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Aktuelle Atomenergie-StatistikEine Technik von gestern

Bernward Janzing
Kommentar von Bernward Janzing

Gemessen an der gesamten Stromerzeugung geht der Anteil von Atomenergie zurück. Das zeigt: Auch wenn einige Länder neue Kraftwerke bauen – Atom hat keine Zukunft.

Die Sprengung der Kühltürme des ehemaligem AKW Grafenrheinfeld in Bayern am 16. August 2025 Foto: Dwi Anoraganingrum/imago

D ie Welt hat noch nie so viel Atomstrom erzeugt wie im Jahr 2024. Das zeigen die Zahlen des neuen „Nuclear Industry Status Reports“ des Atomkritikers Mycle Schneider. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die erzeugte Gesamtmenge gerade um einen halben Prozent höher lag als vor 18 Jahren. Die häufig zitierte Renaissance der Atomkraft lässt sich in diese Zahlen also kaum hineininterpretieren – zumal der Atomstrom relativ gesehen sogar erheblich an Bedeutung verliert; sein Anteil am globalen Strommix sinkt stetig. Selbst in China verlor die Atomkraft im Jahr 2024 Anteile am Strommix, weil die Erneuerbaren deutlich stärker ausgebaut wurden.

Nun gibt es zwar einige Länder, die in die Atomkraft einzusteigen planen (wie Polen), oder die alte Ausstiegspläne über den Haufen werfen (wie Italien). Aber auch diese Länder werden, sofern deren Konzepte überhaupt umgesetzt werden, den Bedeutungsverlust der Atomkraft nicht stoppen. Angesichts des Durchschnittsalters der Reaktoren werden zahlreiche Anlagen in den kommenden Jahren vom Netz gehen, denn 141 Blöcke sind 41 Jahre oder älter, 27 davon sind sogar mindestens 51 Jahre alt. Die reale Neubautätigkeit ist zugleich überschaubar: In elf Ländern werden gerade Reaktoren gebaut.

Dass es tatsächlich Staaten gibt, die sich erstmals oder abermals in das Abenteuer Atomkraft stürzen wollen, irritiert vor einem Hintergrund, den der neue Report ebenfalls aufzeigt: Der Umgang mit den Ruinen des Atomzeitalters ist extrem kompliziert. Ansonsten wären nicht von 218 weltweit inzwischen stillgelegten Leistungsreaktoren gerade 23 vollständig zurückgebaut. Und nur neun davon wurden aus der atomrechtlichen Aufsicht entlassen, womit die Standorte für eine weitere Nutzung freigegeben sind. Da sollte man hellhörig werden.

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Hinzu kommt, dass weltweit Finnland das erste Land überhaupt ist, das an der Schwelle steht, ein Endlager für abgebrannte Brennelemente fertigzustellen. Auch das zeigt, dass das Konzept Atomkraft selbst nach 70 Jahren praktischem Einsatz noch immer nicht zu Ende gedacht ist.

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Bernward Janzing
Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen.
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7 Kommentare

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  • I- n Finland wird demnächst ein neues AKW fertig. Baukosten: 20/Mrd €.



    - In Lubmin wird derzeit ein AKW rückgebaut, mit komplikationen. Momentaner (wohl weiter steigender) Kostenstand: 11 Mrd €.



    - Kosten für 1Mio Jahre sichere Lagerung des strahlenden Abfalls (unter den vollkommen ungewissen Bedingungen, die die Klimakatastrophe mit sich bringen wird): das berühmte große Fragezeichen..







    AKWs sind..und da sind sich die Experten einig, die mit Abstand teuerste Form der Stromerzeugung.







    Warum sich Staaten dennoch AKWs anschaffen wollen..?? Psst..sagen Sie es nicht weiter,.!! aber der einzig halbwegs rationale (?) Grund, ist wohl der damit einher gehende Zugang zu Waffenfähigem Plutonium..

    • @Wunderwelt:

      Der letzte Absatz: Könnte auch vom Verschwörungstheoretiker stammen, auch wenn, wie bei jeder VT, ein Fünkchen Wahrheit drinstecken könnte.

      Ansonsten, herzlichen Glückwunsch, auch den Klimawandel noch untergebracht. Aber das leider nur einseitig, denn wenn man Kohle- durch Kernkraftwerke ersetzen würde, sänken ja auch die Emissionen. Wer den Klimawandel also als bedrohlich ansieht, müßte die Kernkraft also zumindest differenziert betrachten.

