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EU-Plan zu ChatkontrolleÜberwachung durch die Hintertür

Nachrichten könnten bald mit einer KI auf kriminelle Inhalte geprüft werden – um Kinder zu schützen. Doch damit steht die Freiheit aller auf dem Spiel.

George Orwell lässt grüßen: Graffiti, dass vom Big Brother aus der Literaturverfilmung von „1984“ inspiriert ist Foto: Beata Zawrzel/NurPhoto/imago

C hinas Gesichtserkennung, Europas Vorratsdatenspeicherung, Berlins Kameras am Kottbusser Tor – wenn Staaten ihre Bür­ge­r:in­nen überwachen wollen, begründen sie das meist mit Sicherheit. So auch bei der geplanten Chatkontrolle der EU. Denn diese soll, wie Be­für­wor­te­r:in­nen sagen, die Schwächsten unserer Gesellschaft schützen: Kinder.

Am 14. Oktober will der EU-Rat über einen Plan abstimmen, demzufolge Anbieter bei Messengerdiensten wie Whatsapp, Signal und Co mitlesen und Infos gegebenenfalls an Ermittlungsbehörden weitergeben sollen. Beim sogenannten Client-Side-Scanning sollen Chatprogramme in Zukunft einen Baustein enthalten, der mithilfe von KI Nachrichten noch vor ihrer Verschlüsselung auf kriminelle Inhalte überprüft – etwa auf Darstellungen sexueller Gewalt gegen Minderjährige. Ein Verdacht wäre dafür nicht notwendig, das Programm würde pauschal alles scannen.

Aber dürfen Staaten so was? Geht es nach klassischen Vertragstheoretikern wie Thomas Hobbes, ist Sicherheit sogar der ureigene Zweck von Staaten überhaupt. Menschen schließen miteinander einen Vertrag und geben ein großes Maß an Freiheit an den Souverän, den Staat, ab, damit der für ihre Sicherheit sorgt.

Nützt die Kontrolle mehr, als sie schadet?

Auch der liberale Vordenker und Utilitarist John Stuart Mill schreibt in seinem Essay On Liberty, dass Freiheiten von Bür­ge­r:in­nen gegen ihren Willen eingeschränkt werden dürfen, wenn dadurch verhindert wird, dass andere zu Schaden kommen. Und sowieso: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, oder?

Persönlich­keits­rechte sind nicht nur ein Nice-to-have

Nicht ganz, denn ein Knackpunkt ist Verhältnismäßigkeit. Betrachtet man die Überwachungswünsche der EU aus einer utilitaristischen Perspektive – also mit dem Ziel, das größte Glück für die meisten Menschen zu erreichen –, stellt sich die Frage: Nützt Kontrolle mehr, als sie schadet?

Persönlichkeitsrechte sind nicht nur ein Nice-to-have. Wenn Menschen wissen, dass sie jederzeit überwacht werden könnten, überlegen sie sich zweimal, was sie ihren Freunden auf Signal schicken – sei es nur das Nacktbild an den Partner oder aber das Video von der Gaza-Demo, das Polizeigewalt dokumentiert. Von Diskussions- und Gedankenfreiheit kann dann keine Rede mehr sein.

Auch Mill würde sagen: Flächendeckende anlasslose Überwachung darf es nur geben, wenn sie absolut notwendig ist, also wenn gezeigt werden kann, dass mildere Maßnahmen, wie gezielte Ermittlungen bei konkretem Verdacht weniger wirkungsvoll wären, um weitere Missbrauchsfälle zu verhindern.

Panoptikum-ähnliche Zustände

Das ist aber nicht der Fall. Erkenntnisse darüber, ob das Lesen von Chats tatsächlich zu weniger Verbrechen führen würde, sind nicht bekannt. Die EU-Kommission legte einen angefragten Bericht zur Verhältnismäßigkeit schlicht nicht vor und konnte auch nicht ausräumen, dass es zu „inakzeptabel hohen Raten an Fehlalarmen und Fehldetektionen“ kommen wird, wie Wis­sen­schaft­le­r:in­nen anmahnten.



Vielmehr werden Bür­ge­r:in­nen hier unter Generalverdacht gestellt, um eine Hintertür für totale Überwachung zu öffnen: eine Large-Scale-Version des Foucaultschen Panoptikum, des nicht einsehbaren Gefängnisturms, der es den Herrschenden erlaubt, Gefangene rund um die Uhr zu überwachen, ohne dass die wissen, ob gerade jemand zuschaut oder nicht.

Richtig gruselig wird es da nicht erst, wenn man sich überlegt, was die schon jetzt in Europa regierenden und womöglich noch kommenden Fa­schis­t:in­nen mit einer solchen Hintertür anfangen könnten. George Orwell lässt grüßen.

