Richterwahl und die Linke: Auf sie ist Verlass
Die Linke zeigt anders als die Union, wie man Andersdenkende wählt. Viel hat sie davon allerdings nicht. Ein Vorschlagsrecht für die Richterwahl liegt in weiter Ferne.
W enn Bürger:innen erfahren, dass Verfassungsrichter:innen von der Politik gewählt werden, sind sie meist entsetzt. Sie stellen sofort die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts in Frage und beklagen das Ende des Rechtsstaats. Nur ein Argument kann die besorgten Bürger:innen halbwegs beruhigen: Dass die Verfassungsrichter:innen schon immer von der Politik gewählt wurden und dass das Bundesverfassungsgericht dennoch ein hoch respektiertes Gericht geworden ist.
Eigentlich sind die Bürger:innen nur selten mit diesen Richterwahlen konfrontiert. Denn meist läuft alles glatt – und dann bringen die Medien allenfalls Kurzmeldungen. Zuletzt lief allerdings gar nichts geräuschlos und glatt. Anfang Juli fielen 50 bis 60 Rebell:innen der CDU/CSU-Fraktion ihrer Fraktionsführung in den Rücken und verweigerten die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf.
Was für ein Chaos! Nicht die AfD oder die Linke waren dafür verantwortlich, sondern die CDU/CSU ließ die Verfassungsrichter-Wahlen platzen – weil gerade die neu gewählten Abgeordneten nicht verstanden, dass ein pluralistisches Verfassungsgericht nur zustande kommt, wenn man auch Vorschläge von anderen Parteien wählt. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erzwingt die Wahl der Andersdenkenden.
Dagegen hat die Linke nun gezeigt, auf wen Verlass ist. Ohne jede sichtbare Gegenleistung werden die Linken-Abgeordneten die noch fehlenden Stimmen liefern, so dass am Donnerstag die drei Richter:innen Günter Spinner (CDU-Vorschlag), Ann-Katrin Kaufhold (SPD-Vorschlag) und Sigrid Emmenegger (ebenfalls SPD-Vorschlag) mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden können – ohne dass es auf die Stimmen der AfD ankommt.

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Die Linke zeigt, wie man Andersdenkende wählt. Sichtbar wird nun aber auch, wie schlecht die Linke verhandelt hat. Nach der Bundestagswahl, bei der die FDP die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte, war klar, dass die Linke für die Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht wird. Üblicherweise erhalten die Parteien, die für diese Mehrheit nötig sind, Vorschlagsrechte für die Richterwahlen. Doch statt nun eines der sofort verfügbaren beiden Vorschlagsrechte der geschwächten SPD zu fordern, schielte die Linke auf die Nominierungsrechte der FDP – die aber erst wieder 2033 relevant werden.
Nun steht die Linke mit großem Herz und leeren Händen da. Die nächsten Verfassungsrichterwahlen im Bundestag sind erst 2031, dann scheidet die von der SPD vorgeschlagene Richterin Rhona Fetzer aus. Wer schlecht verhandelt, muss sich am Ende für seine Selbstlosigkeit feiern lassen.
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