
Georgischen Queers droht Abschiebung: Unsicher im Herkunftsland
Fagatta und Adora sind vor Gewalt wegen ihrer Geschlechtsidentität aus Georgien geflohen. Doch Deutschland glaubt ihnen nicht.
I n einem Hinterhof-Club in Berlin-Wedding malt Fagatta sich ein Clownsgesicht. Weißes Puder, schwarzer Schnurrbart, grüner Lidschatten. Eyeliner, der in geschwungenen Zacken bis zu den Augenbrauen reicht, an den Spitzen wie gekrönt von Piercings. In einer Stunde beginnt die Dragshow, bei der Fagatta auftreten will, aber noch hängen die Perücken ungekämmt über den Türen und die Performer*innen drängen sich hinter kleinen Spiegeln, die an Getränkekisten lehnen. Fagatta zieht den Lidstrich nach und erzählt von der Pride in Tbilissi 2023, bei der ein rechtsextremer Mob vor Veranstaltungsbeginn das Festgelände stürmte. Es war ein Tag wie dieser, Fagatta bereitete sich auf einen Auftritt vor. Rückblickend ist es der Moment gewesen, in dem Fagatta begriff, dass Georgien nicht mehr sicher ist.
„Sie haben mein Make-up zerstört, meine Kostüme“, sagt Fagatta und zeigt auf die Pinsel und Fake-Wimpern, die verstreut auf der Theke liegen, so wie damals. „Alles, was ich über zwei Jahre hinweg angesammelt hatte.“ In den Videos, die Journalist*innen an dem Tag machten, kann man sehen, wie die Angreifer Regenbogenflaggen zerreißen und Brände legen. Fagatta habe den eigenen Rucksack in dem Beweismaterial erkannt, ein Kleid. „Ich habe noch nie so einen Hass erlebt“, sagt Fagatta. „Und ich war mir in diesem Moment sicher: Wäre ich dort geblieben, wäre ich verletzt oder sogar getötet worden.“
Fagatta floh und versteckte sich. Tagelang traute sich Fagatta danach nicht, das Haus zu verlassen. In dem Angriff hatte sich verdichtet, was Fagatta schon vor dem Outing als nicht binäre Person begleitete: die ablehnenden Blicke, die verbalen und körperlichen Angriffe auf der Straße, das Gefühl bedroht zu sein. Lange hielt Fagatta dieser Angst die Hoffnung entgegen, dass der Staat sich im Notfall schützend vor die queere Minderheit stellen würde. Doch an jenem Julitag habe die Polizei kaum eingegriffen, der Verwüstung nur zugeschaut.
Adora, 22
Es war die fehlende Sicherheit, die Fagatta aus Georgien trieb. Es war der Drag, der Fagatta nach Berlin zog. Die Sehnsucht nach einem Leben, das sich anfühlt, als wäre es tatsächlich das eigene. Rund drei Monate nach dem Angriff, am 15. Oktober 2023, erreichte Fagatta Deutschland. Wiederum einen Monat später stufte die Bundesregierung Georgien als sicheres Herkunftsland ein – und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lehnte Fagattas Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ ab. Fagatta klagte gegen die Entscheidung, hat seitdem aber noch keine Antwort vom Gericht. „Meine größte Angst ist, dass ich zurück nach Georgien muss, dass ich abgeschoben werde“, sagt Fagatta und schwärzt den ohnehin schon dunklen Schnurrbart.
Die Angst „glaubhaft“ nachweisen
Dann beginnt die Show, Fagatta zwängt sich in ein Korsett, schlüpft in hochhackige Pumps mit Riemchen, kämmt ein letztes Mal die blonde Perücke. Greift nach einer Miniatur-Handtasche und klemmt eine selbst genähte Voodoo-Puppe in die Brusttasche des Blazers. Begleitet von Lady Gagas „Donatella“ und dem Jubeln der Menge steigt Fagatta auf die Bühne.
Schon vor der Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland lag die Schutzquote georgischer Asylsuchender bei nur 0,3 Prozent. Doch das neue Gesetz – ein Puzzlestück im Rahmen des Migrationsabkommens, auf das die beiden Länder sich im Dezember 2023 einigten – steigerte die Hürden weiter. Menschen wie Fagatta müssen „glaubhaft und konkret“ nachweisen, dass sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung verfolgt werden. Wie oft das tatsächlich gelingt, erfasst das Bamf nach eigener Auskunft nicht, ebenso wenig wie die Gründe, warum Menschen Asyl suchen.
