Prioritäten in der Entwicklungspolitik: Wieder mal mehr Wirtschaftsförderung
In Zukunft sollen Wirtschaftsinteressen bei der Entwicklungspolitik stärker berücksichtigt werden. Die Zivilgesellschaft scheint dabei zweitrangig zu sein.

D er Vorstoß von Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD), in Zukunft zuerst die deutsche Wirtschaft zu fragen, bevor sie in Verhandlungen über entwicklungspolitische Kooperationen mit Staaten geht, ist ein weiterer Baustein im Revival neoliberaler Interessen. Alabali Radovan will Märkte erschließen, Rohstoffe sichern, bietet Garantien und Risikoabsicherungen bei Investitionen und verspricht, Wirtschaftsvertreter stärker einzubeziehen.
Der neue Aktionsplan dürfte bei Teilen der deutschen Wirtschaft auf Zustimmung stoßen. Andere Teile wird auch das nicht zu Investitionen im Globalen Süden bewegen, auch die früheren Initiativen dazu haben wenig neues Kapital gebracht.
Wem das alles bekannt vorkommt: ja, wir sind in einer Zeitschleife. Alabali Radovans Aktionsplan „Starke Partnerschaften für eine erfolgreiche Wirtschaft weltweit“ kramt die Kernideen ihrer Vorgänger hervor, von Gerd Müller (CSU) oder auch Dirk Niebel (FDP).
Sanfte Kehrtwende schon 2023 angekündigt
Ex-Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte Ende 2023 noch eine sanfte Kehrtwende angedeutet. Sie erklärte, dass „sich alle Angebote an die Wirtschaft künftig an den politischen Prioritäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ orientieren und „die Bedarfe der Partnerländer in den Mittelpunkt gestellt werden“. Sie wollte Frauen und Gewerkschaften zukünftig stärker bei der Planung und Durchführung von Projekten einbeziehen und alle Kooperationen sollten auf Klimaschutz, Sozial- und Umweltstandards überprüft werden.

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Obwohl das Vorhaben sicherlich an einigen Stellen in der Umsetzung hinkte, traf es einen Nerv. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) antwortete mit einem Positionspapier im Februar 2024, indem er eine „Zeitenwende“ forderte, hinzu einer stärkeren Beteiligung deutscher Unternehmen in der Entwicklungspolitik. Garantien, Risikoabsicherung, Marktzugang und so weiter.
Entwicklungspolitik war immer schon geopolitische, wirtschaftliche Interessenpolitik – und stand gleichzeitig wegen des Anspruchs an Menschenrechte im Ausland auch immer unter Erklärungszwang gegenüber Rechten. Hinzu kommt ein BMZ-Etat, der vier Jahre in Folge gekürzt wurde. Das Ministerium stand kurz davor, komplett eingestampft zu werden. Die fortschreitende Militarisierung Europas, der Handelsstreit mit den USA und eine aufgeregte mediale Debatte über den Nutzen von Entwicklungspolitik für Deutschland, angeheizt von der AfD, sind nur einige Gründe dafür.
Ohne Rohstoffe keine Energiewende
Dazu kommt Deutschlands enormer Hunger nach Rohstoffen. Ohne Kobalt und Kupfer, so stellte Alabali Radovan fest, gibt es keine Digitalisierung und keine Energiewende. Ob das BMZ weiterhin auf soziale und ökologische Lieferketten setzten will, wie Alabali Radovan beteuert, darf jedoch bezweifelt werden. Der Rahmen dafür wird gerade demoliert, zum Beispiel mit dem Lieferkettengesetz. Auch dafür hat sich der BDI erfolgreich eingesetzt.
Für die Zivilgesellschaften problematisch ist die Entwicklungskooperationen zur Sicherung von Märkten und Rohstoffen, weil sie die Interessen Indigener, Kleinbäuer*innen oder Aktivist*innen vor Ort meist unberücksichtigt lassen. Dabei werden diese Gruppen oft auch von ihren Regierungen unterdrückt, die genau diese Art Kooperation wünschen.
Mit der Stärkung von Wirtschaftsvertreter*innen in Regierungsverhandlungen dürfte das nur noch schlimmer werden. Gleichzeitig fallen gerade auch Gelder für Zivilorganisationen dem neuen Sparhaushalt zum Opfer. Bauern, die ihre eigenen Samen verwenden wollen? Umweltaktivist*innen, die Rohstoffe im Boden lassen wollen? Indigene, die ihr Land behalten wollen? Sie alle müssen sich hinten anstellen.
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