim Kampf gegen Fake News, sagt Curăraru Foto: Guillaume Herbaut/Agence VU/laif
Clara Engelien
Interview von Clara Engelien

taz: Herr Curăraru, beim Think Tank Watchdog.md analysieren Sie täglich russische Desinformation. Ende des Monats wird bei Ihnen in der Repu­blik Moldau das Parlament gewählt. Was für Desinformationen sind Ihnen diesbezüglich begegnet?

Andrei Curăraru: Wir sehen eine Welle von Desinformationen, die mit KI Swaps arbeiten. Dabei wird das Gesicht einer Person in einem Bild oder Video durch ein anderes Gesicht ersetzt und es heißt zum Beispiel, Hunderte Moldauer würden an die ukrainische Front geschickt, wenn die proeuropäische Maia Sandu gewinnt. Oder es wird verbreitet, Moldau würde zu einem atheistischen Land. Oder, dass LGBTQI-Bildung in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werde. Wir haben bis zu 100 wiederkehrende Narrative gezählt.

taz: Lassen sich die Botschaften der Desinformationen zusammenfassen?

Curăraru: Es gibt fünf Hauptnarrative: Erstens, die jetzige Regierung ist korrupt und alle EU-Gelder werden verschwendet. Zweitens, die europäische Integration ist ein Schwindel, wir werden niemals Teil der EU. Drittens Moldau verärgert Russland und provoziert es zum Krieg, oder ist ein Stellvertreter der Nato und wird deshalb in den Krieg verwickelt werden. Viertens, die europäische Integration wird unsere traditionellen christlichen Werte zerstören. Und fünftens, die Exportmöglichkeiten Moldaus nach Russland sind weitaus wichtiger als der europäische Markt.

Im Interview: Andrei Curăraru

Andrei Curăraru hat 2016 den unabhängigen Think Tank Watch­Dog.md mit Sitz in Mol­daus Hauptstadt Chișinău mitbegründet. Der Politikwissenschaftler hat als politischer Sicherheitsberater gearbeitet und an der Uni gelehrt. Auch heute schreibt er Positionspapiere für die Regierung und ist an der Entwicklung na­tio­naler Sicherheitsstrategien beteiligt.

taz: Die Republik Moldau ist seit letztem Sommer EU-Beitrittskandidat, Präsidentin Maia Sandu hat die Verhandlungen mit der EU oben auf die Agenda gesetzt. Was steht aus Ihrer Sicht bei den Wahlen am 28. September auf dem Spiel?

Curăraru: Es ist ein Quo-vadis-Moment für Moldau: Die Parlamentswahlen sind entscheidend für unsere europäische Zukunft. Unsere Nachbarn Rumänien und Bulgarien wurden aufgenommen, nachdem ihre Justiz viele Jahre geprüft wurde, ähnlich könnte es auch in Moldau laufen. Eine Präsidentin allein kann aber nicht sicherstellen, dass die europäische Politik umgesetzt wird, die Verhandlungen im gleichen Tempo weitergehen. Wir brauchen dazu das Parlament. Wenn Moldau diese Chance verpasst, drohen uns Verhältnisse wie in Georgien: Ein autoritärer Staat, wo die Regierungspartei die Rechtsstaatlichkeit völlig missachtet, wo es keinerlei Garantien mehr für die Zivilgesellschaft gibt und die Abhängigkeit von Russland größer ist denn je.

taz: Sind die Medien Russlands größte Waffe gegen Moldau in der hybriden Kriegsführung?

Curăraru: Ich würde sagen, dass es früher so war. Heute ist das Gefährliche das Geflecht aus Stimmenkauf und Desinformation im Netz bei gleichzeitiger Ausnutzung traditioneller Führungspersönlichkeiten wie Priester oder Lehrer, die Desinformationen verbreiten.

taz: Wie steuern Sie bei Watchdog der Verbreitung von Desinformation entgegen?

Curăraru: Wir analysieren Tausende von Beiträgen und Videos und versuchen diejenigen zu identifizieren, die viral gehen, also innerhalb kürzester Zeit extrem häufig aufgerufen werden und viele Interaktionen erzeugen. Wir versuchen, sie vorab zu speichern und sicherzustellen, dass sie, sobald sie an die breite Öffentlichkeit gelangen, zumindest mit einem faktenbasierten Kommentar versehen sind. Wir sind auch im Fernsehen und im Radio präsent, um so insbesondere ältere Menschen zu erreichen, die für Desinformation anfälliger sind.

taz: Laut dem Nationalen Sicherheitsrat Moldaus sind etwa 100 Millionen Dollar aus Russland Richtung Moldau geflossen, um durch Propaganda und Stimmenkauf das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Curăraru: Ich halte diese Einschätzung für realistisch. Sie stützt sich auf Informationen, die von Sonderdiensten und aus der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern stammen. Auch das Ausmaß des Stimmenkaufs passt zu solchen Summen. Letztes Jahr zum Beispiel wurden 140.000 Stimmen gekauft, wobei jede dieser Personen zwischen 20 und 50 Euro erhielt. Es summiert sich einfach.

taz: Bei den Präsidentschaftswahlen in Rumänien war Manipulation speziell auf Tiktok maßgeblich für den Wahlerfolg des prorussischen, ultrarechten Kandidaten Georgescu im ersten Wahlgang. Gibt es eine Plattform, die Ihrer Einschätzung nach in Moldau derart genutzt wird?

