Entscheidung des Verfassungsgerichts: Ein Notar muss nicht so fit sein wie ein Pilot
Die Richter:innen erklären Altersgrenzen bei Anwaltsnotaren für grundgesetzwidrig. Das könnte auch Auswirkungen auf andere Jobs haben.
Geklagt hatte der heute 71-jährige Notar Dietrich Hülsemann aus Dinslaken. Seit er 70 ist, darf er nicht mehr als Notar arbeiten, weil es eine entsprechende gesetzliche Altersgrenze gibt. Er fühlt sich aber fit und leistungsfähig.
Das Gericht stellte jetzt fest, dass eine solche strenge Altersgrenze ein massiver Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit ist. Bei den über 4.000 Anwaltsnotar:innen sei dieser Eingriff heute nicht mehr verhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
Im Alter nehme vor allem die Fähigkeit zur schnellen Informationsverarbeitung und zur schnellen Entscheidungsfindung ab, stellten die Richter:innen fest. Deshalb seien Altersgrenzen für Pilot:innen aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt. Bei Notar:innen komme es aber eher auf das Erfahrungswissen an, das auch im Alter noch zunehmen könne. Nach Angaben von Sachverständigen gebe es bei nur jeder sechsten bis achten Person über 70 Jahren Zweifel an der geistigen Eignung zur Ausübung des Notarberufs. Deshalb sei eine strenge 70-Jahre-Altersgrenze unverhältnismäßig.
Was ist mit jungen Notar:innen?
In Deutschland gibt es etwa 6.350 Notar:innen. Laut Bundesnotarkammer sind etwa 4.650 davon Anwaltsnotar:innen wie Hülsemann. Sie sind hauptberuflich Anwält:innen und daneben auch Notar:innen. Aus historischen Gründen gibt es Anwaltsnotar:innen nur in manchen Bundesländern, etwa Berlin, Hessen und Niedersachsen. In anderen Bundesländern gibt es 1.700 hauptberufliche Notar:innen, die auch „Nur-Notar:innen“ genannt werden.
Als zweite Rechtfertigung für eine Altersgrenze prüfte das Gericht das Ziel, jungen Jurist:innen Zugang zum Notarberuf zu sichern. Aus diesem Grund war die Altersgrenze 1991 eingeführt worden. Anders als damals gibt es bei Anwaltsnotar:innen inzwischen aber viele unbesetzte Stellen. Eine Altersgrenze ist bei Anwaltsnotar:innen daher nicht mehr notwendig, um Platz für den Nachwuchs zu schaffen. Dagegen gibt es bei Nur-Notar:innen immer noch Bewerberüberschuss. Dort bleiben deshalb auch Altersgrenzen zulässig.
Die Altersgrenze für Anwaltsnotar:innen bleibt noch bis Ende Juni 2026 bestehen. Bis dahin muss der Gesetzgeber eine Neuregelung beschließen. Dabei hat der Bundestag drei Möglichkeiten, wenn er nicht ganz auf Altersgrenzen verzichten will. So könnte er die Altersgrenze anheben. Oder er begrenzt die Altersgrenze auf Großstädte, wo es auch heute noch zu viele Bewerber:innen gibt. Oder es werden Prüfungen der geistigen Fitness eingeführt.
„Das Urteil ist mutig und klug“, lobte Rechtsprofessor Gregor Thüsing, der den Kläger vertreten hatte. Die Entscheidung könne auch Auswirkungen auf Altersgrenzen in anderen akademischen Berufen haben, etwa bei Prüfingenieur:innen. Auch die Altersgrenzen für Beamt:innen, zum Beispiel Lehrer:innen, müssten jetzt neu geprüft werden, so Thüsing.
(Az.: 1 BvR 1796/23)
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