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Sportswashing bei GamesDieser Player gefährdet queere Sichtbarkeit in Games

Eine Gruppe Investoren kauft Electronic Arts. Mit dabei: Saudi-Arabien. Damit bekommen sie Macht über die Inhalte von Videospielen wie „Die Sims“.

Zwei „Sims 4“-Charaktere auf einem Highschool-Ball Foto: The Sims 4/EA

Wenn „Sims 4“ eines ganz gut kann, dann ist das Queerness repräsentieren. „Techtelmechtel“ können alle mit allen haben, ohne Diskriminierung fürchten zu müssen. Ich kann einen Mann erstellen, der schwanger werden kann. Oder eine Frau, die im Stehen pinkeln kann. Und ich kann meine Wohnung mit 20 verschiedenen Pride-Flaggen dekorieren. Das sollte selbstverständlich sein. Vergangene Woche Montag wurde mir klar, dass diese kleine heile Welt fragil ist.

Denn der Hersteller von „Die Sims“, Electronic Arts (EA) wechselt seine Besitzer. Eine Gruppe Investoren will das Unternehmen kaufen und somit von der Börse nehmen. Unter den Investoren sind der saudi-arabische Staatsfonds und die Investmentfirma Affinity Partners. Letztere wird von Jared Kushner geführt, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump. Sie wollen für 55 Milliarden US-Dollar einen der größten Spielehersteller der Welt kaufen. 85 Millionen Menschen haben 2024 schon mal „Die Sims 4“ gespielt, andere Game-Hits von EA, wie zum Beispiel die „Fifa“-Spiele oder „Battlefield“ sind ebenso erfolgreich.

Dass Saudi-Arabien unter den Käufern ist, überrascht nicht, denn das Land investiert seit ein paar Jahren viel Geld in die Videospielbranche. Zum Beispiel hat Saudi-Arabien 2022 den Esports World Cup ins Leben gerufen und richtet ihn jährlich aus. Und hat Anteile diverser großer Entwicklerfirmen gekauft, wie zum Beispiel Nintendo oder Take Two.

Dahinter steckt auch eine Marketing-Strategie. Beim „Sportswashing“ polieren Länder ihr Image auf, indem sie Wettbewerbe ausrichten, wie zum Beispiel Katar 2022 mit der Fußball-Weltmeisterschaft. Das Land konnte sich als weltoffener Tourismusort und wirtschaftsstarker Akteur inszenieren. Und davon ablenken, dass für Homosexualität Freiheits- oder Todestrafen verhängt werden, und die Fußballstadien von Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen errichtet wurden. Das gleiche Prinzip funktioniert mit digitalen Spielen, denn auch im Gaming kann Saudi-Arabien den Esports World Cup ausrichten, 2027 die ersten Olympischen E-Sports Spiele ins Leben rufen, und sich als technologisch fortschrittlicher Wirtschaftspartner inszenieren.

Wer einen Spielehersteller besitzt, kann Einfluss auf dessen Inhalte nehmen. Sowohl Kushners Firma also auch der saudi-arabische Staatsfonds sind sehr konservative Institutionen. In Saudi-Arabien droht die Todesstrafe für Homosexualität. Die Rechte von Frauen und der Presse sowie die Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt.

In der „Sims“-Community herrscht jetzt also berechtigt Aufruhr. Die Spie­le­r:in­nen befürchten, dass die neuen EA-Besitzer Einfluss auf Inhalte nehmen werden, dass es dann vorbei ist mit Pride-Flaggen und queerer Repräsentation. Das könnte nicht nur zukünftige Spiele und Erweiterungen betreffen. Schon jetzt sorgen Updates dafür, dass „Sims 4“ sich regelmäßig verändert. Meist wird Content hinzugefügt, oder neue Schaltflächen, um Spie­le­r:in­nen zum Kauf von Inhalten zu animieren. Theoretisch könnte EA nachträglich umfassende Änderungen an all seinen Spielen vornehmen. In einer Pressemitteilung beschwichtigt der CEO Andrew Wilson diesbezüglich zwar und schreibt, dass sich an den Werten des Unternehmens nichts ändern wird. Doch wer kann das schon garantieren?

Etwas beruhigend: Saudi-Arabien hat sich im Hinblick auf Inhalte bei anderen Spielen bisher selten bemerkbar gemacht. Eine Ausnahme ist eine für den Winter angekündigte Erweiterung von „Assassin's Creed: Mirage“. Als Assassine soll man die Oase al-'Ula im heutigen Saudi-Arabien erkunden können. Bisher spielte „Mirage“ im heute iranischen Bagdad des 9. Jahrhunderts. Auffällig marketingmäßig ist daran, dass die Erweiterung kostenlos sein soll. Woher soll dann das Geld kommen für die grafisch aufwendige Darstellung einer kompletten neuen Stadt? Der Hersteller Ubisoft hüllt sich diesbezüglich in Schweigen, doch diverse Insider vermuten, dass Sponsoring durch den saudi-arabischen Staatsfonds dahintersteckt.

Welche Werte Jared Kushner in Bezug auf Queerness und Frauenrechte vertritt, ist unklar. Ich rechne bei dem Schwiegersohn von Trump diesbezüglich allerdings nicht mit den progressivsten Ansichten. Auch seine Firma wird, wenn der Deal durchgeht, Einfluss auf die Inhalte der EA-Spiele nehmen können.

Als Ver­brau­che­r:in­nen können wir uns eigentlich nur noch mit einem Boykott wehren. Und ich würde jetzt gerne als politisch radikalisierte Kolumnistin alle zum Boykott aufrufen – aber ich kann nicht. Ich ertrage das einfach nicht. Ein Leben ohne Eskapismus in die Welt der Sims? Das kann und will ich mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen und auch niemandem zumuten. Stattdessen hoffe ich auf den unwahrscheinlichen Fall, dass vielleicht die US-amerikanische Kartellbehörde noch einen Einwand erhebt. Und mein liebstes Weltflucht-Reiseziel eine kleine Utopie bleiben darf.

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