piwik no script img

Regierungskrise in FrankreichVersagen mit Ansage

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Dass Bayrou bei der Vertrauensabstimmung fallen würde, ist wenig überraschend. Was Frankreich jetzt braucht, ist eine Reform der Institutionen.

Freude bei einem Gegner von Francois Bayrou nach der für ihn misslich ausgegangenen Vertrauensfrage Foto: Stephane Mahe/reuters

D er französische Premierminister François Bayrou hat mit zu hohem Einsatz gepokert und verloren. Die Vertrauensabstimmung, die ihn am Montagabend zu Fall gebracht hat, konnte er schlicht nicht gewinnen. Hat er selber wirklich geglaubt, dass ihm die Abgeordneten oder die Fernsehzuschauer seine Remake-Nummer „Ich oder das Chaos“ abnehmen würden? Jeden Tag in der vergangenen Woche hat er sich als Gast in die Studios eingeladen, um jedes Mal dasselbe Lied vom drohenden Niedergang anzustimmen.

Dass aber ausgerechnet er der Retter aus der Not sei, wollte ihm niemand abkaufen. Zu durchsichtig war das Kalkül. Es stimmt, die Lage ist unerfreulich, die Republik ist hoch verschuldet, die Ranking-Institute drohen mit schlechten Betragensnoten, Frankreich muss für neue Anleihen immer höhere Zinsen bezahlen. Für die Opposition war dies aber kein Grund, den Vertrag für die Minderheitsregierung von Bayrou zu verlängern. Das Vertrauen, um das er das Parlament ersuchte, hatte er bei den Abgeordneten und der Bevölkerung längst verscherzt.

Der Ausgang des Vertrauensvotums war also vorauszusehen. Dass Bayrou das nicht wahrhaben wollte und rechthaberisch auf einem sozial ungerechten und kompromisslosen Sparplan beharrte, bestätigt nur, dass die Volks­ver­tre­te­r*in­nen der Nationalversammlung allen Grund hatten, die Chance zu seiner Absetzung zu nutzen.

Was riskieren sie damit? Frankreich war seit dem Sommer 2024 in einer politischen Krise, weil seit den damaligen Neuwahlen keine regierungsfähige Mehrheit zustande kam. Jetzt kommt eine Regierungskrise hinzu, die vermutlich auch mit der Ernennung eines neuen Premierministers durch Präsident Emmanuel Macron nicht enden wird.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Anachronistische Machtverteilung

Der Staatschef steht jetzt allein in der vordersten Linie, mit Bayrou ist seine letzte Sicherung durchgebrannt. Nach dem Rücktritt des Premierministers fordert der Volkszorn auf der Straße, nun müsse auch Macron gehen. Doch wer soll ihn ersetzen? Wieder einmal heißt es, der König ist nackt.

Seine Person ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern die Machtverteilung in einer monarchisch anmutenden Republik aus der Zeit von General de Gaulle, die von der Geschichte überholt wird und deren Institutionen nicht in der Lage sind, eine demokratische Debatte über legitime Forderungen zuzulassen oder zu organisieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Die Forderung ist Wunschdenken.

    Institutionelle Reformen sind in Frankreich derzeit illusorisch. Die Parteien links und rechts der Mitte verweigern sich allesamt der Realität. Diese Nicht-Bereitschaft wird verstärkt durch die die Politiken der Vorgängerpräsidenten der vergangenen Jahre, egal ob sie Chirac oder Sarkozy heißen, die die Wohlhabenden bevorzugten und die fiskalische Spaltung begünstigten.

  • Der Ball liegt beim Präsidenten. Schließlich existiert seine große Machtfülle nur dann praktisch, wenn er eine Mehrheit im Parlament hinter sich hat. De Gaulle hat das schon aus guten Gründen so bauen lassen.

  • Da kann man darum herum reden und der Artikel macht genau das mit "Was Frankreich jetzt braucht, ist eine Reform der Institutionen."

    Einige Kommentare schießen den Vogel ab ("Europa braucht jetzt eine Verfassung")

    Man kann aber auch daraus lernen:



    DIE SCHULDENBREMSE IST NOTWENDIG.

    Frankreich verliert seine Handlungsfähigkeit wegen ZUVIEL SCHULDEN!

    • @GregTheCrack:

      Nein. Macron verliert seine Handlungsfähigkeit weil er erst die Steuern für die Reichen gesenkt hat und jetzt die Bürger dafür zahlen sollen. Die Bürger haben voriges Jahr eindeutig gegen eine solche Politik gestimmt und die Versuche des möchte gern Sonnenkönigs, diese Wahlergebnis zu ignorieren, scheitern erwartungsgemäß.

      In D hat die Schuldenbremse übrigens dazu geführt, dass die Infrastruktur im Eimer ist und jetzt mit einem "Sondervermögen" versucht wird, wenigstens die schlimmsten Schäden zu beheben.

    • @GregTheCrack:

      Die Schuldenbremse ist ein Rohrkrepierer von Ideologen, der sich an der Zukunft der jungen Generation versündigt.

      Sie ist ein Instrument der Alten, das diese nichts kostet, wohl aber den Jungen.

      Die Schuldenbremse ist der Egoismus der Alten.

  • Das ist politisches Karma: Beide Länder, Frankreich und die Niederlande, die die europäische Verfassung abgelehnt haben, zeigen jetzt ihren politischen Bewußtseinsrückstand in den Figuren des kleinen, nuklearen Sonnenkönigs bis zum blondierten Volksverhetzer aus Venlo (Wilders) . Es ist Zeit für eine Revolution: Europa braucht jetzt eine Verfassung und die politische Transformation dorthin, damit nicht Köpfe sondern demokratischer Geist Zukunft/Gegenwart bestimmt . Damit auch Zerstörer (Ungarn u.a.) ausgeschlossen werden können .

    * * *

  • Das Problem sind doch nicht die Institutionen, sondern die aktuell handelnden Personen.



    Bei der Parlamentswahl haben die Linken und das Macron-Lager im zweiten Wahlgang in jedem einzelnen Wahlkreis zusammengearbeitet, um den Wahlsieg der Rechten zu verhindern.



    Da ist es doch nicht zu viel verlangt, daß sie dann auch im Parlament Wege finden, zusammen zu arbeiten.

    • @Don Geraldo:

      Könnte man meinen, doch da gab es einen Melechon, der immer mehr Züge der Rechten übernahm. Erschwerend kommt in Frankreich das Blockdenken hinzu. Die Kunst der Kompromisse wie in der deutschen Konsensdemokratie ist bei den Franzosen nicht so stark eingeübt wie bei uns.