Wir Boomer: Menno, habt Ihr’s gut!
Auch wir verdienen Mitgefühl, liebe Generationen Y und Z. Und nicht nur Euer Jammern, weil wir Eure Rentenbeiträge verfuttern.
F ür wen ist das jetzt eine gute Nachricht und für wen nicht? Schon diese Unsicherheit zeigt, dass die Dinge kompliziert liegen und die Frage, wer denn nun mehr Mitgefühl verdient in Deutschland – die Babyboomer:innen oder die Generationen Y und Z –, nicht so einfach zu beantworten ist.
In den nächsten 15 Jahren gehen 13,4 Millionen Erwerbspersonen in die gesetzliche Rente, meldet das Statistische Bundesamt. Ein Drittel der heutigen Erwerbspersonen sei damit weg vom Arbeitsmarkt.
Wer weg ist vom Arbeitsmarkt, lebt von der Rente, von Euren Rentenbeiträgen, liebe Generationen Y und Z, die ihr zwischen 1980 und 2010 geboren seid. Das nennt man Umlageverfahren und es ist nicht so, dass wir Babyboomer das aus Eigennutz selbst erfunden hätten. Das Umlageverfahren wurde schon 1957 eingeführt, mit Blick auf die damaligen Rentner. 1957, da waren wir Babyboomer:innen noch gar nicht da oder noch ganz klein. Uns trifft also keine Schuld.
13,4 Millionen von uns gehen in Rente. Verstehen wir, dass Ihr Sorge habt, wir könnten Euer Geld verfuttern. Aber das heißt auch: Der künftige Arbeitsmarkt ist leer, leer, leer und es gibt jede Menge freier Plätze. Für Euch. Ihr seid Goldstaub.
Obstkorb und Betriebsausflug
Der Autor David Gutensohn, Generation Y, schreibt in seinem Buch „Generation Anspruch“ auch über die Bemühungen der Firmen um die raren Nachwuchskräfte, dass sie sich deren Ansprüchen „anpassen“ müssten: „Vom Handwerksbetrieb, der die Viertagewoche einführt, bis zur Agentur, die Homeoffice und frei einteilbare Arbeitszeiten ermöglicht, oder zum Autohersteller, der Sabbaticals und Workation zur Regel macht. Es reicht nicht mehr aus, im Büro einen Obstkorb aufzustellen, einen Kickertisch für die Werkstatt zu organisieren oder einmal im Jahr einen Betriebsausflug zu machen.“
Obstkorb! Kickertisch! So ein Problem hätten wir gern gehabt. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit in den 80er/90er-Jahren mussten wir Babyboomerinnen im Westen, wenn wir uns mit 33 Jahren irgendwo bewarben, mitunter durchblicken lassen, dass wir bestimmt keine Kinder wollen, nein, wirklich nicht. Kinder, bäh! Die Arbeitgeber hatten Angst vor den Kosten und Ausfällen künftiger Mütter.
Wer schon Kinder hatte, musste im Bewerbungsgespräch das private Betreuungssystem offenbaren. Trotzdem stellten die Arbeitgeber lieber Männer ein. Man hatte ja die Auswahl. Heute hören wir uns den Vorwurf an, wir Babyboomerinnen hätte zu wenig Kinder bekommen.
Ihr Y- und Zler, habt Ihr eine Ahnung von diesen Demütigungen? Nein, habt Ihr nicht. Euch liegen die Firmen zu Füßen. Wenn jemand Euch nach dem Vorstellungsgespräch einstellen will, dann kommt ihr einfach nicht zum Job und ghostet den Arbeitgeber. Muss ja alles nicht sein, die Arbeit. Ihr habt die Wahl. Menno, habt Ihr’s gut!
Obwohl, es ziehen dunkle Wolken auf am Horizont. Auch für Euch. Die Arbeitslosigkeit junger Akademiker:innen steigt, so die Bundesagentur für Arbeit. Wer Event-Management studiert hat oder Digital Humanities oder einfach nur Betriebswirtschaft, kann es durchaus schwer haben, anschließend einen Job zu finden.
KI macht viele Tätigkeiten überflüssig. Während sich früher Dutzende von bezahlten Sozialwissenschaftler:innen über Studien und Daten beugten und diese auswerteten, können Unternehmen das heute billiger und schneller mit den Software-Tools erledigen. Hättet Ihr doch lieber Aufzugstechniker:in oder Heizungsbauer:in gelernt, Ihr Y- und Zler, auch ohne Studium. Im Handwerk werden Leute dringend gesucht. Aber da gibt es halt nur Obstkorb und kein Trampolin für die Pause.
Ihr habt Angst vor der Zukunft, liebe Generation Y und Z, und das ist verständlich. Wir Babyboomer:innen haben auch Angst, eine andere, eine persönliche: Uns steht die Phase der Hochaltrigkeit bevor. Der Tod geht bei uns draußen am Fenster vorbei und schaut auf die Uhr. Wir kennen Ältere, die froh sind, es noch alleine aufs Klo zu schaffen. Die nur noch Tiefkühlgemüse essen, weil sie keine Kartoffeln mehr schälen können wegen der Hände. Sie wollen sich nicht helfen lassen. Man hat seinen Stolz.
Wir sind die Zukunft. Auch Eure Zukunft. Wir sollten uns zusammentun. Am Ende schwimmen wir im selben Ozean. In derselben Nacht.
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