Zukunft des Rentensystems: 7.000 Euro, vom Staat geschenkt
Im Finanzministerium wird an einem Gesetzentwurf zur „Aktivrente“ gearbeitet. Er könnte die Gerechtigkeitsdebatten befeuern, nicht abmildern.

Hoppenstedt hatte etwas Falsches behauptet. Dennis Radtke, Chef der CDA, des sozialpolitischen Flügels der Union, korrigierte später: „Wer freiwillig länger arbeitet, hat die ersten 2.000 Euro monatlich auf das zusätzliche Einkommen steuerfrei“. Der Verdienst zusätzlich zur Rente, nicht statt der Rente, soll steuerlich befreit werden. Wenn eine Führungskraft der Union schon nicht durchblickt bei den eigenen Vorhaben, ahnt man, dass die „Aktivrente“ eine heikle Sache ist.
Im Bundesfinanzministerium werde derzeit der Referentenentwurf zum Vorhaben „intensiv erarbeitet, damit wir ihn zügig vorlegen können“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage der taz. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im Interview mit dem ZDF einen Beginn der Steuerbefreiung ab dem 1.Januar 2026 in Aussicht gestellt.
Im Koalitionsvertrag zur Aktivrente sei vereinbart, „dass sie zusätzliche finanzielle Anreize für längeres freiwilliges Arbeiten schaffen wird und dabei Fehlanreize und Mitnahmeeffekte vermieden werden“, so die Sprecherin. Genau die Zielgenauigkeit der Maßnahme und die Mitnahmeeffekte aber sind das Problem.
Steuerfrei
Wenn jemand im gesetzlichen Rentenalter weiter arbeitet, trotz der Altersbezüge, sollen 2.000 Euro Gehalt im Monat steuerfrei sein. Die Frage ist nur, welche Gruppe genau gemeint ist. Sind es nur die ehemals Beschäftigten, die als Rentner:innen noch einen Job machen? Und was ist, zum Beispiel, dann mit den Selbstständigen, die mit 67 Jahren noch arbeiten, aber keine gesetzliche Rente beziehen?
Zu Einzelheiten will man sich im Finanzministerium noch nicht äußern. Dafür aber kursieren diverse Rechnungen, wieviel das Vorhaben an Steuereinbußen kosten könnte. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) errechnete steuerliche Mindereinnahmen von 2,8 Milliarden Euro im Jahr. Für Rentner:innen jenseits der Regelaltersgrenze, die ein Erwerbseinkommen durch sozialversicherungspflichtige Arbeit von bis zu 24.000 Euro im Jahr haben, kamen die Forscher:innen auf durchschnittliche Steuermindereinnahmen von jährlich 2.500 Euro pro Person. Für die Gutverdiener:innen im Rentenalter mit einem Verdienst von über 24.000 Euro errechneten die Forscher:innen steuerliche Mindereinnahmen von umgerechnet 7.900 Euro pro Person.
Die Aktivrente entlaste vor allem „besserverdienende Rentner:innen“ resümierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Forscher:innen kamen auf Mindereinnahmen von 770 Millionen Euro im Jahr, bei einer etwas anderen Datenbasis als das IW. Im Bundesfinanzministerium geht man von Mindereinnahmen von 900 Millionen Euro im ersten Jahr der Aktivrente aus, berichtete die Bild-Zeitung.
Steuermindereinnahmen bedeuten Steuergeschenke an die arbeitenden Ruheständler. Rentner:innen, die im Café auf einer Teilzeitstelle jobben, freuen sich natürlich über ein zusätzliches Mehreinkommen von 100 oder 150 Euro im Monat durch die Steuerbefreiung. Ein Mittel gegen Altersarmut ist die Aktivrente allerdings nicht.
Freibeträge
Wer Grundsicherung im Alter bezieht, kann nach wie vor nur sehr begrenzt hinzuverdienen, 70 Prozent des Einkommens werden hier angerechnet. Der Sozialverband VdK will, „dass die Hinzuverdienstregelungen der Grundsicherung im Alter an die des Bürgergeldes angeglichen werden“, teilte VdK-Präsidentin Verena Bentele auf eine entsprechende Anfrage der taz mit. Im Bürgergeld sind die Freibeträge deutlich höher.
Der VdK steht der Aktivrente „grundsätzlich skeptisch gegenüber“, so Bentele. Weite man den Kreis der Begünstigten auf Selbstständige, vorgezogene Altersrenten oder Pensionäre aus, „wären die Mitnahmeeffekte von denjenigen, die heute ohnehin schon im Alter dazuverdienen, noch höher“, so Bentele.
Ob die Aktivrente am Ende zu mehr Beschäftigung der Älteren führt, ist fraglich. 1,8 Millionen Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren sind erwerbstätig. 70 Prozent davon arbeiten in Minijobs, die heute schon steuerbefreit sind. Ein Drittel der Älteren jobbt aus finanzieller Notwendigkeit, sagen Studien.
Ob tatsächlich mehr Rentner:innen als bisher im Ruhestand weiterarbeiten, nur weil sie dann weniger Steuern zahlen müssen als bisher – das ist sehr fraglich. Der Gesetzentwurf könnte vielmehr den Streit um die Generationengerechtigkeit befeuern. Dann nämlich, wenn sich Jüngere fragen, warum denn ihr hart erarbeiteter Verdienst voll versteuert wird, während die Babyboomer:innen, die doch eine auskömmliche Rente beziehen, auch noch das Geld aus dem Nebenjob ganz steuerfrei behalten dürfen.
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