Personalkarussell bei der Grünen Jugend: Der nächste Versuch
Die bisherige Spitze zieht sich zurück, Nachfolger*innen stehen bereit. Ein Besuch an der Ostsee bei Henriette Held. Sie will die Grüne Jugend führen.
Am Donnerstag wird sie auf Instagram publik machen, dass sie als Bundesvorsitzende der Grünen Jugend kandidiert. Genauer gesagt, wie es im Verband offiziell heißt, als Bundessprecherin. Es ist kein einfaches Amt: weil den Grünen die jungen Wähler*innen weglaufen, weil das Verhältnis zwischen der Partei und ihrer Nachwuchsorganisation angeknackst ist und weil die Grüne Jugend selbst seit einer Weile für personelle Unruhe steht.
Vor einem Jahr schmissen die damaligen Bundessprecherinnen hin und verließen auch gleich die grüne Partei. Eine ihrer Nachfolgerinnen, Jette Nietzard, verkündete im Juli, nach nur einer Amtszeit wieder aufzuhören. Sie hatte es sich mit führenden Grünen verscherzt. In dieser Woche gab dann auch ihr Co-Vorsitzender Jakob Blasel bekannt, nicht wieder zu kandidieren.
Die Öffentlichkeit überraschte er mit diesem Schritt, intern war er aber abzusehen. Zwei Nachfolgekandidat*innen stehen schon bereit. Der eine ist Luis Bobga aus Nordrhein-Westfalen, aktuell Beisitzer im Bundesvorstand. Am Donnerstag macht auch er seine Bewerbung öffentlich. Die andere ist eben Henriette Held. Beide werden im Verband breit unterstützt. Ihre Chancen, auf dem Bundeskongress Mitte Oktober zur neuen Doppelspitze gewählt zu werden, stehen gut.
Die Anfänge: Zwei Tage, bevor die Kandidatur offiziell wird, sitzt Held am Hafen zwischen Sonnenschirmen und Liegestühlen, um sich der taz vorzustellen. Im ersten Satz erzählt Held, dass sie 23 Jahre alt ist und in Pankow aufwuchs. „Ostberlin“, wie sie sagt, auch wenn die Mauer bei ihrer Geburt schon lange nicht mehr stand und ihre Eltern aus dem Westen zugezogen waren. Im zweiten Satz kommt sie auf Greta Thunberg zu sprechen: Held ist 16, als die Schwedin in Stockholm den ersten Klimastreik startet und bald darauf Nachahmer*innen in Deutschland findet.
„Das hat mein ganzes Leben verändert“, sagt sie. „Mir wurde klar: Die da oben regeln die Klimakrise nicht. Wir müssen das irgendwie selber machen.“ Freitags geht sie selbst nicht mehr zur Schule, in Pankow organisiert sie Aktionen von Fridays for Future mit, an ihrem Gymnasium gründet sie eine AG Klimagerechtigkeit.
Der Umzug: Nebenbei macht Held Kunst, sie hätte auch gerne etwas in die Richtung studiert, aber vor dem Abitur kommt sie zum Schluss: Für das Klima reicht es nicht, Druck auf der Straße zu machen. Wer etwas verändern will, muss alle Hebel nutzen. Der eine ist das Recht. Beeindruckt ist sie zum Beispiel von der Klage, die dazu führt, dass das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz 2021 zum Staatsziel erklärt. Deswegen der Umzug aus Berlin in die 56.000-Einwohner*innen-Stadt Greifswald: Sie studiert dort Jura mit einem Schwerpunkt auf Umwelt- und Klimarecht.
Der andere Hebel sind die Parlamente, deswegen die Grüne Jugend. Schon in Pankow geht sie ein paar Mal zur Ortsgruppe, in Greifswald steigt sie richtig ein. Das hat noch einen zweiten Grund: Ihr Studienbeginn fällt in die Zeit von Corona, die Vorlesungen finden digital statt, in der neuen Stadt sitzt sie alleine in ihrer Wohnung. Die Parteijugend trifft sich aber regelmäßig, per Zoom oder mit Abstand im Freien. „Die Grüne Jugend war der einzige soziale Raum, wo ich Leute kennenlernen konnte.“
Der Horizont: Parteien decken mehr Themen ab als Bewegungen und Greifswald ist anders als Berlin. Helds Interessen werden breiter. Soziale Gerechtigkeit, sagt sie, war ihr neben dem Klima zwar schon früher wichtig. Auch wegen ihrer Mutter, die sich in der Kirche engagierte. Anderes rückt aber erst an der Ostsee richtig in ihren Fokus: Antifaschismus, der Osten und seine Sichtbarkeit oder der schwache öffentliche Nahverkehr auf dem Land.
Und eben: „soziale Räume“. Den Begriff lässt sie am Stadthafen immer wieder fallen, nicht nur, als es um ihren Start in Greifswald während der Pandemie geht. Auch als sie von ihrer Arbeit an der Spitze des kleinen Landesverbands mit seinen rund 200 Mitgliedern erzählt. Es gehe dort nicht nur um harte Politik. Man organisiere auch Partys und Hausaufgabenhilfen oder mache zusammen Sport. „Solche Angebote fehlen sonst in Mecklenburg-Vorpommern an vielen Orten, oder es herrschen dort rechte Narrative“, sagt sie. „Politik muss auch Spaß machen und Leute zusammenbringen, sonst können wir auch keine Mehrheiten organisieren.“
Die Bahn: Am prägendsten in ihren Greifswalder Jahren ist aber die Sache mit dem Zug zum Strand. 2022 macht die Grüne Jugend eine Umfrage in der Stadt. Nicht nur am Campus, sondern auch in den Stadtteilen, in denen der Frust tief sitzt und die Grünen einen schlechten Ruf haben. Die Parteijugend will von den Leuten wissen, was sie an Greifswald stört, und immer wieder hört sie: Schade, dass die Bahn nach Lubmin seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr fährt. „Es gibt hier Kinder, die 20 Kilometer von diesem Strand entfernt wohnen, aber noch nie dort waren, weil sich ihre Eltern kein Auto leisten können“, sagt sie.
