Sinnsuche der Sozialdemokraten: „Ein Programm, das wirklich gelesen wird“
Die SPD macht sich auf den Weg, um ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten. Sie setzt sich erst einmal bescheidene Ziele.

Das kann man als absolutes Minimalziel eines zwei Jahre währenden Diskussionsprozesses mit der Basis und Expert:innen bezeichnen. Ins Zentrum ihrer Sinnsuche wollen die Sozialdemokrat:innen die Themen künstliche Intelligenz, gesellschaftliche Verschiebungen und Machtverhältnisse und die Erneuerung des Aufstiegsversprechens stellen. Klüssendorf kritisierte insbesondere die ungleiche Verteilung und Vererbung von Vermögen: „Wir haben uns weit weg bewegt von einer Leistungsgesellschaft.“
Doch wie soll das funktionieren, wenn Lars Klingbeil und Bärbel Bas als Parteivorsitzende engagiert Erbschafts- und Vermögensteuern einfordern, während sie als Minister:innen Haushaltsdisziplin und Sozialkürzungen praktizieren? Und ziehen beide tatsächlich an einem Strang? Klingbeil lobte in der Zeit Gerhard Schröder als mutigen Reformer, betonte die Notwendigkeit von umfassenden Reformen, damit der Sozialstaat stark und bezahlbar bleibe. Bas sieht ebenfalls Reformbedarf, hält die Debatte über den zu teuren Sozialstaat aber für „Bullshit“.
Die Agenda-Reformen der nuller Jahre unter dem damaligen sozialdemokratischen Kanzler Schröder gelten vielen Genoss:innen heute noch als wichtigste Ursache für den seitdem anhaltenden Abstieg der SPD in der Gunst der Wähler:innen.
Kein Widerspruch zwischen Bas und Klingbeil
Generalsekretär Klüssendorf sieht jedoch keine Konflikte, weder zwischen den Parteivorsitzenden noch in ihren unterschiedlichen Rollen. Klingbeil wolle ja nicht die Agendapolitik des Altkanzlers wiederholen, sondern die Gesellschaft einen. Und bereits jetzt fordere die SPD eine Reaktivierung der Vermögensteuer – und sei trotzdem mit der Union in einer Koalition. „Es muss uns möglich sein als politische Parteien, die gerade in der Verantwortung sind, für größere Entwicklungen neue Antworten zu entwerfen, ohne dass man uns gleich daran misst, diese morgen umzusetzen“, so der Generalsekretär. Ergo soll die Programmdebatte möglichst nicht mit der aktuellen Politik verzahnt werden.
Das passiert jedoch im Tagesgeschäft ständig. Als Kanzler Merz als CDU-Parteivorsitzender auf dem Landesparteitag der niedersächsischen CDU harte Sozialstaatsreformen ankündigte, die es dem Koalitionspartner nicht leicht machen würden, reagierten viele in der SPD verschnupft.
Ob die SPD am Ende ihres Grundsatzprozesses 2027 wieder mehr Agendapartei wird oder stärker nach links rückt, ist ebenfalls offen. „Es geht darum, die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen zu geben“, unterstrich Klüssendorf am Montag. Bei seinem Amtsantritt im Frühjahr hatte der Parteilinke als Anspruch an sich selbst übrigens formuliert, eine möglichst floskelfreie Sprache zu verwenden. Auch da ist noch „Luft nach oben“.
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