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Fabian Schroer
Auslandsredakteur
Zuständig für Digitales im Auslandsressort. Schreibt hauptsächlich über Medien, Kultur und soziale Gerechtigkeit.
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12 Kommentare

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  • Das Wohlergehen von Kindern hier mal wieder zu missbrauchen, ist das größte Schwachsinnsargument, das man sich nur vorstellen kann. Wer so argumentiert hat sich noch nie auch nur einen Hauch für Kinder interessiert. Was bringt es Kindern, wenn Chats kontrolliert werden und nachts der Vater in ihr Bett steigt? Kindesmissbrauch findet zum größten Teil im privaten Umfeld statt. Da braucht es keine Telefone für. Aufklärung, Prävention und Empowerment von Kindern und Therapieplätze für Täter wären weitaus hilfreicher. Aber stattdessen werden Anleitungen zum Missbrauch trotz Hinweisen jahrelang offen im Netz stehengelassen, wie kürzlich erst Stern und RTL aufgedeckt haben

  • Was sagen denn die ganzen Unternehmen dazu, dass es damit auch keine Geschäftsgeheimnisse mehr geben wird? Wo sind die ganzen Lobbyisten, wenn sie mal wirklich nützlich sein könnten? China, Russland und die USA lachen sich jetzt schon ins Fäustchen, wenn sie sehen, wie die EU neben ihrer Glaubwürdigkeit jetzt auch ihre Industrie verspielt

  • Es sollen wieder mal Kinder geschützt werden.



    Das Desinteresse sehr vieler Eltern an der Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder kann der Staat nicht ausbügeln.



    Wenn Kinder als Argument vorgeschoben werden, neigen natürlich viele dazu, die Sache abzunicken, sie selbst sind wieder mal aus der Verantwortung - glauben sie wenigstens..

  • "...und womöglich noch kommenden Fa­schis­t:in­nen mit einer solchen Hintertür anfangen könnten. George Orwell lässt grüßen."



    Auch Hannah Arendt lässt grüßen.



    "Der Massencharakter der totalen Herrschaft



    Die totalitären Herrschaftsformen gingen nicht aus einer politischen Partei hervor, die sich durch einen revolutionären Akt des Staates bemächtigte und der Bevölkerung ihren politischen Willen aufzwang. Vielmehr entstanden sie aus neuen politischen Bewegungen, die sich strukturell gänzlich von bisher gekannten Parteien unterschieden. Waren Parteien per definitionem meist Interessenvertretungen einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, repräsentieren die totalitären Bewegungen die aus dem Zerfall des traditionellen Klassensystems hervorgegangen apathischen und voneinander isolierten Massen, die alle der Hass auf das Bestehende und die Sehnsucht nach Führung und Zielsetzung einte."



    Quelle



    hannah-arendt.info...fiktive-gegenwelt/



    Max Weber hatte hier zumindest auch "Pate gestanden".



    Seine Abhandlungen und Betrachtungen zur Herrschaftssoziologie und verschiedenen Herrschaftsformen sind immer noch von Bedeutung.

  • Wir werden einmal mehr für dumm verkauft.

    Im Grunde ist das doch die gleiche Argumentationskette mit der einst die SED die Stasi aufgebaut hat

    Und ich erinnere da nur an das gebrochene Versprechen die Kennzeichenerfassung für die Lkw-Maut würde nur und ausschliesslich zu diesem Zweck verwendet.



    Heute ist es ja wohl sogar üblich damit "Telefonierer" zu überführen.



    Nur so als Beispiel ...

    Der Staat plant ein Verbrechen an den Bürgern und begründet das mit der Verhinderung von noch größeren Verbrechen.



    Soweit so gut.

    Aber dann wird "Freie Meinung" und "Systemkritik" zu einem Verbrechen erklärt ... Und puuh: Gut dass es die Überwachung gibt. Dann sind die "neuen Verbrecher" ja schnell hinter Gittern.

    Und so abwegig ist das nicht (siehe USA, siehe AfD-Prozente)

  • Das Argument mit den Faschisten dürfte wohl ein ganz großer Fehlschuss sein. Denn die haben ihre Abschusslisten mit Sicherheit schon in ihren Schubladen liegen. Sind doch ihre größten Gegner bekannt, weil die sich öffentlich gegen sie positioniert haben. Was danach passiert, ist Geschichte. Stichwort "Märzgefallene".



    Da bedarf es keiner ausgefeilten Elektronik.

    Was man aber nicht vernachlässigen sollte, ist die Zeit in der wir leben. Die Menschheitskatasrophe Klimawandel und Umweltzerstörung wird sehr unsichere Zeiten bringen. Dann schauen sie sich die Zunahme der Drogenkranken an. Die da profitieren sind keine netten Leute. Beispiele gibt es noch genug. Wir müssen uns also was einfallen lassen!



    Gibt es eine Haftung des Staates bei Rufschädigung?

