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Cannabis-LegalisierungDie große Revolution ist ausgeblieben

Die Teillegalisierung von Marihuana war sehr umstritten. Nun zeigt eine erste Evaluation: Der Konsum ist nicht explodiert, der Schwarzmarkt geblieben.

Drei solcher Marihuana-Pflanzen dürfen Privatpersonen besitzen. Die Ernte übersteigt dabei häufig 50 Gramm Foto: Shannon Stapleton/reuters

Die Teillegalisierung von Cannabis hat bislang kaum Einfluss auf die Entwicklung der Konsument*innenzahlen. Auch gesundheitliche Probleme durch den Cannabis­konsum sind nicht bedeutend gestiegen. Das zeigt eine erste Zwischenbilanz, die eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Cannabis-Konsumgesetzes (KCanG) am Montag vorgestellt wurde. Die wissenschaftliche Evaluierung ist Teil des Gesetzes, das vom ehemaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg gebracht worden war.

Die Forschungsgruppe mit Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Universitäten in Hamburg, Düsseldorf und Tübingen stellte fest, dass etwa fünf Millionen Bun­des­bür­ge­r*in­nen 2024 Cannabis konsumiert hatten, die überwiegende Mehrzahl davon nur gelegentlich. Etwa eine Million Konsumierende griffen täglich oder beinahe täglich zu Cannabis.

Der seit Jahren leicht steigende Konsumtrend sei demnach beständig geblieben. „Kurzfristig ist ziemlich wenig passiert“, bilanzierte Jakob Manthey, Suchtforscher und Koordinator der Forschungsgruppe. Einige Auswirkungen seien aber erst nach längerer Zeit messbar. Im nächsten Jahr wird die Forschungsgruppe einen weiteren Bericht vorlegen, 2028 soll der Abschlussbericht folgen.

Der Einfluss des Gesetzes auf die Strafverfolgung ist dagegen bereits sichtbar: „Es handelt es sich um die quantitativ bedeutsamste Entkriminalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik“, erklärte Forschungsgruppenmitglied und Kriminologe Jörg Kinzig. 2024 gab es demnach mindestens 100.000 Cannabisdelikte weniger als im Vorjahr. Eine Entlastung würden Polizeibeamte jedoch noch nicht wahrnehmen – auch weil durch die Gesetzesänderung neue Ordnungswidrigkeiten hinzugekommen sind. So ist etwa der Konsum von Cannabis in Sichtweite von Schulen oder Spielplätzen verboten.

Verlässliche Zahlen zum Schwarzmarkt fehlen

Die Teillegalisierung sollte unter anderem den Cannabis-Schwarzmarkt eindämmen. Verlässliche Zahlen dazu, wie viel Cannabis weiter über nicht-legale Wege bezogen wurde, konnte die Forschungsgruppe nicht vorlegen. Deutlich ist aber, dass die dafür vorgesehenen Cannabis-Anbauvereine den Schwarzmarkt nicht verdrängen: Sie decken bundesweit nur etwa 0,1 Prozent des Bedarfs ab. Um den gesamten Konsum in Deutschland zu bedienen, bräuchte es mehrere Tausend Vereine, bislang sind es etwa 300. Vielerorts haben Be­trei­be­r*in­nen Schwierigkeiten, Genehmigungen zu erhalten, vor allem in Bayern und in Hessen.

Stattdessen beziehen viele Kon­su­men­t*in­nen Cannabis über Verordnungen aus Apotheken. Das ist relativ leicht: Kon­su­men­t*in­nen können online einen Fragebogen ausfüllen und erhalten ein Rezept, das sie bei einer Onlineapotheke einlösen können. Überprüft werden die Angaben in der Regel nicht. Die Kosten für Rezept und Ware übernehmen die Kon­su­mierenden meist selbst.

