Klimaaktivist*in über IAA Mobility: „Die Automobilkonzerne müssen weg vom Individualverkehr“
Am Dienstag startet in München Europas größte Automesse. Ein Interview zu den geplanten Gegenprotesten und der Zukunft der Autoindustrie.

taz: Am Dienstag beginnt Europas größte Auto- und Mobilitätsmesse, die IAA Mobility. Für Sie ist das kein Grund zur Freude. Warum?
Noa Neumann: Mit Attac beteiligen wir uns an den Protesten gegen die IAA in München, weil sie aus unserer Sicht für die Macht der Automobilindustrie und die fossile Politik steht. Im Jahr 2025 sollten keine großen Partys mehr für die Automobilindustrie gefeiert werden. Uns ist klar, dass wir heute stattdessen eine klimagerechte Mobilität brauchen.
taz: Welche Protestaktionen sind geplant?
Neumann: Am Samstag gibt es eine große Laufdemo für eine gerechtere und klimafreundliche Mobilität. Dann ist da noch das Protestcamp, bei dem Attac mit verschiedenen Workshops und Podien vertreten sein wird. Drumherum gibt es weitere Aktionen.
taz: Was hat es mit diesem sogenannten Mobiwende-Camp auf sich?
Neumann: Auf dem Camp treffen sich viele verschiedene Gruppen, die gemeinsam oder für sich alleine Aktionen gegen die IAA machen. Für uns ist das ein wichtiger Ort der Vernetzung und des Austausches mit anderen Gruppen, um etwa Kräfte zu bündeln und unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Es geht auch um Präsenz: Die IAA ist im ganzen Stadtgebiet vertreten und wir wollen dem etwas entgegensetzen.
taz: Stimmt, die IAA hat Stände mitten in der Stadt, mit denen Passant*innen eingebunden werden sollen. Ist das nicht gut?
Neumann: Bei diesen Ständen geht es nicht darum, Menschen wirklich einzubinden und mit ihnen in den Austausch über neue Ideen für nachhaltige Mobilität fernab des Individualverkehrs zu kommen. Wir finden: Das Auto ist das Problem! Wir brauchen weniger und langsamere Autos. Große Karossen, Parkplätze und Straßen nehmen viel Platz im öffentlichen Raum ein, der besser für Grünflächen, Parks oder gemeinschaftliche Orte genutzt werden sollte.
taz: Wie kommen die Proteste in München an? Eine Stadt, die sich für die IAA Mobility feiert.
Neumann: Die Reaktionen sind natürlich unterschiedlich. Auf der vergangenen Messe in München und davor in Frankfurt am Main gab es rund um das Camp immer interessante Gespräche mit den Anwohner*innen. Manche blicken kritisch auf den Protest. Für uns ist das aber eine Chance, die Menschen mitzunehmen und ihnen davon zu erzählen, was wir hier aus welchen Gründen machen.
taz: Bei der IAA Mobility gibt es Programmpunkte zum ÖPNV, die Deutsche Bahn ist vertreten, E-Mobilität wird beworben. Das klingt doch nach Verkehrswende.
Neumann: Die IAA macht mittlerweile seit Jahren verstärkt Werbung für Elektroautos. Für uns ist klar: Auch Elektroautos sind nicht die Lösung, da sie Lithiumbatterien benötigen. Dafür wird in Serbien, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Chile die Natur zerstört und Menschenrechte missachtet. So zu tun, als wären E-Autos eine wirklich nachhaltige Alternative zu Verbrennern, ist Greenwashing. Das sind sie nicht.
taz: Worin sehen Sie dann die Zukunft der deutschen Automobilkonzerne?
Neumann: Für uns ist es ganz wichtig, dass sie weg vom Individualverkehr gehen. Wir brauchen eine Mobilität, die gemeinschaftlich funktioniert, die für alle Menschen zugänglich ist, die nachhaltig ist. Trotzdem baut die Automobilindustrie immer größere Autos, immer mehr Autos. Das ist nicht der Weg, den es für eine nachhaltigere Mobilität, eine nachhaltigere Zukunft braucht.
taz: Was bedeutet das für die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie?
Neumann: Die müssen umgebaut werden, da muss es Möglichkeiten geben. Eine Wende der Mobilität heißt auch, dass sie gerecht ist für die Menschen – gerade die, die in der Automobilindustrie arbeiten. Unsere Kritik richtet sich ja nicht gegen diese Menschen, sondern gegen das System dahinter.
taz: Machen Sie es mal konkret: Was könnten diese Menschen dort arbeiten, wenn sie nicht mehr Autos zusammenbauen?
Neumann: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, etwa zum Bau von nachhaltigeren Alternativen im Sinne der öffentlichen Mobilität, also Bus und Bahn beispielsweise.
taz: Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht vor: Wenn es bei den Autos nicht mehr läuft, könne in den Automobilfabriken ja auch Rüstung hergestellt werden.
Neumann: Das ist für uns nicht die Alternative. Eine nachhaltigere Gesellschaft funktioniert nicht mit Aufrüstung, nicht mit Militarisierung. Ein Umbau zur Rüstung ist in unserem Sinne weder ökologisch noch sozial.
taz: Was machen die Menschen im ländlichen Raum ohne Auto?
Neumann: Wir möchten, dass es überall Bus und Bahn gibt und alle Menschen die Möglichkeit haben, sich nachhaltig fortzubewegen. In vielen Regionen ist das Auto ohne Frage noch die einzige Möglichkeit, mobil zu sein. Das schließt viele Menschen aus: Wer im ländlichen Raum lebt, sich aber kein Auto leisten kann, ist abgehängt und ausgeschlossen, auch von gesellschaftlicher Teilhabe.
taz: Halten Sie es für realistisch, dass irgendwann tatsächlich jedes kleine Dorf an den ÖPNV angeschlossen sein könnte?
Neumann: Das muss das Ziel sein. Das heißt auch, es braucht neue Mobilitätskonzepte, andere als in der Stadt. Es gibt zum Beispiel Projekte wie Bürgerbusse, bei denen Menschen aus dem Dorf gemeinsam Lücken im ÖPNV schließen. Solche Projekte müssen natürlich entsprechend von staatlicher Seite finanziert werden.
taz: Das EU-Verbrenner-Aus wird gerade wieder heiß diskutiert. Selbst die Grünen können sich vorstellen, es aus Rücksicht auf die Autoindustrie aufzuweichen.
Neumann: Dass ab 2035 in der EU keine neuen Verbrenner mehr verkauft werden dürfen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Verbrenner sind aktuell das größte Problem und für die meisten Emissionen im Straßenverkehr verantwortlich. Leider geht es in der Debatte um das Verbrenner-Aus weiterhin vor allem darum, individuelle Mobilität zu fördern anstelle des öffentlichen Nahverkehrs. Diese Debatte täuscht über die eigentlich wichtigen Fragen hinweg.
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