Seenotrettung im Mittelmeer: Streit um Unterstützung für libysche Küstenwache
Das AA nehme die jüngsten Angriffe der libyschen Küstenwache auf Seenotretter „sehr ernst“. Die EU will die Kooperation mit der Küstenwache fortsetzen.
Ein Dokument der NGO, welches der taz vorliegt, schildert direkte Schüsse, Warnschüsse, Drohungen und Behinderung bei Rettungsaktionen. Auch komme es immer wieder zu Angriffen auf Menschen in Seenot oder unterlassener Hilfeleistung. Mehrfach sahen Seenotretter:innen Leichen an Bord von LCG-Schiffen.
Die LCG wird seit 2017 von der EU mit Schiffen, Ausrüstung, Training, Geld und Luftraumüberwachung aufgebaut. Seit 2020 findet dies auch im Rahmen der sogenannten Irini-Mission statt. Die Militäroperation hat zum Ziel, das UN-Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen und Menschenhandel einzudämmen, in diesem Rahmen werden auch Einheiten der LCG ausgebildet.
Die Bundesregierung hat nun bekräftigt, Deutschland werde weiterhin nicht direkt mit der LCG zusammenarbeiten. „Wir nehmen Berichte über Angriffe auf die Sea-Watch 5 und zu möglicherweise rechtswidrigem Verhalten der libyschen Küstenwache sehr ernst“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt (AA) auf taz-Anfrage.
Keine deutsche bilaterale Unterstützung
Zur Identität mutmaßlich beteiligter LCG-Einheiten lägen keine eigenen Erkenntnisse vor. Grundsätzlich gelte: „Es gibt keine deutsche bilaterale Unterstützung für die libysche Küstenwache.“
Diese Position stammt aus der Zeit der Ampelregierung. Die hatte zwar einer Beteiligung der Bundeswehr an der Irini-Mission zugestimmt, sie darf sich jedoch nicht an der Ausbildung der LCG beteiligen.
Baerbocks Nachfolger Johann Wadephul (CDU) hält nun daran fest. Ein Sprecher des AA sagte, man setze sich „gegenüber den Projektverantwortlichen in Brüssel und vor Ort mit Nachdruck für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards sowie die Umsetzung völkerrechtlicher Bestimmungen ein“.
Erst am 25. August hatte das Rettungsschiff „Ocean Viking“ der NGO SOS Mediterannee gemeldet, 20 Minuten lang „mit Dauerfeuer“ von der LCG beschossen worden zu sein. Die „Ocean Viking“ befand sich mit 87 geretteten Menschen auf dem Weg nach Italien. Das Schiff wurde schwer beschädigt, inzwischen ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft.
„Inakzeptable Aggressionen“
Die EU-Kommission hatte eine Untersuchung angekündigt. Nun antwortete EU-Mittelmeer-Kommissarin Dubravka Šuica auf eine Anfrage von EU-Parlamentariern. Ändern will die EU demnach offenbar nichts – sie hält an der Kooperation fest.
Die Attacke habe die EU-Delegation in Tripolis „unverzüglich bei den libyschen Behörden zur Sprache gebracht und sie aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung sowohl nationaler als auch internationaler Verpflichtungen sicherzustellen,“ sagte Šuica. Die Zusammenarbeit werde „kontinuierlich überprüft“, ob es Ergebnisse gebe, sagte sie nicht.
Zehn Jahre ist der Summer of Migration her, in dessen Verlauf hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die taz widmet dem Thema einen Schwerpunkt – und hat einen Redakteur auf das Seenotrettungsschiff Seawatch 5. In dieser Online-Kolumne und auf den Social-Media-Kanälen der taz berichtete Fabian Schroer im Herbst 2025 zwei Wochen lang vom Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer. Alle seine Berichte und Videos finden Sie hier im Bordtagebuch.
Unterdessen hat auch das International Press Institute (IPI) in Wien den jüngsten Übergriff auf die „Sea-Watch 5“, bei dem sich auch ein taz-Journalist an Bord befand, kritisiert. „Das IPI verurteilt die rücksichtslose Missachtung der Sicherheit der Menschen an Bord der Sea-Watch 5, darunter auch Journalisten, durch die libysche Küstenwache“, sagte Jamie Wiseman, Europa-Beauftragter des IPI.
„Wir fordern die LCG auf, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen zur Medienfreiheit Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um die körperliche Unversehrtheit aller Journalisten zu gewährleisten, die aus dem Mittelmeerraum und dem libyschen Hoheitsgebiet berichten“, sagte Wiseman. Journalisten müssten über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse wie Seenotrettung berichten können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.
Auch Marcel Emmerich, Sprecher für Innenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, verurteilte die Aggressionen als „inakzeptabel“. Kriminalisierung von Seenotrettung gipfele derzeit in „lebensgefährlichen Attacken auf deutsche Schiffe und Staatsbürger“. Emmerich forderte gegenüber der taz Konsequenzen von der Bundesregierung, die EU-Unterstützung der LCG könne so nicht weitergehen. Für Mittwoch sei eine mündliche Frage an die Bundesregierung geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!