Ukraine-Solidaritätsabend des PEN Berlin: Eigentlich hütet er Kühe, jetzt hält er die Waffe
Mit einer Veranstaltung wollte der PEN Berlin die Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine aufrecht erhalten – und gegen die Abstumpfung andenken.
Als Wolodymyr Jermolenko am Freitagabend im Haus der Berliner Festspiele seine Rede beginnt, setzt in der Ukraine die Nacht ein. Von deren Bilanz wird viele Stunden später zu lesen sein; 40 Raketen und 580 Drohnen hat Russland nach ukrainischen Angaben auf das Nachbarland abgefeuert. Drei Tote, Dutzende Verletzte. Eine normale Nacht in der Ukraine.
Auf diese allzu alltäglichen Verluste, mit denen fast jede:r Ukrainer:in (weiter)leben muss, spielt der ukrainische Philosoph und Schriftsteller Jermolenko auch in seiner Keynote an. „Die Hölle – das ist die Abwesenheit der anderen. […] Die Hölle, das ist die Abwesenheit von Anwesenheit“, wandelt er Jean-Paul Sartres berühmte Worte ab, um dann daran zu erinnern, gegen wen das russische Regime diesen Krieg auch führt: „Putin will, dass Europa verschwindet – nicht nur als politische Realität, sondern auch als Werterealität. […] Er will den Glauben Europas an sich selbst zerstören.“ Jermolenko, der auch Präsident des PEN Ukraine ist, wird mit Standing Ovations für seine Rede gefeiert.
Sie bildet den Abschluss eines Solidaritätsabends für die Ukraine, den der PEN Berlin im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Berlin ausrichtet. Der PEN-Berlin-Vorsitzende Deniz Yücel spricht zu Beginn über die Solidarität, die dort vonnöten sei, wo existenzielles Unrecht geschehe – und die sich keinesfalls nur auf Worte beschränken dürfe.
„Solange Tag für Tag ukrainische Zivilisten durch russische Angriffe sterben […], zählen im Zweifel ein paar Gebrauchtwagen oder ein Dutzend Generatoren und – natürlich, leider – eine Handvoll Panzer mehr als tausend Worte“, sagt Yücel. Der PEN Berlin hat Anfang 2023 Feuerwehrautos, Trinkwassertanks und anderes im Krieg benötigtes Material in die Ukraine an den Schriftstellerkollegen (und inzwischen ukrainischen Soldaten) Serhij Zhadan geliefert. Der sendet an diesem Abend eine Videobotschaft nach Berlin.
Mal Mut, mal Trauer
Mal macht diese Veranstaltung Mut, mal stimmt sie traurig. Die Schriftstellerinnen Katja Petrowskaja und Tanja Maljartschuk fragen sich, wie man die Aufmerksamkeit für den Krieg weiter aufrechterhalten kann. „Es passiert immer das Gleiche, und auch die Worte werden inflationär gebraucht“, sagt Petrowskaja. Auch Maljartschuk spricht über die Abstumpfung angesichts der Allgegenwart des Tods, „jeden Tag neue Gräuel“.
Sie erzählt eine Geschichte aus ihrer Heimatregion Iwano-Frankiwsk: Ein Mann, den sie aus der Kindheit kenne, habe sein Leben lang nichts anderes getan als Tiere gehütet – sechs Kühe, zwei Pferde. Nun sei er eingezogen worden, werde als Soldat gebraucht. Es sei vielsagend, dass dieser Mann, wahrscheinlich völlig ungeeignet für diese Aufgabe, nun vielleicht ein Gewehr in die Hand gedrückt bekomme: „Dieser Krieg ruiniert das Leben eines jeden Menschen in der Ukraine.“
Erinnern soll dieser Abend auch an Victoria Amelina, jene Journalistin und Schriftstellerin, die im Juni 2023 von russischen Bomben getötet wurde. Sie hatte sich in der Organisation Truth Hounds der Dokumentation der Kriegsverbrechen verschrieben, worüber sie auch in einem postum erschienenen Buch (aus dem die Schauspielerin Maren Eggert liest) berichtete. „Kein Rechtssystem ist imstande, die schiere Zahl der offenbar begangenen Straftaten zu bewältigen“, schrieb sie darin.
Es gibt aber auch leichtere Momente; gemeinsam mit dem ukrainischen Musiker Yuriy Gurzhy singt das Publikum etwa ein Lied über die Krim. Und Vassili Golod, ARD-Korrespondent für die Ukraine, erzählt eine Anekdote aus dem Jahr 2022, als er gemeinsam mit einem Kamerateam in einer ukrainischen Stadt Interviews mit Bewohner:innen führen wollte. Diese hätten auf ihre Anfrage hin erklärt: „Ihr seid aus Deutschland? Gebt uns erst Leopards, dann geben wir euch Interviews!“ Immerhin ist Deutschland über diesen Status des stetigen Zauderns hinweg.
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