Steigende Ausgaben: Krankenkassen stehen „finanziell massiv unter Druck“
Die Krankenversicherungen geben immer mehr Geld für ihre Leistungen aus, doch Beitragssteigerungen will die Koalition verhindern. Helfen sollen Finanzspritzen – und komplexe Strukturreformen.

Zwar hätten die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im ersten Halbjahr einen Überschuss von 2,8 Milliarden Euro erzielt, dieser diene jedoch der Auffüllung der sehr niedrigen Finanzreserven auf die gesetzlich geforderte Mindestreserve. In den vergangenen Jahren hatte es einen massiven Rücklagen-Abbau gegeben.
Außerdem stiegen die Ausgaben der Krankenkassen weiter an. Im ersten Halbjahr gaben die rund 90 gesetzlichen Krankenkassen 166,1 Milliarden Euro für ihre Leistungen aus. Das ist eine Steigerung um 7,95 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, wie aus den aus neuen Kennzahlen des GKV-Spitzenverbands hervorgeht.
Für das kommende Jahr betrage das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung vier Milliarden Euro, während in der Pflege eine Finanzierungslücke von zwei Milliarden Euro drohe, erklärte Warken: „Ohne tiefgreifende Reformen kann sich das System nicht mehr selber finanzieren“.
Darlehen vom Bund
Der Bund leiste einen großen Beitrag zur Stabilisierung der Krankenkassen, so Warken, darunter Darlehen von 2,3 Milliarden Euro für das laufende und das kommende Jahr. Diese Mittel sind in den vom Kabinett auf den Weg gebrachten Haushaltsentwürfen für 2025 und 2026 schon vorgesehen. Das Gesundheitsministerium hatte aber mehrfach signalisiert, dass dies nicht ausreiche, um Beitragsanhebungen Anfang 2026 zu verhindern. Warken wiederholte diese Einschätzung am Freitag: Die Hilfen würden „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen“, um die Beiträge mit Blick auf das kommende Jahr zu stabilisieren.
Zusätzliches Geld stellt die schwarz-rote Koalition im Haushalt 2025 jedoch nicht bereit, teilte Unions-Haushaltsexperte Christian Haase nach den abschließenden Ausschussberatungen mit. Der CDU-Politiker wies zugleich auf das Ziel der Koalitionsspitzen hin, Beitragserhöhungen zu vermeiden. SPD-Haushaltsexperte Thorsten Rudolph sagte, dazu würden Vorschläge von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) mit Blick auf den Etat 2026 erwartet.
Für langfristige Reformen kündigte die Ministerin die Einsetzung einer Expertenkommission in diesem Monat an. Diese soll bereits im Frühjahr 2026 erste Ergebnisse vorlegen, die ab 2027 wirksam werden. Ziel sei es, „die beinahe zur Routine gewordene Beitragssteigerung zum Jahreswechsel“ zu durchbrechen. Strukturreformen sollten für mehr Effizienz sorgen, so Warken, etwa ein Primärarztsystems, eine Reform des Notfall- und Rettungsdienstes und eine Anpassung der unter ihrem Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) verabschiedeten Krankenhausreform.
Schwarz-Rot will Beiträge stabil halten
Zuletzt hatte es Anfang 2025 Beitragserhöhungen gegeben: Die Kassen hoben den Zusatzbeitrag auf durchschnittlich 2,9 Prozent an, daneben gilt der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent des Bruttolohns. Schwarz-Rot betont immer wieder, die Beiträge stabil halten zu wollen, auch im Koalitionsausschuss am Mittwochabend hat man das noch einmal bekräftigt. Die Beitragszahlenden sollten nicht weiter belastet, der dringend erhoffte Wirtschaftsaufschwung durch Beitragserhöhungen nicht zusätzlich gefährdet werden.
Die Kassen machen für die schlechte Finanzlage vor allem die Gesetzgebung der vergangenen Jahre verantwortlich, wie ein Verbandssprecher erläuterte. Honorardeckel wurden demnach beispielsweise für immer mehr ärztliche Leistungen abgeschafft und Preisvorgaben bei Arzneimitteln gelockert.
Der Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Oliver Blatt, forderte ein Ausgabenmoratorium und Strukturreformen. Diese sollten für die Versicherten im Alltag spürbar werden – zum Beispiel durch schnellere Arzttermine. Langfristig will Blatt aber auch verhindern, dass die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen weiter auseinander geht, und „wieder zu stabilen Finanzen kommen“. Grundsätzlich müsse verhindert werden, dass die Krankenkassen mehr ausgeben müssen als sie einnehmen. Der Anstieg der Kosten müsse wieder auf „ein Normalmaß“ zurückgeführt werden.
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