100 Tonnen Medizinalcannabis wurden 2024 verkauft, das sind etwa 12 bis 14 Prozent des Gesamtbedarfs. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), die die Legalisierung von Cannabis kritisch sieht, will die Onlineverordnungen und den Versandhandel künftig verbieten, viele der Verordnungen seien nicht medizinisch begründet.

Etwa 35 Prozent der regelmäßigen Kon­su­men­t*in­nen bauten laut Befragung ihr Cannabis selbst an. Seit der Teillegalisierung ist es erlaubt, bis zu drei Pflanzen zu besitzen. Dabei fällt meist mehr ab, als die 50 Gramm, die Privatpersonen besitzen dürfen. Eine große Rolle spielt deshalb die Weitergabe im sozialen Umfeld. So bekommen vor allem Gelegenheitskif­fe­r*in­nen ihr Cannabis meist so wie vor der Legalisierung: von Freunden, beim Teilen von Joint oder Ernte.

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7 Kommentare

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  • Die wichtigste Erkenntnis sollte doch sein, dass das Abendland durch die Teillegalisierung nicht untergegangen ist und Millionen entkriminalisiert wurden.

  • Die Studienlage hat es klar belegt: alle Weltuntergangsprophezeiungen der Cannabisskeptiker waren falsch.







    Das unfertige Cannabis- Gesetz muss nun zu Ende gebracht werden..und zwar auf sehr einfache Weise:



    ->es braucht lizensierte Fachgeschäfte.



    -> Aufklärung und Qualitätskontrolle auch im Hinblick auf gute Verträglichkeit..sprich einer Förderung natürlicher Sorten.



    -> sowie etwas Entbürokratisierung..sprich der ganze Wust aus widersprüchlichen Regeln, wie Abstandsgeboten, Mengenregeln, Weitergabeverboten, etc. kann weg.

    Das einzige was unbedingt bleiben muss, sind klare Regeln, um toxische Zusätze in jeder Form zu verhindern. Und Regeln des Gebrauchs in der Öffentlichkeit, damit niemand gezwungen wird die Dämpfe anderer einzuatmen. Wobei man sich hier am Umgang mit Zigarettenrauch orientieren kann.







    Insofern ist die Faktenlage ausnahmsweise mal sehr einfach. Kompliziert ist allenfalls der ganze Muff in der Köpfen der Ideologie verbrämten *Immernochcannabisskeptiker*..aber die haben ja nun keine Argumente mehr..

  • Jeder Praktiker aus der Strafjustiz hält dieses Gesetz für katastrophal. Und zwar egal, ob man Cannabis für strafwürdig hält oder für eine Freigabe ist.

    Wie kann man auf die Idee kommen, die Nachfrage nach Cannabis zu entkriminalisieren, während das Angebot weiterhin illegal ist? Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die organisierte Kriminalität!...

    Die Mitgliedschaft in Cannabisclubs ist für den Gelegenheitskonsumenten keine Option.

    Die Nutzung von Cannabis auf "Rezept", scheinlegal ausgestellt von Anklick-Online-Ärzten, welche dann zumindest legal angebautes Cannabis aus der Apotheke bringt, ist da ebenfalls keine Lösung und soll ja sogar bekämpft werden.

    Dazu die sinnlosen, in sich nicht stimmigen Regelungen für den Anbau von Pflanzen, die mind. doppelt so viel abwerfen wie man legal besitzen darf. Und die Abgabe an den Nachbarn ist dann schon wieder strafbar. Zumal der Aufwand mit den zusätzlichen Bussgeldtatbeständen nicht weniger aufwändig ist als die Verfolgung der vormaligen Straftaten nach BtMG.

  • Schön, dass zumindest die TAZ klar benennt, dass der "Schwarzmarkt" nicht nur aus sinistren Gestalten im Stadtpark besteht, sondern zunehmend durch den Überschuss der vielen neuen HeimgärtnerInnen versorgt wird. Klar, das ist auch nicht legal, aber es finanziert eben nicht, wie bisher, Verbrecherbanden den Einstieg ins Kokaingeschäft. Und ist dank legalem Anbau sehr viel weniger riskant als jemals vorher, weil hier durch die Hintertür das Opportunitätsprinzip eingeführt wurde. Wenn es irgendwo verdächtig riecht, muss nicht sofort gehandelt werden. Das sehen übrigens auch zunehmend viele PolizistInnen als Fortschritt.

    Ändert nur leider vermutlich nichts daran, dass es der CXU bei dem Thema ausschließlich um ihren stumpfen Kulturkampf gegen alles "Woke" geht, um von ihren eigentlichen, höchst unpopulären Kernprojekten abzulenken. Hoffnung auf die SPD zu setzen, fällt mir leider schwer. Es bleibt spannend...

  • Dass die konservativen Kulturkämpfer die Sauforgien, wie beim Oktoberfest, dem Cannabiskonsum vorziehen und ihn eigentlich wieder verbieten wollen, wundert nicht. Auch wundert nicht, dass der Schwarzmarkt weiter gedeit, trotz "Legalisierung", die im Grunde fehlgeschlagen ist. Solange Cannabis nicht in Coffee-shops gekauft werden kann bleibt das so. Welche Konsumenten können sich schon einen solchen Aufwand in Kosten, Material und Zeit leisten wie die Cannabisclubs. Das sind priviligierte Konsumenten. Wer kann schon zuhause anbauen? Nicht allzuviele. Bleibt noch Patient zu werden. Online nicht so schwer. Aber auch niedergelassene Ärzte lassen sich finden. Also Konsumenten: Wahlverweigerung bringt nichts. Wählt das nächste mal Legalisierungsparteien!

  • Etwas rätselhaft ist die Annahme, dass die Legalisierung den Schwarzmarkt nicht beeinflusst hat, schon. Die überwiegende Anzahl von Telemedizin-Cannabis-Patienten kennt Cannabis jedenfalls nicht erst seit dem 1. April 2024. Wenn vielleicht nicht alles, was in Apotheken verkauft wird, dem Schwarzmarkt entzogen wird, sollte es doch erheblich sein. Man muss nur in die Kommentare im Netz schauen. Da schreibt nicht nur jeder Zweite, dass er sein Gras mittlerweile nicht mehr beim Dealer kauft.

    Wenn das Kontrollieren der Abstandsregelung das einzige Problem der Polizei ist, dann ist doch alles gut. Es muss der Polizei nur noch einer erklären, wie man mit einem Maßband umzugehen hat. Die Kollegen von der Verkehrspolizei werden da sicherlich behilflich sein.

    Selbst eine Cannabis-Pflanze kann mehr als 50 g Trockenblüten produzieren. Unter optimalen Bedingungen im Freien sogar 500 Gramm. Das Problem ist hier nicht die Anzahl der Pflanzen, sondern diese völlige sinnlose Mengenregulierung, die einen gesetzestreuen Hobbygärtner ja erst einmal dazu bringt, immer wieder Cannabis anzubauen und den Überschuss loswerden zu wollen. Da kommt der interessierte Nachbar gerade recht ... ;)

    • @EDL:

      Wie ich schon erwähnte, ist das Risiko, beim Überschreiten der vorgegebenen Mengen erwischt zu werden, dramatisch gesunken. Und Weitergabe fällt nur dann auf, wenn man es übertreibt. Insofern hat sich die Lage für Selbstversorger extrem verbessert, und daran würde eine noch restriktivere Verordnung bzgl. Pflanzenanzahl und legal zu lagernder Erntemenge auch nichts mehr ändern.

      Der Jugenschutz-Effekt ist ja schon allein dadurch gegeben, dass jetzt ggf. auch Tante Frieda und Onkel Heinz ein paar Pflanzen stehen haben. Uncooler geht's ja nun wirklich nicht mehr. "Hanferde" und "Hanfdünger" bei OBI und Cannabissamen bei Dehner und Famila werden da ihr übriges tun.