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Grünen-Fraktion und KinderarmutKindergrundsicherung jetzt noch mal anders

In der Ampel scheiterte das „größte sozialpolitischen Vorhaben“ der Grünen. Jetzt erarbeitet die Partei ein neues Konzept und setzt auf kleinere Schritte.

Muss man sich erst mal leisten können: Holzspielzeug für das Kind Foto: dpa

Berlin taz | Das Projekt Kindergrundsicherung geriet für die Grünen in der Ampelzeit nicht zum großen Erfolg. Vom „größten sozialpolitischen Vorhaben der Bundesregierung“ hatte die Partei vorab gesprochen. In der Praxis war die Sache aber komplexer als gedacht. Außerdem fehlte Geld, die Koalitionspartner waren störrisch und die zuständige Ministerin Lisa Paus griff kommunikativ mehrmals daneben. Als die Koalition im letzten Herbst zerbrach, waren nur Bruchstücke der Reform umgesetzt.

In der Opposition wollen sich die Grünen ein Jahr später auf den nächsten Versuch vorbereiten. „In der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt darf kein Kind arm aufwachsen“, heißt es in einem Beschluss, den die Bundestagsfraktion am Freitag auf einer Klausurtagung getroffen hat und der der taz vorliegt. Man stoße „einen neuen grünen Start im Kampf gegen Kinderarmut an“ und werde dafür „aufbauend auf den wichtigen Vorarbeiten zur Kindergrundsicherung“ ein Konzept erarbeiten.

Einen kompletten Richtungswechsel peilen die Grünen zwar nicht an. Den Begriff „Kindergrundsicherung“ sieht das Papier aber zunächst nicht mehr vor.

Von der kompletten Umsetzung auf einen Schlag nimmt die Fraktion auch Abstand. „Große Reformen gelingen auch durch kleinere Etappenziele, daher werden wir diesen Prozess schrittweise gestalten“, heißt es in dem Beschluss.

Automatisch und gebündelt

Konkret werden sechs „erste Schritte“ genannt, die größtenteils an die früheren Grünen-Pläne angelehnt sind. So soll ein „Kinderleistungscheck“ dem Problem entgegenwirken, dass viele Familien nicht wissen, dass sie Leistungen wie den Kinderzuschlag erhalten könnten. Der Check soll es Eltern ermöglichen, „digital und einfach zu überprüfen, auf welche Leistungen sie Anspruch haben“. Unter Lisa Paus war ein ähnliches Tool unter dem Schlagwort „Kindergrundsicherungscheck“ angedacht.

Prinzipiell wollen die Grünen aber auch weiterhin, dass der Staat Leistungen proaktiv auszahlt. „In einem ersten Schritt“ fordern sie jetzt für das Kindergeld eine Automatisierung. „Ab der Geburt eines Kindes und dessen Registrierung im Standesamt soll ein automatisierter Prozess gestartet werden, wodurch Eltern Kindergeld ohne vorherige Beantragung für mindestens die ersten 18 Lebensjahre des Kindes überwiesen bekommen“, heißt es in dem Papier.

An der Grundidee, verschiedene bestehende Leistungen zu bündeln, halten die Grünen ebenfalls fest. Während der Arbeiten an der Kindergrundsicherung hatte sich dieses Vorhaben als besonders kompliziert herausgestellt. „In einem ersten Schritt müssen die Leistungen gebündelt werden, die unmittelbar den Kindern zugutekommen“ und „den Familien insgesamt Behördengänge ersparen“. Außerdem sollten Arbeitsanreize der Eltern erhalten bleiben, schreiben die Grünen jetzt.

Mehr Geld für die Familien

Daneben fordern sie, das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum für Kinder neu zu berechnen, wie es ursprünglich auch im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbart war. Einfacher ausgedrückt: Die Höhe der Leistungen soll steigen. Neu hinzugekommen ist die Forderung, Alleinerziehende im Steuer- und Sozialrecht stärker zu entlasten, weil deren Kinder statistisch ein höheres Armutsrisiko haben. „Die Höhe der Entlastung von Alleinerziehenden darf nicht länger von der Einkommenshöhe abhängen“, schreibt die Fraktion in ihrem Beschluss.

All diese Forderungen zielen darauf ab, dass Familien selbst mehr Geld zur Verfügung steht. In einem sechsten Punkt werden im Papier schließlich noch „Investitionen in die soziale Infrastruktur“ gefordert, speziell in Schulen.

Der Schwerpunkt ist damit andersherum gesetzt als bei Karin Prien (CDU), der Nachfolgerin von Lisa Paus im Familienministerium. „Kinderarmut ist Bildungsarmut“, sagte sie zum Beispiel in einem Interview mit Brigitte. „Und die bekämpft man nicht, indem man den Eltern einfach mehr Geld zur Verfügung stellt.

Kritik an diesem Ansatz äußert Grünen-Fraktionsvize Misbah Khan, die federführend am Beschluss vom Freitag gearbeitet hat. „Wer glaubt, allein mit Bildung sei das Problem gelöst, verkennt die Realität“, sagte sie der taz. „Karen Prien verkauft die Illusion, Kinder könnten sich einfach aus ihrer Armut herausbilden.“ Das blende aus, dass Kinder in Armut „strukturell benachteiligt“ seien. „Wer Armut so verharmlost, stellt sich nicht an die Seite der Kinder, sondern an die Seite derer, die wegsehen wollen“, sagte Khan.

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