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Friedrich Merz und SozialkürzungenUnklar, ob so viel Geld gespart werden kann

5 Milliarden Euro Sparpotenzial beim Bürgergeld? Das Sozialministerium stützt die Prognose des Kanzlers nicht, sondern nennt sie offenbar „unseriös“.

Friedrich Merz will Milliarden beim Bürgergeld einsparen. Aber sagt nicht wie: Im Arbeitsministerium ist man nicht begeistert Foto: dpa

Berlin taz | Bundeskanzler Friedrich Merz will beim Bürgergeld bekanntlich rund 5 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Das sagte er Anfang September in einem Interview mit dem Fernsehsender Sat1. Eine Grundlage für diese Zahl nannte er aber bis heute nicht – und selbst in der eigenen Regierung hält man sie offenbar für willkürlich gewählt.

Das ergab zumindest nach Angaben des Grünen-Bundestagsabgeordneten Timon Dzienus eine Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am vergangenen Dienstag. „Trotz mehrfacher Nachfrage konnte das Ministerium für Arbeit und Soziales nicht mal eine Zahl nennen, in welcher Höhe Geld eingespart werden soll. So musste das Ministerium selbst einräumen, dass eine solche Zahl völlig ‚unseriös‘ ist“, sagte er der taz. „Die vom Bundeskanzler herausposaunten 5 Milliarden Euro als Einsparung beim Bürgergeld sind populistischer Quatsch.“

Das SPD-geführte Ministerium wollte auf taz-Nachfrage nicht kommentieren, ob das Wort „unseriös“ in der nicht-öffentlichen Sitzung tatsächlich gefallen ist. Doch auch in der Antwort auf die schriftliche Nachfrage des Abgeordneten Dzienus, wie sich die 5 Milliarden Euro genau zusammensetzen, stellt sich das Sozialministerium nicht hinter die Zahl des Kanzlers.

Man erwarte, dass „verschiedene Maßnahmen ab dem Jahr 2026 zu Einsparungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende führen werden“, heißt es in dem Schreiben aus dem Ministerium. Ein konkretes Einsparvolumen fehlt aber.

Ein Angebot an Kanzler Merz

Und nicht nur das: Die vage Aussicht auf sinkende Ausgaben begründet das Ministerium unter anderem damit, dass neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine in Zukunft nicht mehr Bürgergeld erhalten, sondern Asylbewerberleistungen. In einem entsprechenden Gesetzesentwurf hatte die Regierung allerdings schon vor Wochen eingeräumt, dass der Bund dadurch unterm Strich nichts spart. Die entsprechenden Ausgaben finden sich künftig nur in anderen Teilen des Haushalts.

Die vom Bundeskanzler rausposaunten 5 Milliarden Euro als Einsparung beim Bürgergeld sind populistischer Quatsch.

Timon Dzienus, Grüne

Daneben stützt das Ministerium seine Vorhersage auf generelle Änderungen beim Bürgergeld, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden und im Herbst umgesetzt werden sollen. Dazu zählen unter anderem verschärfte Sanktionen. Eine „wichtige Voraussetzung“ für Einsparungen bleibe jedoch eine „konjunkturelle Belebung“. Sprich: Es braucht erst mal bessere Jobchancen für Bürgergeldempfänger*innen.

„Wer 5 Milliarden Euro einsparen möchte, müsste wohl von Armut betroffenen Kindern auch noch das Mittagessen wegnehmen und noch mehr Menschen in die Obdachlosigkeit stürzen“, schließt der Grünen-Abgeordnete Dzienus aus der Antwort. „Das wäre nicht nur unmenschlich, sondern offensichtlich verfassungswidrig.“ Einsparungen in dieser Größenordnung seien „unsozial und unrealistisch“. Die „Hetze gegen arme Menschen“ müsse aufhören.

