Kehrtwende des US-Präsidenten: „Russland sieht aus wie ein Papiertiger“
Nach einem Treffen mit Selenskyj hält der US-Präsident einen Sieg der Ukraine für möglich. Sie könne ihr gesamtes Staatsgebiet zurückgewinnen.

„Nachdem ich die militärische und wirtschaftliche Situation zwischen der Ukraine und Russland kennengelernt und verstanden habe und die wirtschaftlichen Probleme gesehen habe, in der sich Russland befindet, bin ich der Meinung, dass die Ukraine mit der Unterstützung der Europäischen Union in der Lage ist … die gesamte Ukraine zurückzugewinnen“, schrieb Trump in einem Post auf Truth Social am Dienstag.
Gemeint ist damit, dass die Ukraine keine territorialen Zugeständnisse an Russland machen müsse, um den Krieg zu beenden, sondern zu einem militärischen Sieg in der Lage sei. Trump postete diese Erklärung im Anschluss an sein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Rande der UN-Vollversammlung in New York.
Der 79-jährige US-Präsident hatte bisher immer von Kompromissen geredet, die beide Länder machen müssten, um Frieden zu schließen. Dabei wurde auch immer wieder die Möglichkeit von Landabtretungen seitens der Ukraine in den Raum geworfen. Kyjiw, so Trumps bisherige Position, müsse Gebiete an Moskau abtreten, um einen Waffenstillstand zu erzielen. Welche Zugeständnisse Russland hätte machen müssen, blieb derweil offen. Diplomatische Früchte trug die Idee nicht, denn die Ukraine lehnte das ab und Russland erhob zusätzliche Forderungen und weigerte sich auch, einen Waffenstillstand zu akzeptieren.
Trump: „Russland steckt in großen Schwierigkeiten“
Trump sagte nun, Russland „sieht sehr aus wie ein Papiertiger“. Er verwies auf zunehmende ökonomische Probleme und Benzinknappheit in Russland und sagte, wenn die Russen die Wahrheit über die Situation ihres Landes erführen, könnte „die Ukraine ihr Land in seiner ursprünglichen Form zurückgewinnen und, wer weiß, sogar weiter gehen“.
Er meinte: „Putin und Russland stecken in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und jetzt ist es Zeit für die Ukraine zu handeln. Ich wünsche beiden Ländern jedenfalls alles Gute. Wir werden die Nato weiterhin mit Waffen beliefern, damit die Nato damit machen kann, was sie will“.
Unklar ist, ob Trump mit der „gesamten Ukraine“ die Ukraine in den Grenzen vor Beginn der russischen Expansion im Jahr 2014 meint. Dann würde dies bedeuten, dass der US-Präsident auch eine Wiedereingliederung der illegal von Russland annektierten Krim an die Ukraine für möglich hält.
Der Social-Media-Post ist das vielleicht bisher klarste Zeichen, dass Trump eingesehen hat, dass Putin kein wirkliches Interesse an einer diplomatischen Lösung des Konflikts hat. Die bisherigen Friedensverhandlungen haben zu keinen Ergebnissen geführt. Vielmehr hat Russland die Angriffe auf die Ukraine in den vergangenen Wochen weiter verschärft.
Kreml: „Wir sind kein Papiertiger“
Am Mittwoch wies der Kreml in Moskau Trumps Post empört zurück. Zur Charakterisierung Russlands als „Papiertiger“ erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: „Russland ist kein Tiger, sondern ein Bär, und es gibt keine Papierbären“.
Trump, der vor seinem Amtsantritt angekündigt hatte, den Krieg in der Ukraine innerhalb eines Tages beenden zu wollen, muss sich neun Monate später eingestehen, dass er die Komplexität des Konflikts unterschätzt hat. Während seiner Ansprache bei der UN-Generaldebatte bestätigte er diese Fehlkalkulation.
„Ich dachte, dieser Krieg wäre am einfachsten zu lösen, da ich immer ein gutes Verhältnis zu Präsident Putin hatte. Aber im Krieg weiß man ja nie, was passiert“, sagte Trump.
Um den Krieg in der Ukraine zu beenden, brauche es die Hilfe Europas. Er verlangte von Europa und den Nato-Staaten, dass sie sämtliche Öl- und Gasimporte aus Russland sofort stoppen. Mit diesen Importen würde man nämlich einen Krieg gegen sich selbst finanzieren. „Wer hat sowas schon mal gehört?“, fragte Trump.
Selenskyj: „Wir schätzen seine Entschlossenheit“
Selenskyj bedankte sich im Anschluss bei Trump in einem Post auf X. „Er hat die Situation stets gut verstanden und ist über alle Aspekte dieses Krieges bestens informiert. Wir schätzen seine Entschlossenheit, ein Ende des Kriegs herbeizuführen, sehr“, schrieb der ukrainische Staatschef.
Selenskyj nahm am Dienstag an einer Sitzung des Weltsicherheitsrats teil und kritisierte dabei die unwirksamen Strukturen der Vereinten Nationen. „Wir müssen zugeben – das Interesse der Welt an der UN nimmt ab. Die Organisation hat weniger Einfluss, und es fehlen immer häufiger konkrete Entscheidungen zu wichtigen Themen. (…) Die bestehenden Mechanismen funktionieren derzeit nicht. Aber sie könnten funktionieren“, erklärte er.
Der ukrainische Präsident wird am Mittwochnachmittag deutscher Zeit während der UN-Generaldebatte eine Ansprache halten.
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