Curăraru: Die Präsenz von uns Moldauern ist auf Tiktok nicht so groß wie die der Rumänen. Für schriftliche Beiträge ist Telegram die bevorzugte Plattform. Auch auf Facebook sind Desinformationen sehr präsent. Im letzten halben Jahr haben wir nicht gekennzeichnete politische Werbung im Wert von mehr als einer halben Million Euro an Meta gemeldet. Die meisten dieser Meldungen blieben unbeachtet. Einige Fernsehsender wurden in Moldau verboten, weil sie Inhalte sendeten, die den Krieg in der Ukraine verherrlichen. Die sind jetzt einfach ins Internet umgezogen. Wir haben nur begrenzte Möglichkeiten, auf alles zu reagieren, es ist auch ein teures Unterfangen. Ein kleines Land wie Moldau hat gegenüber diesen Plattformen, deren Budgets oft größer sind als unser eigenes Bruttoinlandsprodukt, keine große Verhandlungsmacht.

taz: Wie kooperativ sind die Plattformen?

Curăraru: Früher hatten wir ein gutes Verhältnis zu Meta und Google, erhielten Rückmeldungen zu unseren Berichten. Das hat sich jetzt geändert. Seitdem Washington zum Paradigma der „freien Meinungsäußerung“ übergegangen ist, anstatt Desinformationen zu bekämpfen, beantworten sie unsere E-Mails nicht mehr. Auch mit Tiktok ist die Kommunikation schwieriger. Sie ziehen es vor, mit Strafverfolgungsbehörden zu sprechen, vermutlich aufgrund ihrer Herkunft aus China.

taz: Was ist Ihrer Meinung nach der Schlüssel zum Aufbau von Resilienz gegenüber Manipulation?

Curăraru: Viele Formen der Desinformation manipulieren unsere Emotionen. Wenn man den Menschen in Deutschland sagen würde, Russland würde kostenloses Gas liefern, wären wohl alle weniger geneigt, das zu glauben. Aber in Moldau ist die Nostalgie groß. Viele Menschen sehen Russland als einen großen Bruder, der uns helfen will, und glauben solche Geschichten, obwohl sie bei jeder Wahl in Moldau wiederholt werden. Zentral sind auch Mittel für unabhängige Medien. Ich würde sagen, dass sich das Blatt bei der letzten Wahl in der zweiten Runde auch durch einen investigativen Bericht gewendet hat, in dem ein Journalist in einen Offshore-Bestechungsring eingeschleust wurde. Er hat mit versteckter Kamera gefilmt, wie Personen für prorussische Proteste bezahlt wurden. Das hat für Entsetzen gesorgt. Dass diese Stimmen gehört werden, ist für eine demokratische Gesellschaft unerlässlich.

taz: Wie beurteilen Sie generell die Unterstützung der EU, wenn es darum geht, Falschinformationen zu bekämpfen?

Curăraru: Die Experten aus der EU sind oft schockiert über das Ausmaß der Desinformation und die Geldsummen, die nach Moldau fließen. Aber wir sehen ein starkes Engagement, lokale Initiativen hier zu finanzieren, die dagegen kämpfen, und der Regierung bei den Verhandlungen mit den sozialen Netzwerken zu helfen, um die Welle der Desinformation, die auf uns zukommt, einzudämmen.

taz: Die Präsenz europäischer Spit­zen­po­li­ti­ke­r:in­nen war zuletzt groß in Ihrem Land. Als Moldau am 27. August seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion feierte, kamen etwa Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Donald Tusk, um Präsidentin Maia Sandu zu unterstützen und für die EU zu werben. Ist all das nicht auch Einflussnahme?

Curăraru: Sicherlich hat ihr Besuch Auswirkungen auf die Wahlen. Der Unterschied liegt in der Transparenz, der Legalität und den angekündigten Zielen der EU, die im eigenen Interesse Moldaus liegen: Mit EU-Geldern werden Straßen gebaut, Arbeitsplätze geschaffen, Unternehmen bei der Steigerung ihrer Exporte in die EU unterstützt. Was wir von Russland sehen, ist Geld, das zur Unterstützung der abtrünnigen Region Transnistrien und zum Kauf von Stimmen geschickt wird, das war’s. Ein Partner, die EU, unterstützt uns bei unserer Entwicklung, während ein anderer Partner uns ins Chaos stürzt. So schwarz-weiß ist die Lage.

taz: Was bedeutet das mit Blick auf den Krieg in der Ukraine?

Curăraru: Wir machen uns keine Illusionen darüber, dass Moldau verloren ist, wenn russische Soldaten die ukrainische Region Odessa erreichen. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Krieg und Besetzung seitens Russlands, und es gibt Unterstützung seitens der EU. Für uns ist es so einfach.

taz: Gehen Sie davon aus, dass es trotz all der Desinformation eine Chance für ein demokratisches Wahlergebnis gibt?

Curăraru: Wir führen unsere eigenen Umfragen durch. Wir wollen unabhängige Umfragen, soziologische Umfragen. Was wir sehen, ist, dass es immer noch eine geringe Chance für einen Sieg der proeuropäischen Seite gibt. Der Schlüssel liegt darin, die Diaspora zu mobilisieren und zu motivieren, diese Wahl zu retten, wie sie es auch bei der letzten Wahl getan hat, um die Stimmen, die durch Bestechung zustande gekommen sind, auszugleichen. Der Druck aus Russland ist stark, aber nicht so stark, dass wir diese Wahl nicht noch gewinnen könnten.

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