Sinnvoller sei es, mehr in die Qualifikation von Menschen zu investieren, damit diese gut bezahlte Jobs fänden. „Wir müssen Menschen Mut machen, ihr Leben selbstbestimmt und in Würde zu führen, statt ihnen die Schuld für schlechte Staatsfinanzen anzuhängen. Das hilft den Menschen, schafft Teilhabe und kann die Ausgaben langfristig senken“, sagte Dzienus.

Dem Bundeskanzler machte er ein Angebot: „Ich lade Herrn Merz ein, auch nur eine Woche mit mir im Regelsatz des Bürgergelds zu leben und sich von 6,50 Euro am Tag zu ernähren.“ Den „Multimillionär im Kanzleramt“ würde das „die Lebensrealität vieler Menschen in diesem Land näherbringen“.

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5 Kommentare

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  • Ja, Merz ist ein Populist.



    Das hat ihn zum Kanzler werden lassen.



    Denn die Deutschen glauben heute lieber, dass es einfache Lösungen gibt, als dass beispielsweise Sparen weniger Ausgaben bedeutet.



    Sämtliche Aktionen des neuen Kanzlers, im In- und Ausland waren von viel TamTam begleitet aber völlig ergebnislos.



    Merz hat sich von seiner Oppositionsrolle noch nicht verabschiedet.



    Er und seine UnionsministerInnen opponieren fast täglich gegen den Koalitionspartner. Das ist wenig zukunftsweisend.



    Merz mangelnde Regierungserfahrung tritt nun offen zutage: er gibt einen Koalitionsvertrag und wenn Merz die Legislaturperiode zu Ende regieren will, wird es Zeit für Zusammenarbeit.



    Davon ist bei der Union bisher nichts zu erkennen.



    Das Arbeitsministerium muss gar keine Einsparmaßnahmen nennen, denn Frau Bas spielt ja nicht mit derartigen Summen in der Öffentlichkeit.



    Die Tonlage gegen das zuständige Ministerium geht also völlig fehl.



    Merz ist der Adressat.



    Auch wenn es einfach erscheint " die Regierung" zu kritisieren, so ist doch offensichtlich, dass Union und SPD keineswegs deckungsgleiche Ziele haben.



    Es ist irreführend, Anderes zu berichten.

  • Merz schien sich anfangs noch zu schämen, als er öffentlich log.



    Aus Angst.



    Das scheint er sich langsam abzutrainieren.



    Eine Union, die konservativ bremst und einen eher traditionellen, "anständigen", "sauberen" Teil der Bevölkerung repräsentiert, hätte durchaus eine wichtige Funktion.



    Was aber, wenn sie sich an den Reps in den USA und deren Rücksichtslosigkeit zu orientieren beginnt?



    Wahrheit verlange ich jeder Partei ab.

    Und der Union, ihre christlich-soziale Tradition rasch wiederzuerkennen.

  • Seit wann scheren sich Populisten wie Merz um Fakten? Hauptsache das eigene Klientel wird angesprochen und die Neiddebatte weiter von oben angeheizt.

  • Und mit den 6,50 Euro pro Tag für essennund trinken komme ich locker im Monat aus. Allerdings nur, wenn ich selbst koche und mich nicht bedienen lasse und konsequent und mit Verstand Sonderangebote kaufe und mindestens drei Lebensmittler im Umkreis habe.



    Da ist besonders die Land Bevölkerung im Nachteil.

  • Die Argumentation es sind keine 5 Milliarden sondern vielleicht nur eine und daher sollte man die Diskussion zu der Sache beenden ist generell, und das bei jeder Thematik, so was von einfältig und eigentlich der Versuch, irgendeine notwendige Veränderung mit einem Sprechverbot rigoros zu beenden.



    Es gibt nicht eine einzige Maßnahme mit der alle Finanzprobleme behoben sind. Jeder Bereich, Kultur und Entertainment, Soziales, Bürokratie oder die tausenden Budgets der Kommunen und Ortsbeiräte müssen mit weniger auskommen und nicht nur die arbeitende Bevölkerung.