Syrische Parlamentswahlen: Noch weit von einer Demokratie entfernt
Die Wahlen bilden weder die ethnisch-religiöse Vielfalt Syriens noch den Willen der Bevölkerung ab. Der Westen schweigt weiter – aus Eigennutz.

D ie jüngsten Parlamentswahlen in Syrien markieren keinen demokratischen Neuanfang, sondern die Fortsetzung autoritärer Macht unter neuer Führung. Der sogenannte Übergangsprozess unter Ahmad al-Schara hat eine politische Struktur hervorgebracht, die von demokratischer Legitimation weit entfernt ist.
Ein Drittel der 210 Abgeordneten wurde direkt vom Übergangspräsidenten ernannt, die übrigen Sitze gingen an Personen, die über Komitees mit enger Verbindung zur Organisation Hai’at Tahrir al-Scham (HTS) ausgewählt wurden. Von einem freien, inklusiven Wahlprozess kann keine Rede sein – die Bevölkerung war faktisch ausgeschlossen. Besonders gravierend ist der politische Ausschluss der demokratisch-säkularen Kräfte in Syrien – darunter kurdische und drusische Gemeinschaften. Regionen wie Suwaida, Hasaka und Raqqa blieben vollständig unrepräsentiert.
Die Reaktion der westlichen Staaten ist auffallend verhalten. Weder die USA noch die europäischen Regierungen äußern ernsthafte Kritik an der mangelnden Legitimität des neuen syrischen Parlaments. Stattdessen dominieren geostrategische und wirtschaftliche Erwägungen den politischen Diskurs. Die derzeitige US-Administration sucht die Annäherung an die wohlhabenden Golfstaaten – Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – um Kapitalflüsse und politische Kooperation zu sichern.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Akteure mit radikal-islamistischer Ideologie werden plötzlich als legitime politische Kräfte akzeptiert. Diejenigen, die einst Seite an Seite mit westlichen Partnern gegen den IS kämpften und für säkulare Prinzipien eintraten, verlieren zunehmend politische und materielle Unterstützung. Dieser Widerspruch offenbart den moralischen Erosionsprozess westlicher Politik. Solange westliche Regierungen bereit sind, ihre Prinzipien ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen unterzuordnen, werden sie weiter ihre Glaubwürdigkeit als Verteidiger demokratischer Werte verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert