Klausur der Bundesregierung: Herbstsonate von Schwarz-Rot
Die schwarz-rote Regierung zieht sich zur Klausur zurück – und hofft, daraus mit einer einheitlichen Position herauszukommen.

E s ist etwa ein Jahr her, dass der damalige Finanzminister Christian Lindner nach den verlorenen Landtagswahlen in Brandenburg den „Herbst der Entscheidungen“ proklamierte und damit das Ende der Ampel einläutete. Es war die Zeit der konkurrierenden Wirtschaftsgipfel zwischen Kanzleramt und Finanzministerium, der 5- und 10-Punkte-Pläne, der dauernden Haushaltsberatungen. Bleiern hingen Schuldenbremse und schlechte Wirtschaftsdaten über der Regierung, die im Hintergrund von der FDP längst schon – Stichwort D-Day – ein genaues Verfallsdatum verpasst bekommen hatte.
Der von Bundeskanzler Friedrich Merz ausgerufene „Herbst der Reformen“ dürfte manch einem bei der SPD allein wegen der klanglichen Ähnlichkeit an die Spielchen von vergangenem Jahr erinnern. Wenn sich die Regierung Dienstag und Mittwoch zu einer Klausur zurückzieht, dann soll es zwar vordergründig um Digitalisierung und Bürokratieabbau gehen. Doch Merz und sein Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) machen kein Geheimnis daraus, dass sie von dem Treffen mehr erwarten: sich Zeit nehmen für Diskussionen, die im Regierungsgeschäft untergehen. Die Union erhofft sich von dieser gemeinsamen „Positionsbestimmung“ (Frei) nichts sehnlicher, als dass die SPD den von ihr vorgeschlagenen Weg zu Kürzungen im Sozialwesen mitgeht.
Denn bei der Union sorgte es unlängst für Ohrensausen, dass der wirtschaftliche Aufschwung trotz der angekündigten öffentlichen Milliardeninvestitionen ausbleibt. Die Frage, die bei den Konservativen kursiert, lautet: War es das wert, mit der Aussetzung der Schuldenbremse die eigene Glaubwürdigkeit zu verspielen? Dazu die geballte Wut des wirtschaftsliberalen und neurechten Lagers auf sich zu ziehen – und dann bleiben auch noch die Resultate aus?

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Vielleicht zählt diese Frage zu jenen, die von der Regierung in diesen Tagen diskutiert werden. Das wäre wünschenswert, nicht nur, um sich eine Wiederauflage des Theaters vom vergangenem Jahr zu ersparen – damit auf diesen „Herbst der Reformen“ kein „Winter der Entscheidungen“ folgt.
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