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Explodierende GesundheitskostenWie war das mit der Würde des Menschen?

Eva Fischer
Kommentar von Eva Fischer

Ein Klinikkonzern-Chef stellt medizinische Behandlungen im Alter infrage. Was die Finanzlage der Kassen angeht, gibt es bessere Ideen.

Wäre Joe Biden Kassenpatient in Deutschland, dürfte er laut dem Sana-Kliniken-Chef keine neue Hüfte mehr bekommen Foto: Evelyn Hockstein / reuters

T homas Lemke, Chef der Klinikengruppe Sana, möchte Geld sparen. Seine Idee: „Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir in jeder Lebensphase, in der die Menschen sind, und da rede ich jetzt auch von 80 aufwärts sozusagen, diesen Menschen am Ende des Tages die vollumfängliche Medizin zukommen lassen“, sagte er im Podcast „Table Today“. Als Beispiele nannte er künstliche Hüft- und Kniegelenke. Die Sana AG ist der drittgrößte private Klinikbetreiber Deutschlands.

Dass ältere Menschen bisweilen als eine sich wirtschaftlich nicht mehr lohnende Ressource betrachtet werden, zeigt, wie tief der Leistungsgedanke in unserer Gesellschaft verankert ist. So hatte 2003 Philipp Mißfelder, damals Vorsitzender der Jungen Union – er verstarb 2015 im Alter von 35 Jahren –, bereits infrage gestellt, ob 85-Jährige noch auf Kosten der Solidargemeinschaft künstliche Hüftgelenke bekommen sollten. Auch während der Coronapandemie kam die Diskussion auf, ob der Shutdown des öffentlichen Lebens zur Rettung der Älteren wirklich verhältnismäßig sei.

Dabei scheinen Menschen wie Lemke den ersten Satz des Grundgesetzes vergessen zu haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und Menschenwürde hat keine Altersbeschränkung. Zu einer Gesellschaft gehören alle Altersstufen, es sollte allen gut gehen. Kei­n:e über 80-Jährige:r nimmt eine Hüft-OP aus Spaß auf sich, sondern weil er oder sie unerträgliche Schmerzen hat.

Darüber hinaus erreichen mittlerweile viele Menschen auch das 90. oder sogar das 100. Lebensjahr, Tendenz steigend. Sollen sie dann Jahrzehnte mit Schmerzen und starken Bewegungseinschränkungen leben, nur weil sie nicht die nötigen Ersparnisse für einen solchen Eingriff haben? Kein empathischer Mensch kann dies befürworten.

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Unabhängig davon gibt es bessere Methoden, um die klammen Kassen des Gesundheitssektors zu befüllen. Wir hätten nämlich nicht so ein großes Finanzierungsproblem, wenn wirklich alle in die gesetzlichen Krankenkassen einzahlen würden – und Besserverdienende dort stärker zu Kasse gebeten würden und nicht zu den Privaten fliehen könnten.

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Eva Fischer
Chefin vom Dienst
Jahrgang 1989; seit Anfang 2025 bei der taz, derzeit als Nachrichtenchefin und Chefin vom Dienst bei taz.de. Vorherige Stationen: u.a. EU-Korrespondentin in Brüssel beim Handelsblatt, Redakteurin für Internationale Politik beim Tagesspiegel, Redakteurin bei der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". Wirtschaftspsychologie-Studium mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie und dem Nebenfach Politikwissenschaft, Besuch der Holtzbrinck-Journalistenschule, gelernte Medienkauffrau Digital und Print beim Spiegel-Verlag.
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9 Kommentare

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  • Die Wettquote dürfte bei 100% liegen, daß:







    -> Hr. Lemke Privatversichert ist..







    Von daher ein schönes Beispiel wie sehr..und auf wie vielen Ebenen die *Zweiklassenmedizin* die Gesellschaft spaltet.







    Kurzum: wir brauchen ganz dringend ein Ende dieses Systems..auch damit solch zynische und Menschen verachtende Forderungen/Gedanken wie die von Hr Lemke mal aus deren privilegierten Köpfen verschwinden..

  • Der Aufschrei ist zunächst gross, doch beim genauen Hinsehen stellt man fast dass ähnliche Abwägungen längst getroffen werden (müssen).



    zB bekommen COPD Patienten (Raucher) grundsätzlich nicht Lungentransplantationen.



