Regierungskrise in Frankreich: Bayrou ist Geschichte
Ministerpräsident François Bayrou verliert eine Vertrauensabstimmung im Parlament. Damit fangen die Probleme erst an, denn neue Mehrheiten sind nicht in Sicht.

Nichts hatte Bayrou zu dieser Vertrauensabstimmung gezwungen. Er wollte aber unterstreichen, wie ernst die Lage ist. In den vergangenen Tagen hatte er bei unzähligen Medienauftritten immer wieder eindringlich betont, dass Frankreich, unabhängig von seiner Person, die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen müsse – sonst drohe der Abstieg.
Dass er dazu sein Amt aufs Spiel zu setzen bereit war, verlieh seinem politischen Entscheid den Charakter eines persönlichen Opfers. Doch weder seine politischen Gegner in der Nationalversammlung noch die öffentliche Meinung ließen sich davon beeindrucken.
Alle politischen Beobachter waren sich einig in der Prognose, dass Bayrou dabei nur verlieren konnte. Vielleicht, so wurde spekuliert, sei es seine Absicht gewesen, in die Geschichte einzugehen als Staatsmann, der ungeachtet der Kosten der Nation die „Wahrheit“ ins Gesicht sagte.
Für Frankreich aber, so meint die Zeitung Le Figaro, komme Bayrous Poker mit totalem Einsatz und absehbarem Ausgang einem „Sprung ins Leere“ gleich. Denn eine Lösung dank des Abgangs des Regierungschefs und seines Kabinetts zeichnet sich nicht ab, weil die politisch vertrackte Ausgangslage für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wie ein Patt auf dem Schachbrett identisch bleibt.
Taktische Fehlentscheidung
Selbst die engsten Vertrauten von Staatspräsident Emmanuel Macron müssen heute einräumen, dass es eine taktische Fehlentscheidung des Staatschefs gewesen war, im Juni 2024 nach der Niederlage bei den EU-Wahlen die französische Nationalversammlung aufzulösen. Denn mit den anschließenden Neuwahlen ist eine politische Konstellation entstanden, die die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit permanent verhindert.
Von den drei Blöcken – Linke, Zentrum aus Macronisten und Konservativen sowie Rechtspopulisten – machte jeder ideologische Berührungsängste mit den andern geltend, wenn es darum ging, im Stil einer „Großen Koalition“ formell Bündnisse zu schließen und Abstriche an den eigenen politischen Vorgaben zu machen.
In den vergangenen Tagen haben sich die Sozialisten angeboten, an Stelle von Bayrou und der bisher regierenden rechten Mitte die Verantwortung zu übernehmen und einen Premierminister zu stellen. Ihre Vorschläge zu Bayrous von links (und rechts) bekämpftem Entwurf für einen Staatshaushalt 2026 stehen jedoch in wesentlichen Punkten in Widerspruch zu Macrons Prioritäten.
So plant die Linke zum Schuldenabbau Sonderabgaben für die Vermögendsten und großen Unternehmen statt der von Bayrou geforderten Opfer, die auch weit weniger wohlhabende Schichten treffen würden. Macron will im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit keine Steuererhöhungen für „Privilegierte“, die damit drohen, lieber ins Ausland abwandern, als noch mehr Abgaben zu bezahlen.
Spätes Eingeständnis
Mit dieser nach sozialer Gerechtigkeit rufenden Linken eine Einigung zu finden, wäre nicht einfach. Zudem wäre die Nominierung einer Persönlichkeit aus dem linken Lager zwecks Regierungsbildung das späte Eingeständnis, dass Macron nach den Wahlen 2024 gut daran getan hätte, dem stärksten Block in der Nationalversammlung die Regierungsgeschäfte zu übergeben statt alle Macht bei sich und seinen Vertrauten zu konzentrieren.
Dennoch erscheint eine solche „Kohabitation“ (wie sie Frankreich in anderer Form von 1986 bis 1988 mit Präsident Mitterrand und seinem Gegner Chirac als Premier gekannte hatte) als letzte Karte. Laut Umfragen befürwortet zudem eine Mehrheit der Franzosen diese Art der Zusammenarbeit, die zu Kompromissen zwingt.
Natürlich hätte Präsident Macron die Möglichkeit, die Nationalversammlung erneut aufzulösen. Die Karten würden dabei aber nicht wirklich neu gemischt. Denn bei eventuellen Neuwahlen zeichnet sich immer noch keine Mehrheit ab, auch wenn die Rechtspopulisten bei der heutigen Stimmungslage zweifellos kräftig (und weit mehr als die heute gespaltene Linke) zulegen würden.
Zudem wären Neuwahlen für die „Macronisten“ höchstwahrscheinlich eine Katastrophe. Selbstverständlich könnte Macron als Staatspräsident zurücktreten, was politisch logisch und verantwortungsvoll wäre. Doch diesen Schritt schließt er bisher aus, weil Präsidentschaftswahlen vermutlich die extreme Rechte an die Macht bringen würden. Das erachtet Macron als eine für Frankreich und Europa verhängnisvolle Perspektive.
Nach dem neunmonatigen Intermezzo Bayrou muss Macron jetzt die für ihn am wenigsten unangenehme und für das Land am wenigsten abträgliche Lösung finden. Allzu lange warten kann er nicht. Mit angekündigten Protesten, Streiks und Blockaden ab Mittwoch machen diverse Bevölkerungskreise Druck. Sie sind wütend auf die Staatsführung und mit ihrer Geduld längst am Ende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gespräch mit einem Polizisten
„Manchmal wird bewusst unsauber gearbeitet“
Prozess gegen Flüchtlingshelfer
Hilfe als Straftat?
Tübinger OB diskutiert mit AfD-Politiker
Die Boris-Palmer-Show
Bully Herbigs aktuelle Winnetou-Parodie
Relativ unlustig
Historikerin über rechte Körperpolitik
Die Fantasie vom schönen Volk
Wir Boomer
Menno, habt Ihr’s gut!