      Aber es ist schon eine Krux für einen Anhänger der Grünen: Einerseits muß man wegen dem Klimawandel CO2-Emissionen schlecht finden,und andererseits, aus traditionellen Gründen, die Atomkraft...

      Und zuletzt: Es sei die teuerste Art der Energieerzeugung. Ich traue den Entscheidungsträgern in den Energieunternehmen durchaus zu, daß sie rechnen können. Wenn man also gegen Kernkraft ist, sollte man das so sagen, aber wir alle sollten uns nicht anmaßen, beurteilen zu können, ob irgendwas sich rechnet oder nicht. Da fehlt uns allen einfach das Know-how.

  • In Deutschland ist Atomkraft tatsaechlich eine Technik von gestern.



    Und da der Ersatz Kohle das Klima noch nicht genug verpestet ist Deutschlands Technik der Zukunft verfluessigtes Frackinggas. Mal schaun fuer was wir frieren wenn Trump den Gashahn zudreht. Fuer die Demokratie wahrscheinlich.

    Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten (zB die mit GAUs, USA, Ukaine und Japan) sind wir nicht bereit, fuer unseren Wohlstand und das Klima aller die notwendigen Risiken zu tragen - wir ruinieren stattdessen beides. Zum Glueck hat das bei aller Motzerei Deutschlands kein anderer Industriestaat nachgemacht. Man stelle sich mal vor, alle waeren von Atom zu Kohle und Gas gewechselt. So eine gruene Klimapolitik haette der Planet keine 100 Jahre ueberlebt - und dann interessierts auch keinen mehr ob man dafuer Atommuell fuer tausende von Jahren verhindert hat.

  • In China ist der Stromverbrauch pro Kopf von 2000 bis 2023 um 557% gestiegen. Um diesen enormen Bedarf zu decken, baut China massiv sowohl EE, aber auch (was gerne "vergessen" wird) Kohlekraftwerke und Atomkraft aus. China hat aktuell ca. 30 Atomkraftwerke im Bau und weitere 14 sind im Laufe des Jahres 2025 genehmigt worden. Im März 2024 ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) die vierte Unit an Atomkraftwerken in den kommerziellen Betrieb gegangen. Diese 4 decken mit insgesamt 5,6 GW ca. 25% des Strombedarfs der VAE. Auch China dürfte einen Anteil von ca. 25-30 % Strom aus Atomkraft anstreben. Bei dem enormen chinesische Zubau von Kohlekraftwerken in 2024 im Umfang von über 94 Gigawatt, lässt sich in Zukunft die CO2-Emission Chinas nur mittels Atomkraft überhaupt stabilisieren. Und: Bei den Kosten der Atomkraft müssen zum Vergleich die Systemkosten der volatilen EE gegenübergestellt werden. So bereits 2012 die Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenabschätzung im Auftrag des Umweltbundesamtes ("Kosten des Ausbaus erneuerbarer Energien: Eine Metaanalyse von Szenarien": S. 39). Von niedrigen Kosten der EE ist daher nicht mehr die Rede.

  • Ein wenig Sorgen bereitet mir die hier verbreitete scheinbare Verharmlosung der Ent wicklung der Atomkraft zur Stromversorgung schon: Schließlich sollte dieser Scheiß so schnell wie möglich beendet werden, wo doch niemand weiss, wohin mit dem strahlenden Restmüll, der auch in Gorleben fast endgültig (?) bleiben muss, weil es (noch?) keine Alternative gibt. Je länger solche Reaktoren laufen, umso größer das Problem. Eine nur noch strahlende Zukunft ist keine, zumindest für die Menschheit.

  • Da nach Tschernobyl und Fukushima der Neubau zum Erliegen kam, ist es nicht weiter verwunderlich dass die Atomstromproduktion weltweit seit 20 Jahren stagniert. Verlässliche Quellen braucht man aber, deshalb war die Folge ein starkes Anwachsen der fossilen Stromerzeugung. Den fossilen Ausbau nehmen Atomkraftgegner gerne in Kauf und verlieren kein Wort darüber; die Klimafolgen ihres Handelns sind ihnen egal.

  • "Atom hat keine Zukunft"?



    Abwarten.



    Solange die Erneuerbaren keine praktikable Lösung für langfristige Energiespeicherung anbieten können und das Problem entweder kleinreden (Batteriespeicher) oder gar völlig ignorieren, haben die AKW-Fans Aufwind. Leider.