    Auch könnte man Wohlbefinden und Gesundheitswerte von vielen - gerade auch älteren - Patienten durch sehr häufige Bluttransfusionen verbesseren. Die Verwendung von Blutkonserven wird aber anders priorisiert.

  • Mieser Vorschlag. Gerade Dinge die die Lebensqualität erhalten sollten immer gemacht werden, auch wenn jemand nicht mehr lange hat. Man sagt jemand totkranken ja auch nicht das er jetzt schlechteres oder kein Essen kriegt weil er ja eh keine Energie mehr zum arbeiten braucht.

    Was in Deutschland überproportional lange durchgeführt wird sind die lebenserhaltenden Maßnahmen im Alter. Da hängen die Leute teils Jahre an den Maschinen und kriegen oft überhaupt nix mehr mit. Das ist teuer und irgendwo ziemlich würdelos. Sicher würdeloser als eine selbstbestimmte Hüft OP, denn bestimmen können die Leute meist längst nichts mehr, ihr Körper will auch nicht mehr, aber der Arzt...

  • Die Idee, dass Menschen gerade in der Lebensphase, in der sie voraussichtlich die meiste Hilfe verdienen und benötigen, "aus wirtschaftlichen Gründen" keine mehr bekommen sollen, ist absolut widerlich und zeigt, warum Kapitalismus in bestimmten Lebensbereichen, wie der Grundversorgung, verboten sein sollte.

    • @Leslie Gurkensalat:

      Auch ohne Marktwirtschaft in der Medizinversorgung müssen die Behandlungen irgendwie (d.h. im Endeffekt von irgendwem) bezahlt werden.

  • Wird zu einem beliebigen Thema geschrieben: Wir müssen sparen(!), dann wird auf keinen Fall über das Thema Sparen oder das watum oder wie diskutiert, sondern sofort umgedreht mit der Lösung: Wo ist das Pronlem, es muss bloß mehr Geld ins System. Egal ob das System gut oder schlecht funktioniert, zukunftsfähig ist, zeitgemäß oder richtig oder falsch. Mehr Geld! Lösung da!



    Ich denke, ideenloser und unispirierter geht kaum.



    Tipp: Mal als Journalist zum äußersten gehen, mit einem Arzt reden und fragen wer denn das System noch am Laufen hält.

  • Wen meinen Sie mit "alle" ?



    .....– und Besserverdienende dort stärker zu Kasse gebeten würden und nicht zu den Privaten fliehen könnten.--



    So weit ich weiß werden die Krankenkassenbeiträge der gesetzlichen nach Einkommen berechnet.



    Besserverdienende zahlen also mehr Beitrag.



    Es dürfte jedem klar sein dass die Beiträge bei den Privaten Kassen mit fortschreitendem Alter exorbitant steigen.



    Es hat sich schon vor einigen Jahren herausgestellt dass Privatversicherte im Alter oft kaum noch ihre Beiträge bezahlen können.



    Eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht für Selbstständige , nach tatsächlichem Einkommen, würde ich befürworten.



    Mit der Möglichkeit erweiterte Leistungen zu buchen , oder abzuwählen.



    Vorschläge wie Leistungen ab einem gewissen Alter zu streichen, kommen meist von Leuten die in solchen Angelegenheiten keine soziale Kompetenz haben.



    ODER



    Von Leuten die glauben es würde sie und ihre Angehörigen nie selber treffen.

  • Da verstehe ich den Herrn Lemke nicht, will er mehr unnötige OPs bei ganz jungen Leuten weil es da weniger Komplikationen gibt?



    Wieder ein gutes Beispiel dafür, das mit Gesundheit keine Rendite erzielt werden sollte. Lemke ist BWLer und war auch schon bei Ernst & Young, also ein Kaufmann mit Referenzen einer zwielichtigen Firma, da kommt Gesundheit und Würde bestimmt nicht an erster Stelle.

  • Es ist so zynisch, daß solche menschenrechtsverachtenden Gestalten wie Herr Lemke sich im Gesundheitsbereich eine goldene Nase verdienen können. Es hätte nie so weit kommen dürfen, daß Konzerne, die ausschließlich profitorientiert und ohne irgendeine Rücksicht auf ihr Personal und die Patienten agieren, in so großem Maß wie heute den Gesundheitsbereich dominieren.