Tagebuch von der Refugee-Karawane: Willkommenskultur fängt mit Solidarität an
Ab Samstag sind Geflüchtete mit einer Protest-Karawane von Thüringen nach Berlin unterwegs. Die Somalierin Muna Abdi berichtet davon in einem Tagebuch.
Dieser Morgen ist für mich keiner wie alle anderen. Er beginnt mit Reisestimmung. Ich packe meine Tasche, nehme einen Zug von meinem Wohnort, kaufe einen Kaffee am Hauptbahnhof und treffe dort die Freund:innen, mit denen ich gemeinsam reisen werde. Wir machen uns auf den Weg von Darmstadt in Hessen nach Thüringen. Eine Woche wollen wir nun zusammen unterwegs sein bei der „Karawane für Bewegungsfreiheit“: Proteste, Camping, Ausschwärmen für kreative Aktionen, Empowerment, Demos und eine Abschlussparade in Berlin.
Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015.
Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.
Als junge Migrantin kam ich 2024 nach Deutschland und trug sowohl Träume als auch Ängste mit mir. Jede Straße kam mir fremd vor, jedes Wort in einer neuen Sprache war voller Unsicherheit. Die Einsamkeit ließ die Tage manchmal länger erscheinen, als sie waren.
Schon bald wurde ich aus dem Erstaufnahmelager in ein Heim für Asylsuchende verlegt. Mitte 2024 sollte ich dann abgeschoben werden. Glücklicherweise fand ich Unterstützung bei Aktivist:innen und Gemeindegruppen, die mir in dieser schwierigen Zeit zur Seite standen.
Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort an der Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.
Sie brachten mich aus der Gefahrenzone an einen sicheren Ort, in ein Kirchenasyl, wo ich der Abschiebung entging. Sie schufen Räume, die nicht nur Schutz vor Abschiebung boten, sondern auch eine Gemeinschaft, die sich um mich kümmerte und mich ermutigte.
Es war ein Umfeld, in dem ich Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen, unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Kultur traf, die jedoch alle einen gemeinsamen Wert teilten: Solidarität und Einheit. Wir wurden wie eine Familie, wir kochten und aßen zusammen, spielten verschiedene Spiele und wurden zu einer Familie, in der wir lebten und uns sicher fühlten. Ich kann sagen, dass da für mich die echte Willkommenskultur begann.
Es ist für mich nun das erste Mal, dass ich an solchen Aktivitäten wie der Karawane teilnehme. Welcome United ist ein Netzwerk lokaler Gruppen in verschiedenen Städten Deutschlands. Sie kämpfen für gleiche Rechte und Gemeinschaft für alle. Als jemand, der wegen einer drohenden Abschiebung in einem Kirchenasyl leben musste, ist es für mich etwas Besonderes, daran teilzunehmen. Ich glaube, dass es der richtige Zeitpunkt ist, meine Stimme für die Solidarität zu erheben, die auch mich vor der Abschiebung bewahrt hat.
Während dieser Woche der Karawane wollen wir laut sagen: Stoppt alle Abschiebungen, schafft die rassistische Bezahlkarte ab, Wohnraum ist ein Recht, stoppt die Todesfälle auf See und alle Zurückweisungen. Wir fordern Recht auf Arbeit, Familienzusammenführung jetzt, gleiche soziale und politische Rechte für alle und noch lauter: Keine Deals mit Faschisten und Rassisten.
Das Tagebuch wird fortgesetzt.
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