Doch dass die Chance auf Schutz verschwindend gering ist, lässt sich aus der Asylstatistik ablesen: Im Jahr 2024 beantragten 2.635 Georgier*innen erstmalig Asyl. Eine Person wurde als Flüchtling anerkannt, drei weitere erhielten subsidiären Schutz. Im gleichen Jahr schob Deutschland 1.600 Georgier*innen ab – so viel wie in kein anderes Land. Und auch die Rechte der Schutzsuchenden sind seitdem eingeschränkter: So hatte Fagatta statt zwei Wochen nur eine Woche Zeit, um Klage gegen die Entscheidung des Bamf einzureichen – außerdem hat Fagatta keine Arbeitserlaubnis, darf Deutschland nicht verlassen. Wartet darauf, dass das Leben hier beginnt.
Am Landwehrkanal in Kreuzberg läuft Adora neben ihrer Freundin Nia. Beide tragen schwere, schwarze Plateaustiefel, die einen einträchtigen Rhythmus vorgeben. „In den Vororten von Tbilissi ist es besonders schlimm“, sagt Adora. „Da musst du dich verstecken.“ – „Im Zentrum habe ich mich auch versteckt“, entgegnet Nia. „Wenn ich einkaufen ging, habe ich mich abgeschminkt, meine Perücke abgenommen, sodass niemand wusste, wer ich war. In der U-Bahn haben sie mich angegriffen: ‚Du bist ein Mann, verhalte dich wie einer.‘ Danach bin ich nie wieder gefahren.“
Geteilte Erfahrungen
Adora nickt. Keine trans Frau muss einer anderen erklären, warum sie in Georgien keine U-Bahn fährt. Aber hier ist ihre Lebensrealität zu einem Bündel an Argumenten zerfasert – so, als dürfe jede*r Zuhörende darüber urteilen, ob sie ein Recht haben zu bleiben. Sie setzen sich nebeneinander auf eine Bank am Ufer, rauchen und schauen aufs Wasser. Adora hat die Beine übereinandergeschlagen, die Locken mit Spangen zurückgehalten. Nach einer Weile sagt Nia: „Für Deutschland ist Georgien ein sicheres Herkunftsland – aber sie wissen nicht, was dort vor sich geht.“ – „Ich denke sie wissen es“, entgegnet Adora.
Adora entschied sich erst in diesem März, Georgien zu verlassen. Im August ist sie 22 Jahre alt geworden – ihr erster Geburtstag fern der Heimat. Im Gegensatz zu Fagatta kam Adora in dem Wissen, dass Deutschland ihr Herkunftsland als sicher einstuft. Trotzdem hoffte sie, dass ihr Fall Erfolg haben würde. Dass das, was sie zu berichten hatte, reichen würde, um ihr Schutz zu gewähren. „Es begann mit Angst“, sagt sie, die gebleichten Augenbrauen konzentriert zusammengezogen. Sie meint ihr Leben als trans Frau: häusliche Gewalt, ein Vater, zu dem sie bis heute keinen Kontakt hat. Ein Vorort, in dem die Mitschüler*innen sie schon beschimpften, bevor sie selbst begriffen hatte, dass sie trans ist. Immer wieder körperliche Übergriffe.
Mit 21 Jahren zieht Adora ins Zentrum der Stadt, um der Gewalt zu entkommen. Sie outet sich und beginnt ihre Transition, zumindest, soweit sie ihr möglich ist: Sie nimmt ein Medikament, um ihren Testosteronspiegel zu senken, ohne ärztliche Aufsicht. Die Angst bleibt, wächst. Denn im September 2024 stimmt das georgische Parlament für einen Gesetzesentwurf der Regierungspartei Georgischer Traum: Ein Gesetz zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“ nach russischem Vorbild.
Fagatta, Dragkünstler*in
Damit können Behörden gleichgeschlechtliche Ehen, medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung oder die Adoption von Kindern durch queere Menschen verweigern. Pride-Veranstaltungen sowie die Regenbogenflagge können verboten, Bücher und Filme rund um Queerness zensiert werden. Einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes wird Kesaria Abramidze, ein bekanntes trans Model und Schauspielerin, von ihrem Partner erstochen.
