Immunität von Ilaria Salis besteht fort: Das Europaparlament stellt sich gegen Ungarn
Ungarn wirft der Europaabgeordneten Ilaria Salis Angriffe auf Neonazis in Budapest vor. Das EU-Parlament aber lehnt eine Aufhebung ihrer Immunität ab.

Am Dienstag nun entschied der Rechtsausschuss des Europaparlaments über diesen Antrag, nach monatelanger interner Diskussion und in geheimer Abstimmung. Und laut eines Sprechers der Vize-Ausschussvorsitzenden Marion Walsmann (CDU) sowie des Linken-Europaabgeordneten Martin Schirdewan lehnte der Ausschuss die Aufhebung ab. Nach taz-Information erfolgte dies mit sehr knappem Votum. Das EU-Parlament wird nun am 7. Oktober final über die Immunität von Salis abstimmen. Bisher folgte das Parlament immer dem Votum des Ausschuss.
Welche Abgeordneten sich für das Ersuchen Ungarns entschieden und welche dagegen, bleibt wegen der geheimen Abstimmung offen. Auch CDU-Frau Walsmann wollte sich dazu nicht weiter äußern. Zuletzt aber hatten sich Sozialdemokraten, Linke, Grüne und Liberale gegen die Aufhebung von Salis' Immunität ausgesprochen – wegen Zweifeln an einer rechtsstaatlichen Strafverfolgung in Ungarn. Konservative und extrem rechte Abgeordnete hatten dagegen für die Aufhebung plädiert.
15 Monate saß Salis in Ungarn in Haft
Ilaria Salis wird vorgeworfen, mit anderen Autonomen, auch aus Deutschland, im Februar 2023 mehrere Teilnehmende des rechtsextremen „Tags der Ehre“ in Budapest mit Schlagstöcken angegriffen zu haben, einem Aufmarsch, zu dem Neonazis aus ganz Europa anreisen. Noch vor Ort wurde die Lehrerin festgenommen, saß danach 15 Monate in Ungarn in Haft. In Budapest begann auch ein Prozess gegen sie, in dem ihr bis zu 24 Jahre Haft drohten und wo sie in Handschellen und an einer Leine vorgeführt wurde. Dann aber wurde Salis für eine italienische linke Liste, die Alleanza Verdi e Sinistra, ins Europaparlament gewählt – und kam frei.
Salis sprach am Dienstag von einem „wichtigen und positiven Signal“, dass dem Antrag des „ungarischen Regimes“ im Rechtsausschuss des Europaparlaments widersprochen wurde. „Damit wird die zentrale Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Garantien bekräftigt.“
Auch der Linken-Abgeordnete Schirdewan sprach von einer Entscheidung, die „im Einklang mit den Grundwerten der Europäischen Union steht“. Es sei wichtig, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten gewahrt würden, so Schirdewan. „Und auch Orban muss dies verstehen.“
Ungarn zürnt
Der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs nannte es dagegen „unverständlich und empörend, dass das Europaparlament linksextremen Terrorismus legitimiert“. Salis und ihre Mitstreiter seien vorsätzlich nach Ungarn gereist, um „willkürlich“ und politisch motiviert Menschen zu verprügeln. Mit ihrer Entscheidung würden die Europaabgeordneten nun eine „Terroristin“ in Schutz nehmen und beherbergen. „Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht aufgeben“, drohte Kovacs. „Ilaria Salis ist eine gefährliche Kriminelle, die ins Gefängnis gehört.“
Bisher ist allerdings nicht nachgewiesen, dass Salis tatsächlich an den Angriffen in Budapest beteiligt war. Und die 41-Jährige betonte am Dienstag erneut, dass die Entscheidung des Rechtsausschuss nicht bedeute, dass sie sich der Justiz entziehen werde. „Den italienischen Behörden steht es weiterhin frei, ein Gerichtsverfahren gegen mich einzuleiten, was ich selbst hoffe und nachdrücklich fordere.“ Eine politische Verfolgung durch das Orbán-Regime aber müsse verhindert werden, so Salis.
Wegen der Angriffe im Februar 2023 in Budapest steht derzeit auch die deutsche Antifaschist*in Maja T. in der ungarischen Hauptstadt vor Gericht. Auch der nonbinären Thüringer*in drohen bis zu 24 Jahre Haft. Maja T. war im Juni 2024 von Deutschland nach Ungarn ausgeliefert worden – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht nachträglich feststellte.
Einem weiteren Linken, dem Nürnberger Zaid A., droht wegen der Budapest-Angriffe weiterhin die Auslieferung nach Ungarn. Die Bundesanwaltschaft sieht sich für seinen Fall nicht zuständig, weil er syrischer Staatsbürger ist.
Im Fall einer weiteren Beschuldigten, Hanna S., läuft in München ein Prozess. Am Freitag wird dort ein Urteil fallen, die Bundesanwaltschaft fordert neun Jahre Haft. Auch bei sechs weiteren deutschen Linken, denen ebenfalls die Attacke vorgeworfen wird, wurde eine Auslieferung zuletzt abgelehnt. Gegen sie beginnt demnächst ein Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Ungarn hatte dagegen zuletzt auch anderweitig gegen Antifaschist*innen Druck gemacht. Nach US-Vorbild kündigte Orban an, „die Antifa“ in Ungarn als Terrororganisation einstufen zu wollen. Welche Gruppen genau er damit meint, blieb unklar. Orbans Aussagen dürften auch auf das Frühjahr 2026 zielen – wenn in Ungarn Parlamentswahlen anstehen.
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