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Krieg in NahostGroßbritannien, Australien und Kanada erkennen Palästina an

Vor der UN-Generalversammlung steigt der Druck auf Israel. Die Bundesregierung erteilt einer Anerkennung Palästinas weiterhin eine Absage.

Woher der Wind weht: eine Palästina­-Flagge vor dem UN-Hauptquartier in New York Foto: Lev Radin/Pacific Press/picture alliance

Am Sonntagnachmittag kommen die Ankündigungen Schlag auf Schlag. Erst erkennen Australien und Kanada den Staat Palästina an, kurz darauf auch Großbritannien.

„Angesichts des wachsenden Horrors im Mittleren Osten handeln wir, um die Hoffnung auf Frieden und eine Zweistaatenlösung am Leben zu erhalten“, sagte der britische Premierminister Keir Starmer am Sonntag in einer Videobotschaft: „Vor über 75 Jahren haben wir einen is­rae­lischen Staat als Heimstätte für die Juden anerkannt. Heute erkennen wir auch einen palästinensischen Staat an.“

Bereits im Juli hatte Großbritannien diesen Schritt in Aussicht gestellt. Gleichzeitig hatte Starmer Bedingungen gestellt, wie die israelische Regierung ihn hätte vermeiden können, etwa eine Feuerpause, die Erlaubnis der Verteilung von Nahrungs- und Hilfsmitteln durch die UN und eine Verpflichtung zu einer Zweistaatenlösung. Doch Israel führt den Krieg unbeirrt weiter und baut die Siedlungen im Westjordanland aus.

Gleichzeitig kündigte Starmer an, Hamas-Führer in den kommenden Wochen zu sanktionieren – möglicherweise, um dem Vorwurf den Boden zu entziehen, dass die Anerkennung Palästinas die Terrorakte der Hamas belohnen würden.

Verurteilung der Hamas

Starmer betonte in seiner Rede außerdem die menschenunwürdige Behandlung der Geiseln und bezeichnete die Hamas als brutale Terrororganisation. Sie dürfe keine Rolle in einer zukünftigen palästinensischen Regierung spielen.

Mit Großbritannien und Kanada haben nun die ersten zwei G7-Staaten Palästina anerkannt. Die große Frage ist: Bringt dies nun die Wende?

Alle Augen sind jetzt auf die Zweistaatenkonferenz gerichtet, die am Montag, dem Vorabend der UN-Vollversammlung, in New York stattfinden soll. Dort wollen weitere Länder diesem Schritt folgen, da­runter auch Frankreich, das gemeinsam mit Saudi-Arabien die Konferenz leitet. Israels Pre­mier­minister Benjamin Netanjahu prangerte die Anerkennung eines Palästinenserstaats als Bedrohung der Existenz Israels an.

Die israelische It’s Time Coalition hingegen, ein Zusammenschluss aus jüdischen und palästinensischen israelischen Friedensaktivist*innen, unterstützt den Vorstoß. Die Anerkennung Palästinas sei eine historische Gelegenheit, sich „aus einer Todesfalle ins Leben zu bewegen, aus einem endlosen messianischen Krieg in eine Zukunft der Sicherheit und Freiheit für beide Völker“.

Allen Beteiligten – von Emmanuel Macron bis Keir Starmer, von der Palästinensischen Autonomiebehörde bis zur Hamas – dürfte klar sein: Auf die Situation vor Ort werden die diplomatischen Bewegungen in New York auf absehbare Zeit wenig Einfluss haben, weder auf die Weiterführung des Gaza­kriegs noch auf die Hungersituation – solange der Druck nicht auch aus den USA kommt.

Skandal vor UN-Vollversammlung

Und danach sieht es derzeit nicht aus, darauf deutet auch ein Skandal im Vorfeld der UN-Vollversammlung hin: Die USA verweigerten der palästinensischen Delegation die Einreise. Stattdessen wird Palästinenserpräsident Mahmud ­Abbas nun per Videoschalte an der Sitzung teilnehmen.

Hinzu kommt: Europa ist weit davon entfernt, in der Nahostfrage geeint zu sein. Die EU hat zwar immer wieder auf eine Zweistaatenlösung gedrängt, jedoch lange die Linie verfolgt, einen Staat Palästina erst dann anzuerkennen, nachdem ein solcher erfolgreich ausgehandelt wurde. Mit Schwedens Anerkennung Palästinas im Jahr 2014 begann diese Politik zu bröckeln. 2024 folgten einige andere europäische Länder: im Mai Spanien, Irland und Norwegen, im Juni Slowenien.

Die europäischen Schlüsselstaaten Deutschland und Italien hingegen erteilen einer Anerkennung Palästinas weiterhin eine Abfuhr. Friedrich Merz wird gar nicht erst zur Zweistaatenkonferenz anreisen und schickt seinen Außenminister vor, die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni ihren Vize Antonio Tajani.

Und doch: Ein gewisser Druck scheint bei Netanjahu anzukommen. Laut der europäischen Ausgabe von Politico setzt Israel derzeit alles daran, dass die französische Anerkennung Palästinas an die Freilassung der Geiseln geknüpft wird. Außerdem arbeite Netanjahu an mehreren Optionen, um auf die mögliche Anerkennung zu reagieren, etwa die Schließung des französischen Konsulats in Jerusalem und die Besetzung von französischem Territorium in Israel, schreibt Politico unter Berufung auf europäische Beamte.

Yehuda Shaul von der Organisation ofek, dem israelischen Zentrum für öffentliche Angelegenheiten, verweist auf den wachsenden Druck im UN-Sicherheitsrat auf die USA. Wenn dort die beiden ständigen Mitgliedstaaten Frankreich und Großbritannien Palästina anerkannt haben, stehen die USA als einziger ständiger Mitgliedstaat, der Palästina nicht anerkennt, isoliert da.

Auch innerhalb der USA zeige der steigende Druck, so Shaul gegenüber der taz, Auswirkungen. Eine Reihe von demokratischen Abgeordneten forderten US-Präsident Trump in einem Brief dazu auf, den Staat Palästina anzuerkennen. „Dies könnte der erste Schritt der Demokratischen Partei sein, ihre Haltung zu ändern und die Anerkennung Palästinas in Zukunft zu unterstützen“, so Shaul.

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1 Kommentar

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  • Nach aktuellen Umfragen lehnen 67 % der Franzosen und 90 % der Briten die sofortige und bedingungslose Anerkennung eines Staats Palästina ab. Wohl nicht zufällig sind in beiden Ländern die Regierungen gerade besonders erfolgreich und beliebt.