Polizeigewalt in Griechenland: Festgenommen und sexistisch beleidigt
In Athen wurden vor einer regierungskritischen Demo 18 Personen offenbar willkürlich verhaftet. Die Polizei soll zudem Gewalt angewendet haben.

Dazu hatten Angehörige der 57 Toten des verheerenden Zugunglückes im zentralgriechischen Tempi-Tal am 28. Februar 2023 aufgerufen. Die Angehörigen werfen Griechenlands konservativer Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis Verschleierung bei der juristischen Aufarbeitung des Frontalcrashes vor.
Sofort habe die Gruppe der 18 gemerkt, dass hinter dem Bus mehrere Fahrzeuge von Spezialeinheiten der griechischen Polizei zur Prävention und Bekämpfung von Kriminalität (O.P.K.E) sowie ein großes Aufgebot der Motorradpolizei fuhren, sagt ihr Rechtsbeistand Nikos Kolokotronis der taz. Später seien noch Zivilpolizisten in den Bus eingestiegen.
Offenkundig wurde die Gruppe schon zuvor von den Behörden observiert. Sie traf sich an einer baufälligen Wohnanlage direkt an der Bushaltestelle, wo sie auf den Bus warteten. Als die 18 aus dem Bus ausstiegen, wurden sie sofort von rund dreißig Polizisten umstellt. Der Aufforderung der Polizei, ihre Personalausweise zu zeigen, seien die 18 nachgekommen, erklärt Kolokotronis. Dies sei durch Videoaufnahmen belegt. Gegen die Leibesvisitationen hätten sie zu Recht protestiert. Kein gefährlicher Gegenstand sei bei der Gruppe gefunden worden.
Sexistische Beleidigungen
Die Athener Polizei habe dennoch eskaliert. Die Beamten teilte den 18 kurzerhand mit, sie würden in Polizeigewahrsam genommen. Die Frauen in der Gruppe seien gezielt mit sexistischen Beleidigungen wie „Ihr Schlampen, jetzt werdet ihr sehen, was euch blüht!“ überzogen worden, wie die Athener Tageszeitung Efsyn berichtet.
Die zuständigen Polizisten habe griechischen Medienberichten zufolge zudem Gewalt angewendet, um die 18 in einen wartenden Polizeitransporter zu stecken. Er brachte sie zur Athener Polizeidirektion Gada. Dabei seien unter anderem zwei deutsche Frauen verletzt worden. Eine der beiden sei von einem Polizisten auf die Brust gedrückt worden, die andere habe ein Polizist in den Schwitzkasten genommen. Beide durften erst Stunden später das Athener Krankenhaus Elpis aufsuchen. In einem Fall habe die Klinik einen Überweisungsschein für einen Gerichtsmediziner ausgestellt.
In der Nacht zum Sonntag wurde der Polizeigewahrsam in eine Verhaftung umgewandelt. Die Männer bleiben seither in der Gada-Zentrale in Haft, die Frauen sind in einer Polizeidirektion im Athener Bezirk Liosia im Westen der Stadt in Haft. Nach taz-Informationen sind die Zellen in Liosia voller Ungeziefer, mehrere Frauen klagen über Bettwanzenstiche. Ihre Haut ist von roten Pusteln und Quaddeln übersät.
Angeklagt wegen „Ungehorsam“
Am Montag wurde die Gruppe der 18 dem Athener Schnellgericht vorgeführt. Angeklagt sind sie wegen „Ungehorsam“, hier des Nichtvorlegens der Personalausweise, sowie der Weigerung, einen Fingerabdruck abzulegen – beides in Griechenland Vergehen, für die Freiheitsstrafen von höchstens sechs Monaten verhängt werden. Einziger Zeuge ist ein O.P.K.E.-Polizist. Er hat eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Das Schnellgericht verschob die Gerichtsverhandlung auf Mittwoch und verlängerte die Haft der 18 bis dahin.
Das Gericht folgte dem Antrag der Verteidigung, die darauf verwies, dass in der Verhandlung keine Übersetzer zugegen waren und ihm noch keine Strafakte vorliege. Für Verteidiger Kolokotronis ist die Sache klar: „Das ist leider die übliche Praxis der griechischen Polizei. Sie nimmt vor Antiregierungsdemos sogenannte ‚präventive Festnahmen‘ vor. In diesem Fall kommt die Gewalt seitens der Polizei dazu.“ Fest steht: Die Massendemo wegen Tempi fand ohne die 18 statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historikerin über rechte Körperpolitik
Die Fantasie vom schönen Volk
Linken-Bashing in der „Zeit“
Vom bürgerlichen Drang, über Mitte und Norm zu herrschen
US-Verteidigungsministerium umbenannt
Kriegsminister gibt es wieder
Höhere Bemessungsgrenzen
Gutverdienende sollen mehr Sozialabgaben zahlen
Prozess gegen Flüchtlingshelfer
Hilfe als Straftat?
Die Grünen und das Verbrenner-Aus
Peinliches Manöver, aber Kurve gekriegt