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Rich­te­rwahl und die LinkeAuf sie ist Verlass

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Linke zeigt anders als die Union, wie man Andersdenkende wählt. Viel hat sie davon allerdings nicht. Ein Vorschlagsrecht für die Richterwahl liegt in weiter Ferne.

Der „Linksruck“ der deutschen Justiz wird wohl erstmal ausbleiben müssen Foto: Uwe Anspach/dpa

W enn Bür­ge­r:in­nen erfahren, dass Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen von der Politik gewählt werden, sind sie meist entsetzt. Sie stellen sofort die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts in Frage und beklagen das Ende des Rechtsstaats. Nur ein Argument kann die besorgten Bür­ge­r:in­nen halbwegs beruhigen: Dass die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen schon immer von der Politik gewählt wurden und dass das Bundesverfassungsgericht dennoch ein hoch respektiertes Gericht geworden ist.

Eigentlich sind die Bür­ge­r:in­nen nur selten mit diesen Richterwahlen konfrontiert. Denn meist läuft alles glatt – und dann bringen die Medien allenfalls Kurzmeldungen. Zuletzt lief allerdings gar nichts geräuschlos und glatt. Anfang Juli fielen 50 bis 60 Re­bel­l:in­nen der CDU/CSU-Fraktion ihrer Fraktionsführung in den Rücken und verweigerten die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf.

Was für ein Chaos! Nicht die AfD oder die Linke waren dafür verantwortlich, sondern die CDU/CSU ließ die Verfassungsrichter-Wahlen platzen – weil gerade die neu gewählten Abgeordneten nicht verstanden, dass ein pluralistisches Verfassungsgericht nur zustande kommt, wenn man auch Vorschläge von anderen Parteien wählt. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erzwingt die Wahl der Andersdenkenden.

Dagegen hat die Linke nun gezeigt, auf wen Verlass ist. Ohne jede sichtbare Gegenleistung werden die Linken-Abgeordneten die noch fehlenden Stimmen liefern, so dass am Donnerstag die drei Rich­te­r:in­nen Günter Spinner (CDU-Vorschlag), Ann-Katrin Kaufhold (SPD-Vorschlag) und Sigrid Emmenegger (ebenfalls SPD-Vorschlag) mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden können – ohne dass es auf die Stimmen der AfD ankommt.

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Die Linke zeigt, wie man Andersdenkende wählt. Sichtbar wird nun aber auch, wie schlecht die Linke verhandelt hat. Nach der Bundestagswahl, bei der die FDP die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte, war klar, dass die Linke für die Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht wird. Üblicherweise erhalten die Parteien, die für diese Mehrheit nötig sind, Vorschlagsrechte für die Richterwahlen. Doch statt nun eines der sofort verfügbaren beiden Vorschlagsrechte der geschwächten SPD zu fordern, schielte die Linke auf die Nominierungsrechte der FDP – die aber erst wieder 2033 relevant werden.

Nun steht die Linke mit großem Herz und leeren Händen da. Die nächsten Verfassungsrichterwahlen im Bundestag sind erst 2031, dann scheidet die von der SPD vorgeschlagene Richterin Rhona Fetzer aus. Wer schlecht verhandelt, muss sich am Ende für seine Selbstlosigkeit feiern lassen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • In diesem Fall hat die Linke einmal Realismus gezeigt. Die CDU/CSU hätte nie und nimmer einem Vorschlagsrecht für die Linke zugestimmt.

  • Das ewige Problem: Anstand, Respekt und sinnvolles pragmatisches Handeln führen einen immer in den Nachteil gegenüber denen, die die Spielregeln brechen, oder nur für sich ausnutzen. Das erklärt auch die Machtverteilung im Bundestag.

    Bsp: die cdU mauert gegen die Veränderung der Schuldenbremse gegen die Ampel - um diese zu diskreditieren und egal, ob es dem Staat schadet. Sobald die cdU an der Macht ist, tun sie das und die anderen, die anständig und sachorientiert sind, stimmen zu statt jetzt ihrerseits die cdU hängen zu lassen => die cdU gewinnt.