Der alltägliche Mord an trans Frauen
„Ich bin damit aufgewachsen, dass trans Frauen getötet werden“, sagt Adora. Ihre Freundin Nia starrt ins Leere. Nia ist bereits seit über drei Jahren hier, floh, nachdem eine bewaffnete Gruppe von Männern nach einer Pride auf sie losging. Im Gegensatz zu Adora hat sie keine Mutter, die sie finanziell unterstützt; das Geld für Deutschland hat sie als Escort verdient.
Auch ihr Antrag wurde abgelehnt, auch sie klagte gegen die Entscheidung und wartet bis heute auf Antwort. „Wie sollen wir uns eine Zukunft in Georgien vorstellen, wenn wir keine trans Frau alt werden sehen?“, fragt Adora. Es wäre ein geheimes Leben, ein bedrohtes; eines, das vor allem an den Wochenenden stattfindet, in den Bars und Clubs. Eines, auf das sich Adora nicht begrenzen will. „Ich will nicht in meiner Blase bleiben“, sagt sie. „Ich will mich frei bewegen, ich will U-Bahn fahren, ich will alt werden.“
Als im Herbst 2024 die Massenproteste in Tbilissi begannen, stand auch Adora auf der Straße, sah zu, wie Freund*innen gewaltvoll verhaftet wurden, bis zu dem Punkt, an dem sie den Glauben an den Rechtsstaat endgültig verlor. „Ich hatte das Gefühl, wir gehen rückwärts“, sagt sie. Also floh sie nach vorn.

Die ersten zwei Wochen in Deutschland blieb Adora in einem Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf, bevor sie umzog. Jetzt wohnt sie mit drei anderen trans Frauen aus unterschiedlichen Ländern in einem Zimmer, die Betten durch Stoffbahnen getrennt. Sie versucht, nicht zu viel über die Entscheidung des Gerichts nachzudenken. Sie geht zum Sprachkurs, auf Partys, trifft Freund*innen aus Georgien, die ihr Schicksal teilen. „Ich stecke immer noch im Überlebensmodus“, sagt Adora. „Ich hab’s noch nicht rausgeschafft.“
Gerichte äußern Zweifel
In den vergangenen Jahren haben mehrere deutsche Verwaltungsgerichte queeren Schutzsuchenden aus Georgien Recht gegeben. Schon 2020 bescheinigte das VG Berlin dem georgischen Staat ein „systematisches Schutzproblem“ und eine teilweise aktive Beteiligung an der Vereitelung queerer Rechte. Im Jahr 2022 mahnte dasselbe Gericht, sich bei der Prüfung der Anträge nicht auf körperliche Übergriffe zu beschränken.
„Gewalttätige Übergriffe bilden nur die schwerwiegendsten Manifestationen einer weit verbreiteten homophoben und transphoben Grundhaltung“, heißt es im Urteil. Der Umstand, dass sich in Tbilissi eine aktive queere Szene gebildet habe, führe nicht dazu, dass sich Menschen im alltäglichen Leben nicht mehr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sähen.
Im November 2024 äußerte eine Richterin am VG Meiningen Zweifel an der Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland. Das VG Berlin führte im März 2025 darüber hinaus Zweifel an, ob diese Einstufung mit EU-Recht vereinbar sei – und ergänzte im Mai die Forderung, queere Menschen aus Georgien aufgrund der Verfolgung durch den georgischen Staat und nicht staatliche Akteure als Flüchtlinge anzuerkennen.
Fagattas Hoffnung auf Asyl ist seit der Verabschiedung des Anti-LGBTIQ-Gesetzes gewachsen. „Als ich Georgien verließ, war die Situation nicht viel anders als heute“, sagt Fagatta. „Aber es war nicht offiziell.“ Das Gesetz mache für jede*n sichtbar, dass der Staat ihre Existenz auszulöschen versuche. „Deswegen hoffe ich, dass Deutschland seine Entscheidung überdenkt.“
Nichts wichtigeres als die Show
Fagatta hat eine Decke im Schlosspark Charlottenburg ausgebreitet, in der Nähe der Unterkunft, in der Fagatta mit Partner seit etwas mehr als einem Jahr lebt. Die Dragschminke ist weg und hat ein blasses Gesicht mit dunklen Augen freigegeben. Es liegt etwas Verletzliches, Unruhiges in Fagattas Blick, eingerahmt von zwei Haarsträhnen, die sich auf der Haut kringeln. Fagatta kommt fast jeden Tag hierher. „Ich versuche, in Bewegung zu bleiben“, sagt Fagatta. Das gleiche hat Adora gesagt, als sie am Landwehrkanal entlang ging. In Bewegung bleiben, Bewegung spüren, wo sich nichts bewegt.
