Explodierende Gesundheitskosten: Wie war das mit der Würde des Menschen?
Ein Klinikkonzern-Chef stellt medizinische Behandlungen im Alter infrage. Was die Finanzlage der Kassen angeht, gibt es bessere Ideen.

T homas Lemke, Chef der Klinikengruppe Sana, möchte Geld sparen. Seine Idee: „Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir in jeder Lebensphase, in der die Menschen sind, und da rede ich jetzt auch von 80 aufwärts sozusagen, diesen Menschen am Ende des Tages die vollumfängliche Medizin zukommen lassen“, sagte er im Podcast „Table Today“. Als Beispiele nannte er künstliche Hüft- und Kniegelenke. Die Sana AG ist der drittgrößte private Klinikbetreiber Deutschlands.
Dass ältere Menschen bisweilen als eine sich wirtschaftlich nicht mehr lohnende Ressource betrachtet werden, zeigt, wie tief der Leistungsgedanke in unserer Gesellschaft verankert ist. So hatte 2003 Philipp Mißfelder, damals Vorsitzender der Jungen Union – er verstarb 2015 im Alter von 35 Jahren –, bereits infrage gestellt, ob 85-Jährige noch auf Kosten der Solidargemeinschaft künstliche Hüftgelenke bekommen sollten. Auch während der Coronapandemie kam die Diskussion auf, ob der Shutdown des öffentlichen Lebens zur Rettung der Älteren wirklich verhältnismäßig sei.
Dabei scheinen Menschen wie Lemke den ersten Satz des Grundgesetzes vergessen zu haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und Menschenwürde hat keine Altersbeschränkung. Zu einer Gesellschaft gehören alle Altersstufen, es sollte allen gut gehen. Kein:e über 80-Jährige:r nimmt eine Hüft-OP aus Spaß auf sich, sondern weil er oder sie unerträgliche Schmerzen hat.
Darüber hinaus erreichen mittlerweile viele Menschen auch das 90. oder sogar das 100. Lebensjahr, Tendenz steigend. Sollen sie dann Jahrzehnte mit Schmerzen und starken Bewegungseinschränkungen leben, nur weil sie nicht die nötigen Ersparnisse für einen solchen Eingriff haben? Kein empathischer Mensch kann dies befürworten.

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Unabhängig davon gibt es bessere Methoden, um die klammen Kassen des Gesundheitssektors zu befüllen. Wir hätten nämlich nicht so ein großes Finanzierungsproblem, wenn wirklich alle in die gesetzlichen Krankenkassen einzahlen würden – und Besserverdienende dort stärker zu Kasse gebeten würden und nicht zu den Privaten fliehen könnten.
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