AfD bei den NRW-Wahlen: Henze statt Hetze in Gelsenkirchen
Die blaue Welle blieb bei den Kommunalwahlen in NRW aus. In Gelsenkirchen schaffte es die radikal rechte AfD es trotzdem in die Stichwahl.
Es ist ein Satz, den man innerhalb der extrem rechten AfD dieser Tage oft sagt und wie er vielfach – wohlgemerkt nicht-öffentlich – von Parteivertretern geäußert wird: „Wir hätten in Gelsenkirchen auch einen Besenstiel aufstellen können und er wäre gewählt worden.“
Früher hat man das in den Arbeiterstadtteilen im Ruhrgebiet in der SPD gesagt – heute sagt man das bei den Rechtsextremen. Sie profitieren von der schlechten politischen Stimmung, Abstiegsängsten, rassistischen Debatten, verfallenden Stadtteilen. Die AfD hetzt Arme gegen noch Ärmere auf und es verfängt. Der Rechtsruck nicht nur der Union auf Bundesebene und der weltweite Kulturkampf der globalen Rechten tun ihr Übriges.
Im Norden des Ruhrgebiets lässt sich beobachten, dass Rechtsextremismus mitnichten ein Ost-, sondern ein gesamtdeutsches Problem ist. Obwohl der OB-Kandidat der AfD in Gelsenkirchen, der 72-jährige Rentner Norbert Emmerich, nicht einmal einen Social-Media-Auftritt hat und politisch eigentlich nur über nennenswerte Erfahrungen als Meckerrenter verfügt, bekam er bei der OB-Wahl in Gelsenkirchen 29,8 Prozent. Die AfD hat es damit wie auch in Duisburg und Hagen in die Stichwahl geschafft.
Die extrem Rechten sind vor allem oberhalb der A40 erfolgreich – dem Sozialäquator NRWs. Nördlich von der Autobahn gab es bis zuletzt noch Steinkohleabbau, große Arbeiterviertel und bis heute große Probleme mit dem Strukturwandel. In Gelsenkirchen schlossen die letzten Zechen im Jahr 2000, die Stadt ist eine der ärmsten in Deutschland, hat hohe Arbeitslosenzahlen, viele Schrottimmobilien, einen schlecht spielenden Zweitligaverein. Ähnlich ist es in Herne, Oberhausen und in den nördlichen Stadtteilen von Dortmund, Essen, Bochum und Duisburg.
Enttäuschte AfDler
Dennoch lässt sich konstatieren, dass eine auch medial beschrieene „blaue Welle“ auf kommunaler Ebene ebenso ausblieb wie in Ostdeutschland die flächendeckende Übernahme der Rathäuser. Dort verlor am Sonntag auch im brandenburgischen Nauen ein Neonazi-Kandidat für die AfD im ersten Wahlgang eine Bürgermeisterwahl – viele AfD-Leute hatten sich mehr ausgerechnet. In den erreichten Stichwahlen wird die AfD im Ruhrgebiet mutmaßlich deutlich unterliegen – auch weil die Brandmauer hier noch auf allen Ebenen als intakt gilt.
Und so gewann auch in Gelsenkirchen am Ende die SPD-Kandidatin, die Verwaltungswissenschaftlerin Andrea Henze im ersten Durchgang deutlich mit 37 Prozent. Henze sagte der taz, das starke Abschneiden der AfD sei erschreckend, aber nicht überraschend. „Die Herausforderungen der Stadt sind groß, und es gab wahrlich keinen Rückenwind durch gute Arbeit der Koalition in Berlin.“
Die Menschen in Gelsenkirchen hätten das Gefühl, seit Jahren von Land und Bund vergessen worden zu sein. Daraus resultierten Vorurteile und Abneigungen gegen „die Politik“, „gegen die auch noch so motivierte Kommunalpolitiker nicht immer ankommen“, so Henze, die im Wahlkampf über 400 Termine absolviert hatte und bis zur Stichwahl am 28. September weiter auf Tour ist.
Die SPD-Kandidatin bleibt optimistisch: „Trotz alledem kann man sagen: Gelsenkirchen hat mit deutlicher Mehrheit demokratische Kräfte gewählt.“ Überhaupt keine Rolle spielt die AfD in Münster (4,5 Prozent), Aachen (7,7) und Bonn (6). Und in vielen Gemeinden fand die AfD nicht einmal Besenstiele zum Aufstellen. Tatsächlich zeigt die Wahl erneut, dass auch die AfD ihre Wähler*innen mobilisieren muss und dass dies nicht immer erfolgreich ist und auch kein Automatismus.
Trotz ihres bundesweiten Höhenflugs in den Umfragen wählten die extrem rechte Partei weniger Wähler als noch bei der Bundestagswahl. Dort kam sie mit 1,7 Millionen Wähler*innen auf 16,4 Prozent, nun bekam sie eine halbe Million Stimmen weniger 1,1 Millionen und 14,5 Prozent.
Ein Grund zur Entwarnung ist das dennoch nicht: Die extrem rechte AfD hat ihr Ergebnis trotz eines durchwachsenen Wahlkampfs und einer zutiefst zerstrittenen Landespartei um 9,4 Prozentpunkte gegenüber 2020 gesteigert. Die AfD wird in NRW nun landesweit mit 552 statt 186 Vertretern in den Kommunalparlamenten weiter spalten, hetzen und Sand ins Getriebe der Demokratie streuen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Aktivistin über Autos in der Stadt
„Wir müssen Verbote aussprechen“
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
Kein Bock auf Sahra
Soziologin über AfD
„Rechte Themen zu übernehmen, funktioniert nicht“
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
Kein Protest gegen Schwarz-Rot
Die IG Metall und das Verbrenner-Aus
Gewerkschaft gegen Klimaziele
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
Alles guckt nach Gelsenkirchen