Gegen Frauen, Bildung und Wirtschaft: Gender-Apartheid der Taliban jetzt auch virtuell
In Afghanistan beginnen die Machthaber, in vielen Städten den Zugang zum Internet zu blockieren und in Universitäten Bücher von Frauen zu verbieten.

Vorige Woche bestätigten Taliban-Behörden mehrerer Provinzen, dass dort das Internet abgeschaltet oder gedrosselt worden sei, um „Unmoral“ zu bekämpfen. Es geht offenbar um den Zugang zu Pornografie, aber auch virtuelle Kontaktmöglichkeiten zwischen Afghaninnen und Afghanen, die das Regime unterbinden möchte.
Inzwischen sind etwa 15 Provinzen betroffen, darunter fünf der sechs größten Städte. Eine Ausnahme ist bisher die Hauptstadt Kabul, wie taz-Kontakte dort am Sonntag bestätigten.
Im nordafghanischen Kundus sollen Taliban-Bewaffnete bereits Ausrüstungen privater Internetdienstanbieter beschlagnahmt haben. Dem Verbot vorausgegangen war die Festnahme zweier Personen dort, die laut Taliban-Behörden mit in sozialen Medien geposteten Videos „die Gedanken der Menschen verdorben“ haben sollen.
Erst nur mündliche Anweisung und schrittweise Umsetzung
Inzwischen bestätigte mehrere Taliban-Offizielle, dass Taliban-Chef Hebatullah Achundsada die Nutzung des Internets insgesamt verboten habe. Wie bei früheren Verboten scheint die Anweisung mündlich erfolgt zu sein und zunächst schrittweise umgesetzt zu werden. Eine offizielle Verlautbarung der Taliban-Führung gibt es bisher nicht.
Wie immer trifft auch diese Einschränkung Frauen und Mädchen am härtesten. Sie hat das Regime schon weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt, während Männer weiterhin Bewegungsfreiheit und Zugang zu Bildung und Arbeit genießen.
UN-Expert*innen und Menschenrechtler*innen sprechen deshalb von einem System der „Gender-Apartheid“. Online-Kurse waren für Afghan*innen die letzte Möglichkeit, sich jenseits der Grundschule Bildung anzueignen. Sara Wahedi, eine Aktivistin, die aus dem Ausland Internetbildung unterstützt, postete: „Ich habe große Angst um die afghanischen Frauen und Mädchen. Sie verlieren ihre letzte Lebensader, wenn die Taliban den Internetzugang sperren. Völlige Stille. Völlige Auslöschung.“
Aber auch männliche Studierende klagen in privaten afghanischen Medien, die beschränkt weiter berichten können, dass sie nicht mehr auf Online-Studienmaterial zugreifen können.
Zudem sorgte die Internet-Abschaltung für Turbulenzen in der ohnehin stark gebeutelten Wirtschaft. Banken und Behörden konnten zeitweilig nicht mehr arbeiten. Inzwischen hoben mehrere Taliban-Provinzverwaltungen das Verbot für „notwendige“ Internet-Aktivitäten von Behörden und Firmen auf. Doch in Kandahar, Herat und Masar-i-Scharif, so berichteten die taz-Quellen, hatten am Sonntag, der in Afghanistan ein regulärer Arbeitstag ist, auch die Banken noch keinen Zugang zum Internet.
WLAN nur noch mit Genehmigung des Geheimdienstes
Private Internetanbieter mussten ihre Dienste allerdings einstellen. Wer einen WLAN-Zugang benötigt, muss jetzt „kontrollierten Zugang“ beantragen und die Genehmigung des Geheimdienstes einholen.
In der Tat bauen die Taliban seit ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 das Glasfasernetz aus, betrieben von den unter der westlich gestützten Vorgängerregierung eingerichteten Staatsfirmen Afghan Telecom und Salam. Daran angeschlossen sind vor allem Behörden und Unternehmen, aber auch Universitäten. Im Vorjahr verfügte Afghanistan laut Kommunikationsministerium über 1800 Kilometer Glasfaserkabel, weitere 488 Kilometer seien genehmigt. Taliban-Medien beschrieben das Glasfasernetz als „Schlüssel zu modernen Konnektivität“.
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