    PS: Wer in die etablierten Online-Medien schaut, wird feststellen, dass bei den meisten nur noch mit Klarnamen kommentiert werden darf. Der Nickname wurde abgeschafft. Mit der Begründung, dass man so die Pöbler abschrecken wolle. Was meiner Meinung nach viel gravierender ist, dass der "einfache Bürger" sich jetzt nicht mehr so deutlich gegen Rechts äußern wird.

  • Ich bin prinzipiell gegen staatlich Überwachung.



    In diesem Fall ist es doch so, dass die Nutzer den Konzernen gerne alle ihre Daten zu Füssen legen und sich nur eine Minderheit darum schert, was die so alles sammeln und wo diese Daten hingeleitet werden.



    Wenn darunter dann auch vermeintlich sichere Dienste leiden, dass eine Überwachung stattfinden soll, ist das bedauerlich. Andererseits wird es durch die schnelle Vernetzung möglich Straftaten einfach zu organisieren.



    Es wird immer nötig sein Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn neue Gegebenheiten andere Möglichkeiten für Straftaten eröffnen.



    Z.B. bei der Gefahr durch Drohnen, kann man auch nicht nur zusehen, wie die immer komplexer werden und man nichts gegen Angriffe von oben (ob nur filmisch oder sogar mit Waffen) tun kann. Also müssen auch dort neue Regeln gemacht werden und die Polizei entsprechend ausgerüstet werden.



    Wem die Überwachung der Messengerdienste nicht passt, braucht diese einfach nicht nutzen. Dann wird sich auch das Glück vermehren, weil man wieder mehr im hier und jetzt lebt und die Kommunikation mit den Menschen in der direkten Umgebung gefördert wird.



    Oder man hat einfach mehr Zeit für eigene Kreativität.

    • @Orten:

      Messangerdienste (Whatsapp, Signal, Telegram, Threema...) sind nicht gleichzusetzen mit "sozialen Medien" (Facebook, Instagram, Tiktok...). Das ist schon geläufig oder? Nachrichten auf diesen Diensten sind privat (einschgeschränkt durch Konzerninteressen wie bei Whatsapp, persönliche Entscheidung) und werden nicht in die Öffentlichkeit gestellt. Jetzt will die Regierung selbst die Apps mit Fokus auf Privatsphäre unterwandern und du sagst "lass sie halt machen, hört man halt auf mit seinen Freunden zu kommunizieren". Respekt! Argumentierst du bei der Post auch so?



      Vermutlich fehlt gewissen Altersklassen einfach das nötige Know-How zu gewissen Themen. Diese Altersklassen haben die Umwelt geschrottet, die Sozialkassen geplündert und gehen jetzt mit ihrem unzureichenden Verständniss vom "Neuland" mit derselben Verve gegen die freie Kommunikation vor.

  • Nette Idee, das Konterfeit von Emmanuel Goldstein aus "1984" als Titelbild zu nehmen.



    Der feuchte Traum eines jeden rechten Innenministers seit je her: die totale Überachung der Bevölkerung.



    Es gibt übrigens eine Petition gegen diesen neuerlichen Angriff auf unsere Demokratie durch die Demokratiefeinde der cdsU:

    weact.campact.de/p...tkontrolle-stoppen

    Na, wer ist jetzt die Stasi-Partei?

  • Das Problem ist nicht das aktuelle Vorhaben.



    Es ist was daraus wird wenn Europa noch weiter nach rechts rückt.



    Wir haben hier schon die Light Variante mit der Union.



    Zudem ist es wieder eine Ermessensfrage: Wie sehr sollte man für Chats und was man da schreibt belangt werden dürfen?



    Ist es nur ok sein Hirn auszuschalten, wenn es um Meinungsfreiheit geht (siehe Fremdenhass zB.)?



    Nur wer erklärt dann warum bestimmte Sprüche und Aussagen die nachweislich auf AFD Treffen fallen und fielen straffrei bleiben aber der Chat dann nicht?



    Es ist wieder eine Idee die in einer utopischen Welt klappt, in der Realität wird dies missbraucht werden.



    Selbst wenn es "nur" die Hacker sind die dann die Auswertungen stehlen und veröffentlichen.



    Zu guter Letzt: KI ist von Menschen geschaffen und was Menschen unter Intelligenz verstehen und was sie leben sind seit jeher zwei paar Schuhe.



    KIs versagen regelmäßig bei Fragen die zu sehr ins Detail gehen.

    Wir sind noch lange nicht soweit diese Gesetze und Verfahren zu erlassen und zu leben.



    Dafür ist Politik zu interessengesteuert obwohl es um die jeweiligen Staaten (also deren Bevölkerung) gehen sollte.



    Die letzten beiden Sätze sind meine Meinung dazu.

    • @Das B:

      Dann ist Überwachung also gut, wenns nur ein korrekter Typ macht?

    • @Das B:

      Ich schließe mich mal ungefragt Ihrer Meinung an.



      Würde man das "Wohl des Volkes" aus dem Amtseid, den Politiker zu leisten haben, einfach weglassen, gäbe es viel mehr Ehrlichkeit und viel weniger Meineide.