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Reformpläne der BundesregierungVon Friedrich dem Großen zu Friedrich dem Verzagten

Anna Lehmann

Kommentar von

Anna Lehmann

Er kritisierte die Kleinteiligkeit der Ampel, aber mehr zu bieten hat der Kanzler auch nicht. Rasche Lösungen gibt es für die komplexe Lage nicht.

Friedrich Metz verkündet „kleinteilig“ die Ergebnisse der Kabinettsklausur vor der Villa Borsig in Berlin Foto: Liesa Johannssen/reuters

W o ist eigentlich Friedrich der Großspurige geblieben? Jener schneidige Verkünder eines „echten Politikwechsels“, einer „Wirtschaftswende“ und eines „Herbstes der Reformen“? Dem Kanzler Friedrich Merz, der nach der ersten Klausur seines schwarz-roten Kabinetts die wichtigsten Ergebnisse vortrug, war jegliches Pathos abhan­dengekommen. Mit der Detailverliebtheit eines Verwaltungsleiters referierte Merz vor der Villa Borsig einige der 80 Einzelmaßnahmen für Bürokratieabbau, der gerade beschlossenen „Modernisierungsagenda“. Friedrich der Verzagte – stilistisch nahe bei Olaf Scholz.

Nun ist Bürokratieabbau ein wirklich wichtiges Thema. Das spürt je­de*r im Alltag. Einen Fahrtkostenzuschuss für eine inklusive Ferienfahrt zu beantragen, dauert Monate. Und viele Unternehmen halten die unzähligen Vorgaben mittlerweile für den größten Wettbewerbsnachteil. So ist es löblich, wenn Führerscheine künftig online beantragt und Firmengründungen binnen 24 Stunden erledigt werden können. Aber es ist eben nicht das ganz große Rad, das die Regierung da dreht, sondern viele kleine Schräubchen.

Hatte Merz als Kanzlerkandidat nicht etwas anderes versprochen und die Ampel für ihre Kleinteiligkeit verhöhnt? Und viele Bür­ge­r:in­nen glaubten ihm und fühlen sich jetzt getäuscht: 77 Prozent sind laut ARD-Deutschlandtrend unzufrieden mit der Merz-Regierung. Mehr als ein Viertel der Befragten traut der selbsternannten Alternative für Deutschland die besseren Lösungen zu, obwohl deren Kernversprechen lautet: ­Zurück in die dunkle Vorvergangenheit.

Merz hat als Oppositionsführer kräftig zur Komplexitätsreduktion beigetragen und ist als Kanzler Opfer des eigenen falschen Erwartungsmanagements. Es wäre ehrlicher gewesen, den Menschen zu sagen: „Es ist kompliziert.“ Aber das eignet sich eben nicht zum Wahlkampf­slogan.

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Kein Grund zur Schadenfreude

Dennoch besteht kein Anlass zur Schadenfreude. Denn die Lage ist wirklich schwierig. Außenpolitisch wächst die Bedrohung, Drohnenschwärme über Deutschland sind eine Ansage. Wirtschaftlich steckt Deutschland in der Rezession, denn das jahrzehntelang erfolgreiche Geschäftsmodell, teure, aber hochwertige Produkte in freie Märkte ins Ausland zu verkaufen, funktio­niert immer schlechter. China baut inzwischen genauso gute, aber billigere E-Autos, und die USA setzen auf Zölle und Protektionismus.

Die deutsche Industrie schwächelt, gutbezahlte Arbeitsplätze fallen weg, selbst ein Weltmarktführer wie Bosch will 22.000 Stellen in Deutschland streichen. Digitalisierung und Transformation fordern ihren Tribut. Bislang erweckt Merz aber nicht den Eindruck, er wolle sich an die Spitze dieser Entwicklungen setzen. Stattdessen will die CDU am liebsten das Verbrenner-Aus kippen, also Retro statt Reformen.

Statt über seiner nächsten Ruck-Rede zu brüten, sollte Merz mit seiner Regierung Rezepte gegen die schleichende Deindustrialisierung entwickeln. Und am besten erst darüber reden, wenn er wirklich welche hat.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • Auch diese Regierung wird keine Probleme lösen. EineKonstante seit Jahrzehnten im Bund: Regierungsbeteiligung der SPD.



    Einsichten seitens SPD? Nein!



    Am Ende brockt uns das eine AfD Kanzlerin Weidel ein. Wer daran dann gar keine Schuld trägt? Die SPD!

  • Däh & Danke fürs - Merz vor Villa-Borsig-Fotto

    “Wer nie bei Siemens-Schuckert war, bei AEG und Borsig, der kennt des Lebens Jammer nicht, der hat ihn erst noch vor sich. (Arbeiter(Weisheit)Lied

    www.youtube.com/watch?v=F_NY-VPCH_Y



    Da bist du nichts. da wirst du nichts,



    Wenn auch der Magen kluckert.



