Defizite bei den Krankenkassen: Rund eine Millarde pro Tag
So viel gibt die gesetzliche Krankenversicherung inzwischen aus und die Beiträge drohen sogar noch weiter zu steigen. Eine Kommission allein kann das nicht richten.

Rasant steigende Milliardenkosten, mitten im Jahr erhöhte Krankenkassenbeiträge und mittelmäßige Qualität: Dass das deutsche Gesundheitssystem in ganz schwierigen Zeiten steckt, bestreitet inzwischen niemand mehr. Aber was tun und wie schnell? Die von der Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für diese Fragen eingesetzte Expertenkommission zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nahm nun die Arbeit auf. „Die Aufgaben könnten nicht größer sein“, sagte Warken am Donnerstag.
Ende März soll die Kommission einen ersten Bericht mit Maßnahmen für das Beitragsjahr 2027 vorstellen, ein zweiter Bericht mit strukturellen Reformvorschlägen soll bis Ende 2026 vorliegen. Kurzfristige Maßnahmen für das Beitragsjahr 2026 erarbeite man unabhängig davon im Ministerium, so Warken.
Die Zeit drängt: „Die gesetzliche Krankenversicherung gibt mittlerweile jeden Tag rund 1 Milliarde Euro aus – Tendenz stark steigend“, mahnte der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen.
Laut GKV-Spitzenverband sind allein die Krankenhauskosten, der größte Kostenblock bei den gesetzlichen Kassen, im ersten Halbjahr 2025 um knapp 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. „Solche Steigerungsraten hält kein Gesundheitssystem der Welt auf Dauer aus“, betont der Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands, Oliver Blatt. Für 2026 werden Milliardendefizite erwartet.
Ausgabensteigerung stoppen
Gleichzeitig sinkt die wahrgenommene Qualität der medizinischen Versorgung. So sind Termine bei Fachärzt*innen für gesetzlich Versicherte oft nur mit monatelanger Wartezeit verfügbar. Der GKV-Spitzenverband fordert neben strukturellen Maßnahmen, die die Versicherten im Alltag spüren, vor allem ein sofortiges Ausgabenmoratorium. Das würde bedeuten, dass Kostensteigerungen nur noch dann möglich sind, wenn auch die Einnahmen entsprechend steigen. Das betrifft zum Beispiel auch Zuwächse bei den Gehältern der medizinischen Fachkräfte.
„Nur wenn die Politik kurzfristig handelt, können die Krankenkassenbeiträge im nächsten Jahr insgesamt stabil bleiben“, so Blatt. Andernfalls befürchten die Kassen, dass die Zusatzbeiträge im Januar die durchschnittliche 3-Prozent-Schwelle knacken – zu Lasten der Versicherten und ihrer Arbeitgeber. Zusatzbeiträge erheben die Kassen, weil der gesetzliche Krankenkassenbeitrag von derzeit 14,6 Prozent des Bruttoverdienstes nicht kostendeckend ist. Im Januar 2025 waren die Zusatzbeiträge auf durchschnittlich 2,5 Prozent gestiegen. 20 der 94 Krankenkassen mussten sie seitdem noch einmal mitten im Jahr erhöhen. Ab Mitte Oktober soll es eine Prognose für die Beiträge ab Januar 2026 geben.
Weitere Beitragssteigerungen solle es keine geben, betonte Nina Warken auch am Donnerstag. Im Haushalt 2025 und 2026 sind Darlehen als Ausgleich für Defizite bei der GKV vorgesehen. Diese reichten allerdings laut Blatt vom GKV-Spitzenverband nicht einmal als Sofortmaßnahme und erhöhten den Druck für die Zukunft noch mehr.
Von einem „gesundheitspolitischen Jo-Jo-Effekt“ spricht der Gesundheitspolitiker Dahmen. Dahmen mahnt an, dass bereits fertige Reformkonzepte wie die Notfall- und Rettungsdienstreform in der Schublade lägen, mit der quasi sofort sowohl das Personal entlastet als auch Milliarden eingespart werden könnten. Aber wenn „die Ministerin zaudert statt handelt“, drohten ab Januar 2026 erneut steigende Beiträge für Millionen Versicherte und Betriebe.
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