    Wie im Spiel: wer ungestraft betrügt oder skrupellos die Regeln ausnutzt, der gewinnt gegenüber denen, die sich an die Regeln halten, oder sogar ohne Regeln fair spielen.

  • Das ist ja gerade das Irre an der aktuellen Situation:



    Die Union geriert sich als Hüterin der FDG.



    Und bekämpft dann diejenigen, die dafür Sorge tragen, das es funktioniert.



    Weil die Koalition es selbst nicht hinbekommt.



    Angefangen bei der unsäglichen Asyldebatte bis hin zur verpatzten Kanzlerwahl.



    Und damit kommt sie bei den Medien und dem Wahlvolk sogar noch durch.

    Das harte Druckmittel gegen die konstruktiven Demokraten: Die latente Drohung der Union im Zweifelsfall wieder mit der AfD zu stimmen.

  • Wenn die Wahlentscheidung des Volkes irgendeine Bedeutung hätte, müßte eigentlich die AfD, die doppelt so stark ist wie die Linke, von der verblichenen FDP ganz zu schweigen, ein Vorschlagsrecht für das Verfassungsgericht haben.

  • Welcher der drei aktuellen Kandidaten (m/w/d) gilt den im Sinne der die Linke als "andersdenkend"? Bei allen dreien dürfte es sich um sehr vermittelnde Persönlichkeiten handeln.

    Bedauerlicherweise hat die SPD nicht bereits bei der ersten Benennung so besonnen gehandelt.

  • Die Linke ist eben demokratie- und verfassungstreu, bei Teilen der Union kann man sich da mittlerweile nicht mehr so sicher sein.



    Nach den Schmähungen Spahns vom Wochenende hätte man es der Linken nicht verübeln können, wenn sie den Wahlvorschlägen nicht zustimmen würde.

    • @Flix:

      "[...]bei Teilen der Union kann man sich da mittlerweile nicht mehr so sicher sein. [...]"

      Bezüglich Brosius-Gersdorf halte ich es für wahrscheinlicher, dass "digitale Inkompetenz" die Ursache für die Ablehnung durch Teile der Unionsfraktion war, und nicht ideologische Gründe. Diverse Statements von Unionsabgeordneten legen das nahe.

    • @Flix:

      Achso, wenn die Linken dem Wahlvorschlag nicht zustimmen ist das Demokratie- und Verfassungstreu, bei der Union nicht?

      Soweit mir bekannt muss man in einer Demokratie NICHT allem zustimmen, sonst kann man sich die Wahlen auch sparen.

  • 1. Haben die Grünen auch "nicht verstanden, dass ein pluralistisches Verfassungsgericht nur zustande kommt, wenn man auch Vorschläge von anderen Parteien wählt", als sie die Wahl des von der Union nominierten Richters am Bundesverwaltungsgericht Segmüller im Vorfeld ablehnten, weil sie dessen Positionen für falsch hielten?

    2. Die Linkspartei ist bei näherem Hinsehen in einer weniger starken Position, als Christian Rath meint. Auf die Stimmen ihrer Fraktion kommt es nur deswegen an, weil die Anzahl ihrer Abgeordneten zusammengezählt mit den AfD-Abgeordneten mehr als ein Drittel der Mitglieder des Bundestages beträgt. Zur Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts wird eine Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen benötigt, nicht zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages (§ 6 Absatz 1 Satz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Wenn die Abgeordneten der Linkspartei sich enthalten, haben Union, SPD und Grüne eine Zweidrittelmehrheit, ohne dass es auf die AfD-Stimmen ankommt. Die Linkspartei kann die Wahl eines Richters nur blockieren, wenn sie gemeinsam mit der AfD gegen ihn stimmt. Aber das wäre schädlich für das antifaschistische Image der Linkspartei ("Brandmauer").