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1.304 Tage Krieg in der UkraineWenn Hotels zur Todesfalle werden

In der Ukraine werden immer wieder auch Hotels durch russische Luftangriffe zerstört. Unter den Opfern sind auch Medienschaffende.

Das beschädigte Hotel Bristol in Odessa nach dem russischen Angriff im Februar 2025 Foto: Viacheslav Onyshchenko/imago

D as Hotel Bristol in Odessa, das im letzten Winter teilweise durch russische Raketen zerstört wurde, hat unlängst seine Wiederherstellung und die Neueröffnung angekündigt. Einerseits ist das natürlich gut: Die Wirtschaft in der Stadt entwickelt sich sogar im Krieg. Andererseits gibt es keine Garantie dafür, dass sich solche Attacken nicht wiederholen.

Seit Beginn des russischen Großangriffs sind 25 ukrainische Hotels ganz oder teilweise durch russische Luftschläge zerstört worden. Das betrifft hauptsächlich die frontnahen Gebiete, den Donbass und Saporischschja. Aber größere Angriffe gab es auch in Kyjiw, Tschernihiw und Odessa. Eine besondere Situation gibt es in der Stadt Krywyj Rih, in der praktisch alle Hotels zerstört wurden.

über leben

Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg ein Teil ihres Alltags geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden.

Einmal verbrachte ich mit westeuropäischen Fernsehjournalisten fast die ganze Nacht im Keller eines Hotels, während die Stadt pausenlos bombardiert wurde. Wir saßen da, schauten immer wieder in die einschlägigen Telegram-Kanäle und fragten uns, aus welcher Richtung die nächste Rakete oder Shahed-Drohne kommen würde. Wir kamen zu dem Schluss, dass unsere Seite des Kellers die ungünstigste war. Wir trösteten uns dann aber mit der Tatsache, dass russischen Waffen nicht die präzisesten seien.

Für die folgende Nacht buchten wir Hotelzimmer in Mykolajiw. Auch dort waren die Hotels bereits wiederholt von russischen Streitkräften angegriffen worden. Die ausländischen Journalisten entschieden sich also gleich dafür, dass sie lieber in Schlafsäcken im Keller schlafen würden.

Bild: privat
Artem Perfilov

Freiberuflicher Journalist und lokaler Produzent aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa. Seit Beginn der russischen Großoffensive in der Ukraine begleitet er ausländische Journalisten, unter anderem in die Frontgebiete. Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Angriffe auf Pressevertreter

Alle diese Maßnahmen haben ihren Grund. In den dreieinhalb Kriegsjahren wurden schon Dutzende von Medienleuten bei Anschlägen auf Hotels verletzt. Darunter auch Kollegen, die ich persönlich kannte. Eine ukrainische Journalistin, die als Fixerin für ausländischen Medien tätig war, musste schwer verletzt aus einem zerstörten Charkiwer Hotel zur Behandlung nach Kyjiw transportiert werden. Und im Hotel Saphir in Kramatorsk wurde ein Filmteam von Reuters angegriffen. Sie waren dort die einzigen Gäste gewesen.

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Ein Journalist starb, ein anderer musste auf die Intensivstation. Am Vorabend des Angriffs hatte ich noch mit einem guten Freund gesprochen, dem lokalen Koordinator der Gruppe. Und schon am nächsten Morgen versuchte ich mit klopfendem Herzen, ihn telefonisch zu erreichen. Er hatte überlebt und nur persönliche Gegenstände verloren. Und er hatte eine Gehirnerschütterung.

Kriterien für die Hotelauswahl

Wenn wir als Journalisten heute in einem beliebigen Ort der Ukraine ein Hotel buchen, achten wir nicht auf den Preis fürs Frühstück oder die Aussicht aus dem Fenster des Zimmers. Wichtigstes Auswahlkriterium ist jetzt: Sind dort Militärobjekte in der Nähe? Gefolgt von: Gibt es im Hotel einen Schutzraum und in welchem Zustand ist er? Kleinere Hotels sind besser. Das Zimmer bucht man am besten in den unteren Etagen. In den Zimmern achten wir darauf, zu welcher Seite die Fenster zeigen und wie nah das Bett daran steht. Gut ist, wenn der Schlafraum sich im Keller befindet und überhaupt keine Fenster hat.

Aber immer häufiger vermeiden wir generell Hotels und quartieren uns in Mietwohnungen ein. Große internationale Medien ändern sogar ihre Sicherheitsprotokolle zugunsten einzelner Appartments, weil es wiederum keine Garantie dafür gibt, dass die Russen nicht auf die Idee kommen, das nächste Hotel anzugreifen.

Warum sie das tun? Ich weiß es nicht. Es sieht nach Terror gegen die Zivilbevölkerung aus. In den Medien kursiert seit langem ein trauriger Witz über gefälschte Berichte der Russen: Ganz egal, wo die Rakete einschlägt – sie behaupten trotzdem, dass sich dort eine NATO-Basis oder ausländische Söldner befanden.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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