Es dauerte sechs Monate, bis Fagatta damals den negativen Asylbescheid erhielt. „Am Anfang bin ich gut klargekommen“, erzählt Fagatta. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich noch solch eine Stärke in mir hatte.“ Doch mit den Wochen des Wartens ging es Fagatta immer schlechter. „Jeder Tag beginnt mit einem Fragezeichen, die Unsicherheit begleitet dich ständig.“ Über mehrere Monate sagte Fagatta alle Dragshows ab. Obwohl es kaum etwas Wichtigeres gebe.
Die Szenarios in Fagattas Kopf drehen sich immer wieder auch um die damalige Entscheidung für Berlin. Wäre Fagatta stattdessen nach Brüssel gegangen, dann hätte sie bereits einen Aufenthaltstitel, dürfte arbeiten, sich eine eigene Wohnung suchen, reisen. Belgien hat Georgien 2023 von der Liste sicherer Herkunftsländer gestrichen, unter anderem wegen der Situation queerer Menschen. Dort stehen die Chancen auf Asyl besser. Aber solange ihr Verfahren in Deutschland läuft, kann Fagatta nicht weg.
Sollte Fagatta Asyl bekommen, steht der Plan längst parat: B2-Sprachkurs, dann eine Ausbildung als Kostümdesigner*in. Nebenbei jobben, um weiter als Dragkünstler*in auftreten zu können. „Ich arbeite lieber, als Geld vom Staat zu bekommen“, sagt Fagatta. „Ich möchte unabhängig sein.“ Fagattas Anwalt sei bei dem letzten Telefonat optimistisch gewesen. Aber Fagatta kennt auch Geschichten wie die von Adora, die nach Verabschiedung des Anti-LGBTIQ-Gesetzes geflohen sind – und trotzdem kein Asyl bekommen haben.
Ein Leben abseits von Bars
Adora hat die Abschrift ihrer mehrstündigen Anhörung mitgebracht; außerdem ihren Bescheid, vierzehn Seiten Begründung zu der Ablehnung ihres Asylgesuchs, die Adora mit männlichen Pronomen anspricht. Sie geht eine Reihe queerer Bars und Clubs durch, die das Bamf gleich zweimal hintereinander angeführt hat, um zu belegen, dass es in Tbilissi eine gefestigte queere Szene gebe. „Die hat zugemacht“, sagt Adora und zeigt auf die Liste. „Die auch. Und der Bassiani-Club ist einfach nur ein Techno-Club.“ Sie lässt das Papier sinken. „Und abgesehen davon“, sagt sie: „Soll ich mein Leben in Bars und Clubs verbringen?“
Das Schreiben räumt ein, dass körperliche Gewalt gegen Transgender-Personen weit verbreitet sei, der Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnungs- und Arbeitsmarkt eingeschränkt. Doch auch wenn der Schutz durch den georgischen Staat vor Verfolgung in Ausnahmefällen nicht hinreichend gegeben sei, heißt es in dem Schreiben, erreichten Diskriminierungen in der Regel nicht die schutzrelevante Intensität. „Bei einer Rückkehr nach Georgien hat der Antragsteller keine Verfolgungsmaßnahmen durch den Staat zu befürchten“, steht dort.
In ihrer Anhörung hat Adora von der Angst gesprochen, nach Georgien zurückkehren zu müssen. Vor allem sorgt sie sich um den Einzug ins Militär: Da sie ihren Geschlechtseintrag nicht ändern lassen kann, ist sie zum Wehrdienst verpflichtet. „Davon ist in dem Schreiben keine Rede“, sagt sie. „Sie haben nur drei Tage für diese Antwort gebraucht. Ich vermute, es ist in großen Teilen einfach eine Kopie.“ Das Label des sicheren Herkunftslandes, so Adoras Eindruck, wiegt schwerer als ihre Worte.
Diese Publikation wurde mit Unterstützung von n-ost erstellt und von der Stiftung Erinnern, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsagenda zu NS-Unrecht gefördert.
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