Sébastien Lecornu soll Regierung bilden: Weitermachen lautet die Parole in Frankreich
Nach dem Rücktritt Bayrous macht Präsident Macron den bisherigen Verteidigungsminister Lecornu zum neuen Premier. Er gilt als treuer Gefolgsmann.

Der heute 39-Jährige hat bereits eine beachtliche politische Karriere hinter sich. Er hatte zuerst als konservativer Lokalpolitiker in der Normandie verschiedene Ämter und galt als Anhänger von Nicolas Sarkozy. Doch dann verließ er die Partei Les Républicains, um sich der Bewegung En marche von Emmanuel Macron anzuschließen.
Er war von Beginn an, das heißt ab 2017, Mitglied in allen Regierungen. Zuerst als Staatssekretär, dann als Minister für Umweltfragen, danach für die Überseegebiete und schließlich ab 2022 Minister der französischen Streitkräfte. In der eher reibungslosen Zusammenarbeit mit den Militärs hat er sich in der Staatsführung einen Namen gemacht, blieb aber für die breitere Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt.
Hauptsache nicht anecken
Es wird darum von den Medien erwartet, dass Lecornu buchstabengetreu die Politik des Präsidenten weiterführen wird, möglichst ohne anzuecken. Wie beispielsweise die Wirtschaftszeitung Les Echos schreibt: „Er ist rund, diskret und kann mit allen reden.“ Damit wäre er genau das Gegenteil von Bayrou, der angeblich auf keine Einwände hörte und stur an seinen eigenen Vorschlägen festhielt, bis zu seinem Fall. Anders als Bayrou, der drei Mal bei Präsidentschaftswahlen kandidiert hatte, scheint Lecornu keine andere Ambition zu haben, als seinem Chef Macron ein effizienter Mitarbeiter zu sein.
Die Europawahl 2024 hat Frankreich in eine politische Krise gestürzt. Aus den vorgezogenen Parlamentswahlen ging das neue Linksbündnis als stärkste Fraktion hervor, gefolgt von Macronisten und RN. Keiner der Blöcke besitzt eine Mehrheit.
Lecornu soll dort weiterkommen, wo Bayrou versagt hatte: in der Suche nach einem Kompromiss und der Konzertation mit den Sozialpartnern und auch gegnerischen Parteien. Da die Konservativen grundsätzlich bereits seit dem Sommer 2024 mit den Macronisten zusammenarbeiten, eine Allianz mit den Rechtspopulisten aber als Tabu gilt, müsste es die Priorität des neuen Premierministers sein, Unterstützung in den Reihen der linken Opposition, namentlich bei den Sozialisten, zu finden. Andernfalls muss er befürchten, dass er schon sehr bald und bei der ersten Gelegenheit bei einem Votum über einen Misstrauensantrag gestürzt wird.
Der erste Test wird bereits die Wahl seiner zukünftigen Minister sein. Lecornu soll eine Regierung bilden, die in ihrer politischen Zusammensetzung eventuell bis hin in die Reihen der Opposition wenn nicht Zustimmung, so doch wenigstens eine vorläufige Duldung finden könnte. Umgekehrt hat der neue Regierungschef vom Präsidenten die Parole erhalten, dort weiterzumachen, wo Bayrou gescheitert ist, nämlich in der Debatte über den Staatshaushalt 2026 und die Verteilung der damit verbundenen Sparanstrengungen.
Erste Reaktion Macrons auf die aktuellen Proteste
Die Wahl der Kontinuität mit Lecornu ist zweifellos auch eine erste Antwort des Staatschefs auf die am Mittwoch beginnenden Proteste und drohenden Streiks der kommenden Wochen. Der Präsident steht unter Zeitdruck, die Ratingagenturen könnten Frankreich wegen der Verschlechterung der Finanzlage mit einer Herabstufung sanktionieren. Das erklärt es vielleicht, warum er es sich leisten kann oder will, das Angebot der oppositionellen Sozialisten in Betracht zu ziehen, die sich anerboten hatten, mit einer alternativen Haushaltspolitik die Aufgabe der Regierungsbildung zu übernehmen. Ein echte Chance, dabei eine Mehrheit in der in drei Blöcke zerstrittenen Nationalversammlung zu finden, wird den Sozialisten nicht gegeben.
Dass Macron darum einmal mehr die Idee ausschlägt, der Linken die Verantwortung zu geben, die als stärkster Block aus den Wahlen im Sommer 2024 hervorgegangen war, wird dem Präsidenten vor allem von links als selbstherrliches Beharren auf seinem Standpunkt und Provokation vorgeworfen. In Anbetracht der zahlreichen regierungsfeindlichen Aktionen auf der Straße mit dem Appell, Macron abzusetzen, klafft ein wachsende Distanz zwischen der Staatsmacht und großen Teilen der Bevölkerung.
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