Bremer Solidaritätspreis: Meseret Hadush, Kämpferin für Tigrays vergewaltigte Frauen
„Hiwyet“ kümmert sich in Äthiopiens Kriegsregion Tigray um Opfer sexualisierter Kriegsverbrechen. Jetzt wird ihre Gründerin in Deutschland geehrt.

Der Krieg in Äthiopiens Nordregion Tigray zwischen 2020 und 2022 war damals der tödlichste der Welt. 600.000 Menschen starben, viele durch die Hungerblockade, mit der Äthiopiens Regierung die rebellische Region isolierte. Heute ist Tigray in Vergessenheit geraten, überschattet von der Ukraine, Gaza und Sudan. Um dieses Vergessen zu durchbrechen, sollte am Montagabend in Bremen die Frauenaktivistin Meseret Hadush aus Tigray mit dem Bremer Solidaritätspreis ausgezeichnet werden.
Schon die Reise aus Äthiopien nach Deutschland zur Preisverleihung sei riskant, berichtet einer ihrer Freunde. In Äthiopien werde inzwischen von beiden ehemaligen Kriegsparteien versucht, „ihre Organisation zu zerstören“. Denn Meseret Hadush hat die Frauenrechtsorganisation Hiwyet gegründet, die sich um die Opfer sexualisierter Kriegsverbrechen im Tigray-Krieg kümmert – die schätzungsweise 120.000 Frauen, die in den zwei Jahren Krieg brutalste Vergewaltigungen erlitten.
Meseret Hadush hat den Krieg miterlebt, als Pianistin und Musikdozentin an der Universität von Tigrays Hauptstadt Mekelle, wo die in der Stadt Adigrat geborene Musikerin 2001 ihren Schulabschluss machte und dann blieb. Schon als Musikstudentin und später als Musiklehrerin machte sie sich einen Namen als Kämpferin für Mädchenrechte gegen menschenverachtende Traditionen, etwa der Zwangsverheiratung an viel ältere Männer. Mit dem von ihr mit begründeten Wettbewerb „Tigray Idol“ suchte sie nach einer Alternative zu kulturellen Normen, die die freie künstlerische Entfaltung von Mädchen blockieren.
Frieden auf Kosten der Opfer
Der Krieg ab November 2020 veränderte in Tigray alles. Mekelle wurde erst von Äthiopiens Armee besetzt, dann von Tigrays Rebellen zurückerobert und schließlich wieder von der Regierung kontrolliert, bis beide Seiten 2022 Frieden schlossen. Doch dieser Friedensschluss, so ein verbreiteter Vorwurf, sei eine Verbrüderung der Kriegsverbrecher auf Kosten der Opfer.
Mitten im Krieg mobilisierte Meseret Hadush Mitstreiterinnen zur Frauenselbsthilfe. Daraus entstand nach Kriegsende 2023 die „Hiwyet Tigray Charity Association“. Hiwyet heißt „Heilung“ in der Tigrinya-Sprache, und genau darum geht es: „eine Welt, in der jede Frau und jedes Mädchen in Tigray ein Leben ohne Angst, Gewalt und Ungleichheit leben kann“, wie die Organisation erklärt.
Wie Hadush in einem Interview erläutert, konnte Hiwyet in Mekelle bisher rund 6.000 Überlebenden sexualisierter Kriegsverbrechen helfen, im Alter von 5 bis 80 Jahren. Die Organisation dokumentiert Verbrechen und stellt die medizinische Versorgung sicher. 200 Mütter erhielten Starthilfen zum Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Auch zu anderen Themen – Frauengesundheit, Kinderheirat – leistet Hiwyet Aufklärungsarbeit.
„Die psychologische Wirkung ist erheblich“, sagt Hadush. „Die Öffentlichkeit, ich eingeschlossen, lebt im Trauma, oft begleitet von Leugnung und Ausweichen vor der Realität.“
Hadush wird immer wieder angefeindet. 2023 wurde sie in Addis Abeba kurzzeitig verhaftet, als sie dort einen Workshop organisieren wollte. Auch Hiwyet bleibt von polizeilichen Übergriffen nicht verschont. Erneute Spannungen in Tigray dieses Jahr haben die Spendenbereitschaft aus der Diaspora verringert. In Deutschland, wo sexualisierte Gewalt als Asylgrund für geflüchtete Frauen aus Tigray anerkannt worden ist, hofft Meseret Hadush nun auf zusätzliches Gehör.
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