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Provokationen für die Nato-StaatenFrom Russia with Fear

Anastasia Zejneli
Kommentar von Anastasia Zejneli

Angst ist Putins stärkste Waffe und die größte Schwäche des Westens. Doch obwohl die russischen Provokationen zunehmen, darf uns die Angst nicht mehr weiter lähmen.

Übt nicht erst seit gestern: Parade der russischen Luftwaffe am 9. Mai 2008 Foto: Andreas Herzau/laif

A ngst verkauft Bücher, Angst sitzt bei Markus Lanz. Angst lähmt, lässt das Herz schneller schlagen, kriecht ins Unterbewusstsein. Lässt einen träumen von Sirenen, Feuer und Raketen. Aber wer schweißgebadet aufwacht, kann nicht handeln, will sich verkriechen. Angst zu haben, ist menschlich. Und trotzdem ist es an der Zeit, sie zu überwinden.

Seit Beginn des Monats testet der Kreml die Luftabwehr der Nato. Russische Drohnen verletzen den polnischen Luftraum massiv, rumänische Behörden waren von Drohnensichtungen auf ihrer Seite der rumänisch-ukrainischen Grenze alarmiert, und am Wochenende drangen drei russische Jets in den estländischen Luftraum ein. Estland beantragt nach dieser russischen Provokation Beratungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Laut der Vereinbarung müssen sich alle Mitglieder nun zusammenfinden, um über weitere Schritte zu sprechen.

Das sollte uns sorgen und, ja, auch Angst machen: Acht Mal kam es zu solchen Beratungen seit der Gründung 1949, letztmals Mitte September nach den Drohnen in Polen. Zuvor hatte die Nato vor mehr als dreieinhalb Jahren beraten, am 24. Februar 2022.

Zwei Treffen in einem Monat zeigen: Russland übt massiven Druck aus. Und die Strategie der Nato geht nicht auf. Denn um Eskalation zu verhindern, spielen die Mitglieder die Angriffe herunter. Nato-Generalsekretär Mark Rutte vermied es, von einem gezielten russischen Angriff in Polen zu sprechen. Die Sorge vor dem sogenannten Bündnisfall des Nato-Vertrags ist groß. Nach dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ verteidigen laut Artikel 5 dann alle Mitglieder ein einzelnes Land; wenn es sein muss, auch militärisch.

Zeichen der Schwäche

Doch die Angst vor genau diesem Szenario lähmt die Bündnispartner und führt ironischerweise zu weiteren Eskalationen. Denn für Wladimir Putin ist Angst ein Zeichen der Schwäche. Er testet munter, wie weit er gehen kann.

Und Europa? Ist ein ratloses Opfer. Gewöhnt sich zu schnell an die neuen Eskalationsstufen und bleibt hängen in der Kriegsangst. Dabei muss das nicht die zwingende Folge sein. Nicht jede Form der Angst lähmt, aus ihr kann man auch Mut schöpfen. Greta Thunbergs „I want you to panic“ und die Fridays-for-Future-Bewegung versammelte 2019 mehrere Millionen Menschen weltweit auf der Straße. Die Klimaangst als Motor. Statt zu erstarren vor der Kriegsangst, sollte man besonnen handeln und zuhören.

Denn die baltischen Länder warnen nicht umsonst seit Jahren vor der steigenden Gefahr, die von Russland ausgeht. 42 Mal sei Estland in den letzten tausend Jahren von seinem russischen Nachbarn angegriffen worden, erinnert der Ex-General und Europaabgeordnete Riho Terras. Auch er hat nicht erst seit dem 24. Februar 2022 vor einem russischen Angriff auf Europa gewarnt. Doch die Angst lässt den Europäer stur und egoistisch werden.

Sichten Rumänen Drohnen über ihren Dörfern, ist das Grund zur Sorge; sind sie Teil eines massiven Angriffs auf kritische Infrastruktur in der Ukraine, sind sie schnell wieder vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Mit Angst lässt sich Profit machen. Und Politik: Rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte in Europa besinnen sich auf nationale Interessen und stellen finanzielle Hilfen an die Ukraine infrage. Sie bedienen die Ängste und Unsicherheiten der Bevölkerung, die seit Jahren leidet unter steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen und den Preis zahlt für die zunehmenden Militärausgaben.

Die deutsche Angst vor Veränderung, vor fehlender Sicherheit ist so berühmt, sie hat einen eigenen Namen. „German Angst“ ist Teil von uns und auch Teil von Europa. Wir müssen uns entscheiden, ob sie uns lähmt oder ob wir endlich ins Handeln kommen können.

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Anastasia Zejneli
Redakteurin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund, war Taz-Volontärin und arbeitet aktuell im Auslandsressort und bei Taz2. Schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
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