Die Grüne Jugend startet eine Kampagne, sammelt Unterschriften. Jetzt plant die Bahn für das nächste Jahr tatsächlich, probeweise Züge von Greifswald nach Lubmin verkehren zu lassen. Die Resonanz, sagt Held, sei nur positiv gewesen. „Wir waren nicht mehr irgendwelche Grünen, die das Dieselauto oder das Steak verbieten wollen. Sondern wir haben gezeigt, wie positiv Veränderung aussehen kann.“ Best practice, aber was kann die Partei im Bund davon lernen, wo die Probleme größer sind als ein paar Kilometer Eisenbahn? An der Stelle klingt Held noch wolkig: „Die Grünen müssen weg vom weißen, akademischen Hauptstadtklientel und hin zu den 99 Prozent, die sich nicht gehört fühlen.“
Der Bruch: Die Nachricht vor knapp einem Jahr überrascht sie: Die Bundesspitze um Svenja Appuhn und Katharina Stolla tritt aus der Partei und der Grünen Jugend aus, mit ihr die Führungsebene vieler Landesverbände. Mit diesen Leuten verbindet Held eigentlich vieles. Auch sie wollen zu den Frustrierten, auch sie setzten auf niedrigschwellige Angebote wie Hausaufgabenhilfe. Die Enttäuschung über den Mitte-Kurs der Grünen in der Ampel ist beim Parteinachwuchs ohnehin Konsens. „Ich teile die Kritik an politischen Entscheidungen der Grünen in der Asylpolitik oder zum Kohleabbau in Lützerath“, sagt Held.
Dennoch bleibt sie, wie die meisten anderen aus Mecklenburg-Vorpommern. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens bricht man in Greifswald nicht so leicht mit den eigenen Leuten wie in Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main. Man findet nämlich nicht so leicht neue. Zweitens bleibt für Held das Klima zentral, während die Abtrünnigen am Ende lieber über den Klassenkampf redeten – und der ist mit den Grünen wirklich nicht zu führen. „Ich bin geblieben, weil ich noch Hoffnung habe in die Partei“, sagt Held. „In der Opposition gibt es die große Chance, dass die Grünen zu ihren Grundwerten zurückkehren.“
Der Vergleich: Ruhe kehrt bekanntlich auch nach dem Bruch nicht ein. Bei den Grünen ärgern sich die einen über provokante Posts der neuen Nachwuchschefin Jette Nietzard, die anderen über die teils brachiale Kritik an ihr, wieder andere über beides. Auch innerhalb der Grünen Jugend gibt es Debatten, selbst innerhalb der Doppelspitze: Nietzards Co-Vorsitzender Blasel war mit ihren Auftritten nicht glücklich, heißt es in der Partei. Dass er sich nun ebenfalls zurückzieht, habe auch mit diesem Konflikt zu tun. Eine Mehrheit hätte er für eine zweite Amtszeit wohl bekommen. Er habe aber einen klaren Schnitt machen wollen, damit der Verband den Konflikt hinter sich lassen kann.
Das Anliegen teilt offenbar auch Held. Sie hat eigentlich eine freundliche Art, am Hafen in Greifswald spricht sie fröhlich und laut. Als es aber um Nietzard und die Debatten der letzten Monate geht, antwortet sie nur noch knapp. „Es ist legitim, inhaltlich anderer Meinung zu sein als Jette. Die Grüne Partei hätte sich aber solidarisch verhalten müssen“, sagt sie. Ob sie Nietzards Stil richtig oder falsch fand, will sie nicht sagen. Auf die Frage, was sie anders machen wolle, antwortet sie, lieber über ihre eigenen Ziele sprechen zu wollen: „Ich werde mit Jette verglichen, weil wir beide junge blonde Frauen sind. Das ist auch eine Frage von Sexismus: Als Mann gäbe es diesen Vergleich wohl nicht.“
Der Stil: In Parteikreisen jedenfalls spricht man über Held wesentlich wohlwollender als über die Amtsinhaberin. Ein angenehmer Mensch sei sie, bei den Grünen in Mecklenburg-Vorpommern genieße sie einen guten Ruf. Es gehe ihr um die Sache, mit ihr könne man reden. Menschen aus der Grünen Jugend, die es gut mir ihr meinen, beschreiben sie als verbindende Person. „Mein Ziel ist es nicht, bequem zu sein. Mein Ziel ist es, in der Politik etwas zu verändern“, sagt Held selbst zwar am Hafen noch. Aber auch, dass sie auf die Parteiführung zugehen möchte. „Es wäre meine Aufgabe als Bundessprecherin, da in einen konstruktiven Austausch zu kommen.“
Vielleicht passt es also und der Grünen Jugend steht zur Abwechslung mal wieder ein bisschen Kontinuität bevor. Falls nicht: Irgendwann will Held sowieso noch ihr Studium beenden. Ihre Wohnung in Greifswald kündigt sie nicht, sie vermietet sie nur unter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Attentat auf Charlie Kirk
Ein Spektakel der Gewalt
Russische Drohnen über Polen
Testballon in Richtung Nato
US-Armee
Avantgarde des Faschismus
Die IG Metall und das Verbrenner-Aus
Gewerkschaft gegen Klimaziele
Buch über Erfolg der Nazi-Ideologie
Die Lust am Hass bleibt
ARD-Doku über Autos und Deutschland
Das Monster, ein Horrorfilm