    So ist 's bei Borsig, AEG,



    Bei Siemens & bei Schuckert.

    Wer nie bei Siemens tätig war



    & nicht bei AEG & Borsig,



    Der kennt des Lebens Jammer nicht,



    Der hat ihn erst noch vor sich.

    Nach dem "Industriekurier" Berlin, 27.6.53 abgedruckt in "Neues Deutschland" Berlin, 18.9.53.

    Dieses Lied ist unter der Berliner Arbeiterschaft seit Anfang der zwanziger Jahre populär gewesen; um 1922 wurde es im Feuilleton der "Roten Fahne" abgedruckt (nach H. Kleye).

    Bei dem Lied handelt es sich um eine Parodie auf Goethes "Wer nie sein Brot mit Tränen aß". Parodien auf dieses Gedicht waren übrigens sehr verbreitet.

    Aus "Der Grosse Steinitz. Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs



    Jahrhunderten“

    taz.de/Reformplaen...egierung/!6114956/

    Den unbedarften Lackaffen ins Stammbuch & damit mein ich auch Klingbeil - dessen Altvorderen mal für anderes gekämpft haben •

  • Solange das Motto der CDU lautet "Vorwärts nimmer, rückwärts immer!" wird das nichts werden mit einem echten Politikwechsel.

    Habituell zurück in die Vorachtundsechziger-Zeit, wirtschaftlich neoliberale Konzepte aufwärmen, technologisch im fossilen Zeitalter verharren - mehr fällt der CDU nicht ein.



    Dass Herr Merz ein ganz kleines Licht ist, das von sich glaubt, eine große Leuchte zu sein - wir ahnten es schon lang.

    • @Klabauta:

      letzteres …anschließe mich



      & dabei



      “…mußten er un sing Fru - einst jeden Groschen umdrehen!“(wiki tilt) - “…wers glaubt zahlten Thaler“ 🙀🥳🤣



      (ps hab neun 1/2 Jahre in diesem Milieu (sein Vater Kollege am LG) gelebt - da ziehste keinen müden Hering vom Teller! Wollnich



      Hat er bisher ja auch nicht!



      (Die durch den doch recht unerwarteten Mauerfall verhinderte ZK-Vorsitzende hat das sehr weitsichtig erkannt - aber Mielke auf Rädern - Wollfgang Briefumschläge Schäuble macht’s möglich. Aber der taz-buddy ist ja schon öfters auf Blender hereingefallen!



      Beginnend mit dem furchtbaren Juristen Hans Filber “…was damals Recht war…“ •

      Na Mahlzeit

  • > Führerscheine künftig online beantragt

    Mal ganz pragmatisch: wie oft im Leben beantragt man einen Führerschein oder meldet ein Fahrzeug an oder um?

    Verlässlicher (Ganztags-)Schulunterricht bei guter Ausstattung und ohne Hausaufgaben und eine verlässliche Kitabetreuung wären für unsereinen mal ein Gamechanger gewesen.

    Friedrich der Grosse entpuppt sich bei näherer Betrachtung wie der Scheinriese Herr Tur-Tur; auch er letztlich nur ein 'Klempner der Macht'...

  • Willkommen in der Wirklichkeit!



    Wie wir uns erinnern, war Friedrich M. in den Oppositionsjahren bereits ein veritabler Populist.



    Das hat sich seit Amtsübernahme nicht geändert.



    Wenn es um Arbeit geht, sei an seine "Bierdeckelbesteuerung" erinnert, eine Luftnummer. Nicht umsonst setzte Merkel ihn an die Luft .



    Typischer Fall von "hochgelobt".



    Große Klappe, nix dahinter und plötzlich Kanzler. Die Defizite werden offensichtlich.



    Während Kanzler Scholz die Ampel einte, schafft Merz das noch nicht einmal in den Anfangsmonaten.



    Seine Riege aus Selbstdarstellern ist so unerfahren und ungeeignet, wie er selbst.



    Eine Wirtschaftsministerin sollte schon die Wirtschaft im Blick haben und nicht ihre überkommenen Lobbyverpflichtungen.



    Regenerative Energie ist (noch) ein Wachstumsmarkt, Frau R. will ihn gerade abwürgen.



    Merz gibt fragwürdigen Personen wie Netanjahu Munition, z.B. mit dem "Drecksarbeit" Bild.



    Da erhellt uns der Möchtegern Kanzler heute damit, dass es gar " eine Chance auf Erfolg" in Gaza gibt !!!



    Da hängen wir doch gleich an seinen Lippen...



    Der Kurs der Union, in der Migration Rechtsaußen zu spielen ist gescheitert.



    Die"afd" zieht in Umfragen mit der "c"du gleich...