AfD-Niederlage in Sachsen: Oberbürgermeister-Büro bleibt nazifrei
Aufatmen unter Demokrat*innen in Meißen: Ihr Kandidat gewinnt überraschend deutlich vor einem Bewerber mit NPD-Vergangenheit und AfD-Unterstützung.
Der 45-jährige Renner ist seit 2016 als Meißner Bürgermeister für Finanzen, das Ordnungsamt sowie Kultur und Tourismus zuständig. Zudem war er Stellvertreter des bisherigen Oberbürgermeisters Olaf Raschke (parteilos). Der trat nach 21 Jahren und drei Amtszeiten nicht mehr an.
Schon im Juni hatten Renner die meisten der 26 Stadtratsmitglieder ihre Unterstützung zugesichert. Nur die 9 AfD-Mitglieder und der FDP-Kandidat Martin Bahrmann fehlten. Von der CDU über die „Bürger für Meißen“, der sich die Grünen angeschlossen haben, bis zur Fraktion SPD/Linke hieß es, der parteilose Bürgermeister sei der beste Kandidat. Er habe die meiste Verwaltungserfahrung, ein offenes Ohr für Bürger:innen und finde tragfähige Kompromisse, hieß es etwa.
Trotz der breiten Unterstützung war nicht sicher, dass Renner die Wahl gewinnen würde. Seinem Mitbewerber René Jurisch wurden ebenfalls realistische Chancen ausgerechnet. Bei der Stadtratswahl im vergangenen Jahr hatte er unter allen Kandidat:innen die meisten Stimmen bekommen. Die AfD unterstützte seinen Wahlkampf tatkräftig und mit prominentem Besuch. Das Ziel: nach Tim Lochner in Pirna sollte in Sachsen der zweite AfD-Oberbürgermeister ins Amt kommen.
AfD-Mann mit NPD-Vergangenheit
Der sächsische Verfassungsschutz schätzt die AfD im Freistaat als rechtsextrem ein. Trotzdem sorgte es für bundesweite Aufmerksamkeit, dass die Partei in Meißen René Jurisch unterstützte. Der war vor etwa 25 Jahren in der Neonazipartei NPD, die heute Heimat heißt. Eine Mitgliedschaft bei der AfD geht deshalb nicht so einfach, die Kandidatur hingegen schon.
Nach seiner Zeit bei der NPD gründete Jurisch den „Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen“. Die „Schwarze Sonne“ ist in der Neonazi-Szene etwa als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz verbreitet. Auf vielen Fotos ist zu sehen, dass Jurisch sich vor Jahren ein solches Symbol auf die linke Schulter tätowieren ließ.
Unter anderem deshalb gibt es Menschen in Meißen, die überzeugt davon sind, dass Jurisch neonazistisches Gedankengut pflegt. Er spiele es nur herunter, weil sich damit keine Wahl gewinnen lässt. In seinem Auftreten, seinen Aussagen und Social-Media-Posts blitze immer wieder durch, wie Jurisch eigentlich denkt.
Im Wahlkampf reisten Sachsens AfD-Landesvorsitzender Jörg Urban und der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla nach Meißen, um Jurisch zu unterstützen. Weitere prominente AfD-Mitglieder aus der ganzen Bundesrepublik riefen in kurzen Videos zu seiner Wahl auf. Gereicht hat es nicht.
Nicht der einzige Rückschlag für die AfD am Sonntag: Auch in Wolmirstedt im benachbarten Sachsen-Anhalt verlor ihr Kandidat bei der Bürgermeisterwahl. Dort trat der Landtagsabgeordnete Mathias Knispel an, dem ebenfalls Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgesagt werden. Er bekam 36,2 Prozent. Gewonnen hat in Wolmirstedt der parteilose Kandidat Mike Steffens mit 54,4 Prozent.
„Der Richtige für das Amt“
In Meißen war laut Sächsischer Zeitung AfD-Kandidat Jurisch enttäuscht von den 30,4 Prozent, er habe sich mehr erhofft. Tim Lochner, dem AfD-Oberbürgermeister von Pirna, hatten 2023 bei seiner Wahl 38,5 Prozent der Stimmen gereicht. Im zweiten Wahlgang braucht es bei sächsischen Oberbürgermeisterwahlen keine absolute Mehrheit. Fotos zeigen auch AfD-Landeschef Urban am Sonntagabend in Meißen. Auf Facebook wünschte Jurisch seinem Mitbewerber Markus Renner „eine glückliche Hand und viel Erfolg“.
Wahlsieger Markus Renner zeigte sich hingegen „überwältigt“ von seinem hohen Ergebnis. „Mit dieser breiten Unterstützung will ich loslegen“, sagte er dem MDR.
Bei Renners Unterstützer:innen ist die Erleichterung zu spüren, dass nicht Jurisch ihr neuer Oberbürgermeister geworden ist. So antwortete etwa Daniel Bahrmann, SPD-Stadtratsmitglied, auf taz-Anfrage am Sonntagabend, er sei erleichtert und freue sich über das klare Zeichen: „Kein zweiter Wahlgang, kein weiterer Wahlkampf. Markus Renner ist einfach der Richtige für das Amt.“
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