piwik no script img

25 Jahre später„Wer hat den NSU unterstützt?“

In Nürnberg fand eine Gedenkveranstaltung für Enver Şimşek statt, eines der Mordopfer der Anschlagserie des NSU. Die Angehörigen haben noch Fragen.

Eine Gedenktafel mit dem Abbild des vom NSU ermordeten Enver Şimşek hängt am Tatort an einem Baum in Nürnberg Foto: Daniel Karmann/dpa

Nürnberg taz | 25 Jahre nach dem Mord an Enver Şimşek versammelten sich am Dienstagabend rund 500 Menschen zur Gedenkveranstaltung in Nürnberg, organisiert vom “Solidaritätsnetzwerk der Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, um an ihn zu erinnern. Şimşek war ein Blumengroßhändler und das erste Opfer des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Er wurde im September 2000 in Nürnberg angeschossen und starb zwei Tage später im Krankenhaus. Dass der NSU hinter dem Mord stand, erfuhr die Familie erst elf Jahre später.

„Es schmerzt so sehr, wenn ich daran denke, was uns genommen wurde. Und der Schmerz wird mit den Jahren nicht weniger, im Gegenteil, er wird größer“, sagte die Tochter von Enver Şimşek, Semiya Şimşek auf der Gedenkveranstaltung am Dienstagabend. “ Ich versuche aber immer an die schönsten Zeiten zu denken: an unsere Fahrt nach Holland, wenn ich mit ihm in Blumentransporter unterwegs war, an seine Fürsorge, wenn er mir die Haare gekämmt hat, an sein Lächeln“ Sie war zum Zeitpunkt der Tat 14 Jahre alt und wurde gemeinsam mit ihrer Familie über Jahre verdächtigt. Lange vermutete die Polizei unter anderem Şimşeks Ehefrau hinter der Tat und ging sie davon aus, Şimşek sei im Drogengeschäft tätig gewesen. In der Presse war von „Dönermorden“ die Rede. Auch die Anwältin der Familie erinnerte am Dienstagabend daran, dass die Familie in der Zeit nach dem Mord „vom Staat kriminalisiert“ wurde. „Seine Würde und die Würde seiner Familie wurden mit Füßen getreten“, so die Anwältin. Unmenschlich und entwürdigend seien die Angehörigen von der Polizei behandelt worden, „obwohl sie ihre Angehörigen gerade erst verloren haben“.

Unter den Anwesenden war auch Gamze Kubaşık, Tochter von Mehmet Kubaşık, der 2006 in Dortmund ermordet wurde. Bis heute seien die entscheidenden Fragen offen geblieben, sagte die 39-Jährige: „Wer hat den NSU unterstützt? Welche Netzwerke haben mitgewirkt? Welche staatlichen Stellen haben versagt, weggeschaut oder vertuscht?“ Die Behörden, die Politik und die Justiz hätten das Vertrauen zerstört. Dennoch: „Wir sind nicht still geblieben.“

Kubaşık und Şimşek wandten sich zuletzt mit einer Petition an das Aussteigerprogramm „EXIT“ sowie an die Bundesregierung. Anlass war die Aufnahme der verurteilten NSU-Terroristin Beate Zschäpe in das Programm. Im Juli 2018 war Zschäpe wegen ihrer Beteiligung an der zehnfachen Mordserie des NSU zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt worden. Inzwischen ist sie im Aussteigerprogramm „EXIT“ aufgenommen worden. „Es darf nicht sein, dass eine Täterin, die Mitschuld an zehn Morden hat und keine Reue zeigt und nicht zur Aufklärung beiträgt, in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wird“, so Şimşek am Dienstag.

Beate Zschäpe ging 1998 gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Untergrund und bildete mit ihnen das Kerntrio der rechtsterroristischen Neonazi-Gruppe NSU. Zwischen 2000 und 2007 ermordete der NSU zehn Menschen – neun von ihnen aus rassistischen Motiven: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare