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Europas neue Iran-SanktionenJemand lügt. Aber wer?

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Europäer behaupten, Irans Atomprogramm sei aktuell hochgefährlich, weshalb Sanktionen nötig seien. Moment Mal! War da nicht im Juni ein Krieg?

Irans Atomprogramm: mal total zerstört, mal total gefährlich Foto: Vahid Salemi/AP/dpa

D a stimmt etwas nicht. Am 22. Juni bombardierten die USA die wichtigsten iranischen Atomanlagen. Es war der Höhepunkt des Zwölftagekrieges zwischen Israel und Iran, der zwei Tage später zu Ende ging. „Vollständig und gänzlich ausgelöscht“ sei Irans Atomprogramm, behauptete US-Präsident Donald Trump danach.

Geheimdienstler und Experten bezweifelten das – vor allem der Verbleib des von Iran entgegen seinen Verpflichtungen angereicherten Urans war offen. Aber über erhebliche Schäden an den Anlagen waren sich alle einig.

Und nun? Am 28. September sind die deutsch-französisch-britischen Sanktionen gegen Iran wieder in Kraft getreten, die im Falle einer iranischen Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen unter dem Atomabkommen von 2015 30 Tage nach Feststellung dieser Nichteinhaltung automatisch in Kraft treten.

„Im Jahr 2025 hat das iranische Nuklearprogramm einen gefährlichen Stand erreicht“, teilt das Auswärtige Amt dazu mit. Iran habe „erheblich“ gegen seine Zusagen verstoßen und „keine Bereitschaft gezeigt, seine Verpflichtungen auf transparente und nachhaltige Art und Weise zu erfüllen (…) Ein atomar bewaffneter Iran wäre brandgefährlich und würde die bereits fragile Region weiter destabilisieren.“

Iran angeblich heute gefährlicher als vor dem Krieg

Wenn das alles stimmt, haben im Juni die USA gelogen. Oder aktuell lügen die Europäer. Bemerkenswert ist, dass sie in ihrer gemeinsamen Erklärung die Ereignisse vom Juni nur in einem Halbsatz erwähnen, und deren Auswirkungen überhaupt nicht. Es ist, als habe der Zwölftagekrieg nie stattgefunden. Irans Atomprogramm wurde demnach nicht nur nicht zerstört, sondern ist heute gefährlicher als vorher.

Vielleicht sollten nicht nur Iran, sondern alle Beteiligten „auf transparente und nachhaltige Art und Weise“ Auskunft geben. Sonst dürfte dieser Sanktionsschritt Befürchtungen nähren, dass Netanjahu und Trump schon die nächsten Militärschläge vorbereiten. Vermutlich mit demselben durchschlagenden Erfolg wie die letzten. Das, darüber dürften sich alle einig sein, „wäre brandgefährlich und würde die bereits fragile Region weiter destabilisieren“.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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