Reformpläne der Bundesregierung: Von Friedrich dem Großen zu Friedrich dem Verzagten
Er kritisierte die Kleinteiligkeit der Ampel, aber mehr zu bieten hat der Kanzler auch nicht. Rasche Lösungen gibt es für die komplexe Lage nicht.

W o ist eigentlich Friedrich der Großspurige geblieben? Jener schneidige Verkünder eines „echten Politikwechsels“, einer „Wirtschaftswende“ und eines „Herbstes der Reformen“? Dem Kanzler Friedrich Merz, der nach der ersten Klausur seines schwarz-roten Kabinetts die wichtigsten Ergebnisse vortrug, war jegliches Pathos abhandengekommen. Mit der Detailverliebtheit eines Verwaltungsleiters referierte Merz vor der Villa Borsig einige der 80 Einzelmaßnahmen für Bürokratieabbau, der gerade beschlossenen „Modernisierungsagenda“. Friedrich der Verzagte – stilistisch nahe bei Olaf Scholz.
Nun ist Bürokratieabbau ein wirklich wichtiges Thema. Das spürt jede*r im Alltag. Einen Fahrtkostenzuschuss für eine inklusive Ferienfahrt zu beantragen, dauert Monate. Und viele Unternehmen halten die unzähligen Vorgaben mittlerweile für den größten Wettbewerbsnachteil. So ist es löblich, wenn Führerscheine künftig online beantragt und Firmengründungen binnen 24 Stunden erledigt werden können. Aber es ist eben nicht das ganz große Rad, das die Regierung da dreht, sondern viele kleine Schräubchen.
Hatte Merz als Kanzlerkandidat nicht etwas anderes versprochen und die Ampel für ihre Kleinteiligkeit verhöhnt? Und viele Bürger:innen glaubten ihm und fühlen sich jetzt getäuscht: 77 Prozent sind laut ARD-Deutschlandtrend unzufrieden mit der Merz-Regierung. Mehr als ein Viertel der Befragten traut der selbsternannten Alternative für Deutschland die besseren Lösungen zu, obwohl deren Kernversprechen lautet: Zurück in die dunkle Vorvergangenheit.
Merz hat als Oppositionsführer kräftig zur Komplexitätsreduktion beigetragen und ist als Kanzler Opfer des eigenen falschen Erwartungsmanagements. Es wäre ehrlicher gewesen, den Menschen zu sagen: „Es ist kompliziert.“ Aber das eignet sich eben nicht zum Wahlkampfslogan.

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Kein Grund zur Schadenfreude
Dennoch besteht kein Anlass zur Schadenfreude. Denn die Lage ist wirklich schwierig. Außenpolitisch wächst die Bedrohung, Drohnenschwärme über Deutschland sind eine Ansage. Wirtschaftlich steckt Deutschland in der Rezession, denn das jahrzehntelang erfolgreiche Geschäftsmodell, teure, aber hochwertige Produkte in freie Märkte ins Ausland zu verkaufen, funktioniert immer schlechter. China baut inzwischen genauso gute, aber billigere E-Autos, und die USA setzen auf Zölle und Protektionismus.
Die deutsche Industrie schwächelt, gutbezahlte Arbeitsplätze fallen weg, selbst ein Weltmarktführer wie Bosch will 22.000 Stellen in Deutschland streichen. Digitalisierung und Transformation fordern ihren Tribut. Bislang erweckt Merz aber nicht den Eindruck, er wolle sich an die Spitze dieser Entwicklungen setzen. Stattdessen will die CDU am liebsten das Verbrenner-Aus kippen, also Retro statt Reformen.
Statt über seiner nächsten Ruck-Rede zu brüten, sollte Merz mit seiner Regierung Rezepte gegen die schleichende Deindustrialisierung entwickeln. Und am besten erst darüber reden, wenn er wirklich welche hat.
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