Aktuelle Atomenergie-Statistik: Eine Technik von gestern
Gemessen an der gesamten Stromerzeugung geht der Anteil von Atomenergie zurück. Das zeigt: Auch wenn einige Länder neue Kraftwerke bauen – Atom hat keine Zukunft.

D ie Welt hat noch nie so viel Atomstrom erzeugt wie im Jahr 2024. Das zeigen die Zahlen des neuen „Nuclear Industry Status Reports“ des Atomkritikers Mycle Schneider. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die erzeugte Gesamtmenge gerade um einen halben Prozent höher lag als vor 18 Jahren. Die häufig zitierte Renaissance der Atomkraft lässt sich in diese Zahlen also kaum hineininterpretieren – zumal der Atomstrom relativ gesehen sogar erheblich an Bedeutung verliert; sein Anteil am globalen Strommix sinkt stetig. Selbst in China verlor die Atomkraft im Jahr 2024 Anteile am Strommix, weil die Erneuerbaren deutlich stärker ausgebaut wurden.
Nun gibt es zwar einige Länder, die in die Atomkraft einzusteigen planen (wie Polen), oder die alte Ausstiegspläne über den Haufen werfen (wie Italien). Aber auch diese Länder werden, sofern deren Konzepte überhaupt umgesetzt werden, den Bedeutungsverlust der Atomkraft nicht stoppen. Angesichts des Durchschnittsalters der Reaktoren werden zahlreiche Anlagen in den kommenden Jahren vom Netz gehen, denn 141 Blöcke sind 41 Jahre oder älter, 27 davon sind sogar mindestens 51 Jahre alt. Die reale Neubautätigkeit ist zugleich überschaubar: In elf Ländern werden gerade Reaktoren gebaut.
Dass es tatsächlich Staaten gibt, die sich erstmals oder abermals in das Abenteuer Atomkraft stürzen wollen, irritiert vor einem Hintergrund, den der neue Report ebenfalls aufzeigt: Der Umgang mit den Ruinen des Atomzeitalters ist extrem kompliziert. Ansonsten wären nicht von 218 weltweit inzwischen stillgelegten Leistungsreaktoren gerade 23 vollständig zurückgebaut. Und nur neun davon wurden aus der atomrechtlichen Aufsicht entlassen, womit die Standorte für eine weitere Nutzung freigegeben sind. Da sollte man hellhörig werden.

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Hinzu kommt, dass weltweit Finnland das erste Land überhaupt ist, das an der Schwelle steht, ein Endlager für abgebrannte Brennelemente fertigzustellen. Auch das zeigt, dass das Konzept Atomkraft selbst nach 70 Jahren praktischem Einsatz noch immer nicht zu Ende gedacht ist.
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