Ausladungen im Kulturbetrieb: Die Schnellfeuerwaffe im politischen Diskurs
Früher flogen Eier und Torten, jetzt werden Ausladungen gegen Chefket und Michel Friedman ausgesprochen. Solche Rückzieher sind Gift für die Freiheit.

D ie Rücknahme einer Einladung gehört inzwischen zur Grundausstattung des politischen Waffenarsenals wie der Hammer in die Werkzeugkiste. Wollen Sie auf Ihre Veranstaltung aufmerksam machen, sparen Sie sich jede Werbung und überlegen stattdessen gut, wen Sie auf Ihre Bühne einladen.
Es sollte eine Person darunter sein, für die sich garantiert jemand findet, der ihre Ausladung fordert.
Ohne viel Aufwand für kreative Instagram-Posts und PR-Kampagnen kriegen Sie eine Aufmerksamkeit, die Sie über eine wie auch immer gewitzte Veranstaltungsankündigung im Leben nicht erreichen würden. Sie müssen zwar in Kauf nehmen, dass sich andere Eingeladene mit der ein- und wieder ausgeladenen Person solidarisieren und sich gleichsam von Eingeladenen zu Sichselbstwiederausladenden machen.
Aber am Ende gibt das nur einfach noch eine Aufmerksamkeitsschleife obendrauf, und Sinn, Grund und Zweck Ihrer Veranstaltung findet im Schlepptau der Empörung ebenfalls Erwähnung – und das alles frei Haus.
Eingeladene Ausgeladene könnten inzwischen einen Verband der Ex-Geladenen gründen; es ist ja schon beinah enttäuschend, wenn man eine Veranstaltung besucht, auf der alle angekündigten Eingeladenen auch wirklich kommen durften: Och schade, alle da, wie langweilig.
Eine Zeitung, die einen abgedruckten Text aus dem Internet holte, um denen, die den Text doof fanden, zu zeigen: we feel you. Ein Bürgermeister, der sein Literaturhaus nötigte, Michel Friedman aus fadenscheinigen Gründen wieder auszuladen, nur um sich dann selbst aus dem Amt zu laden und zum Opfer einer Verleumdungskampagne zu erklären. Eine Stadtverwaltung, die eine Künstlerin wieder auslud, weil deren Installation sich kritisch mit der AfD auseinandersetzt, was die politische Neutralität gefährde.
Ein Kulturminister, der Jan Böhmermann aufforderte, den von ihm eingeladenen Rapper Chefket wieder auszuladen, was der Einladende zunächst ausschlug, dann aber doch einschlug (natürlich mit Zwinkersmiley). Gezwinkersmileyt haben danach vor allem Jens Spahn, die AfD und der Gift und Galle speiende Internetmob, der Antisemitismus nur auf der linken Seite sieht.
Besonders lustig war die Wiederausladung der Buchhändlerin und AfD-Politikerin Susanne Dagen. Sie war vom „Denkfest“ in Mannheim eingeladen worden, das ausgerechnet unter dem Motto „Kampfzone Freiheit – Wer hat Angst vor Ambivalenz?“ stattfindet.
Während Jan Böhmermann wissen ließ, dass er den Rapper habe ausladen müssen, weil die „Integrität“ der Veranstaltung nicht mehr zu gewährleisten sei, erklärten die Mannheimer Veranstalter, die Sicherheit nicht gewährleisten zu können. „Allseitige Vorgaben und Sprachregelungen statt Debattenkultur – unsere Gegenwart steht unter Druck … Was bedeutet das für die Freiheit in Kunst und Gesellschaft?“, heißt es in deren Ankündigung.
In erster Linie bedeutet das, dass zur Planung einer politischen Veranstaltung gehört, Ziele und Risiken abzuwägen, wozu wiederum gehört, einzukalkulieren, dass es Störaktionen und Proteste gibt. Dass dies bei einer Person wie Dagen programmiert ist, dürfte niemand überraschen. Aber auch der Protest gegen Podiumsgäste ist Ausdruck von Freiheit in Kunst und Gesellschaft. Früher flogen Pudding, Eier, Farbbeutel, Torten, oder Brüste wurden entblößt – alles nicht unbedingt schön und sicher, aber auch nicht demokratiegefährdend.
Schiss vor der eigenen Courage ist nachvollziehbar. Solche Rückzieher aber sind Gift für die Freiheit in Kunst und Gesellschaft. Die Ausladung ist zur Schnellfeuerwaffe im politischen Diskurs geworden. Sie sollte schleunigst in den Waffenschrank gesperrt werden, bevor sie weiter Unheil anrichtet.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert