Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer: Weiter mit den libyschen Folterern
Trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen: Deutschland und Italien entscheiden sich für weitere Kooperation mit Libyens Küstenwache.

taz | Schüsse auf Retter, Folter von Migrant:innen, mafiöse Geschäfte: Seit Jahren häufen sich Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzung der libyschen Küstenwache (LCG) und der mit ihr verbundenen Milizen. Trotzdem haben Italien und Deutschland am Mittwoch unabhängig voneinander entschieden: Die Zusammenarbeit geht weiter.
Am Mittwoch winkte der Bundestag die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für die EU-Militärmission Irini durch. Diese soll das Waffenembargo gegen Libyen überwachen, als „Nebenaufgabe“ aber auch die LCG weiter aufbauen und schulen. An Letzterem hatte sich Deutschland bisher wegen deren Menschenrechtsverstößen explizit nicht beteiligt. „Grundsätzlich gilt für die Bundesregierung: Es gibt keine deutsche bilaterale Unterstützung für die libysche Küstenwache“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes noch Ende September der taz.
Kürzlich hatte die NGO Sea Watch eine Dokumentation von 60 gewaltsamen Angriffen auf Seenotretter im Mittelmeer durch die LCG veröffentlicht. Bei einem neuerlichen Angriff während einer Rettungsaktion am Montag wurde ein Mensch lebensgefährlich und zwei weitere schwer verletzt.
Doch im neuen Bundeswehr-Mandat ist die „Schulung“ der LCG als Aufgabe genannt. So solle ein „Gleichlaut zwischen Bundestags- und EU-Mandat“ geschaffen werden, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums der taz. Allerdings gebe es derzeit „keine konkreten Planungen zur Wahrnehmung der Ausbildungsaufgabe durch die Bundeswehr“. Doch die zu Ampel-Zeiten verfolgte Linie ist damit passé.
David Yambio, „Refugees in Libya“
„Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
Die Linken-Abgeordnete Lea Reisner, früher selbst als Freiwillige in der Seenotrettung aktiv, sagte, die Bundesregierung wolle die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen ausbauen, „die auf zivile Rettungsschiffe und flüchtende Menschen schießen.“ Was als Beitrag zur europäischen Stabilität verkauft werde, sei „in Wahrheit Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit,“ so Reisner.
Auch in Rom hatte sich das Parlament am Mittwoch mit dem Thema befasst. Zur Debatte stand die turnusmäßige Verlängerung einer aus dem Jahr 2017 stammenden Vereinbarung mit Libyen zur Flüchtlingsabwehr. Getroffen hatte sie damals die sozialdemokratisch geführte Regierung unter Paolo Gentiloni. Am Dienstag beantragte aber ein Bündnis von Oppositionsparteien unter der PD-Chefin Elly Schlein, die Zusammenarbeit mit der LCG zu stoppen. Diese sei von Milizen durchsetzt, „die jeden Tag Menschen- und Grundrechte mit Füßen treten“, sagte Schlein.
Es gebe zahlreiche Zeugnisse über „Gräueltaten, Folter, Menschenhandel, Morde, Verletzungen der grundlegendsten Rechte, Schüsse gegen Migrantenboote,“ so Schlein. Doch am Mittwoch wies Rechtskoalition unter Ministerpräsidenten Giorgia Meloni den Antrag im Parlament ab. Es wird also weiter Schiffe, Geld, Training und Ausrüstung geben, damit die LCG Flüchtlinge auf dem Mittelmeer stoppt und zurückholt. Ziel sei der „Kampf gegen den Menschenhandel“, behauptete indes Meloni. Fast wortgleich begründete das auch Auswärtige Amt in Berlin, warum es die Möglichkeit geschaffen habe, sich am „Kapazitätsaufbau“ in Libyen zu beteiligen.
Seit Dienstag protestiert dagegen in Rom ein Bündnis um die Gruppe Refugees in Libya (RiL). Zu einer „Überlebenden-Bühne“ auf der Piazza Vidoni am Samstag bringt sie rund 50 Geflüchtete aus zehn Ländern in Europa und Nordamerika zusammen, die einst in den libyschen Folterlagern inhaftiert waren. „Wir werden nie vergessen, was uns dort angetan wurde“, sagt der aus Sudan stammende RiL-Gründer David Yambio. In den insgesamt drei Lagern, in denen er in den Jahren 2019 und 2020 interniert war, wurden bis zu 7.000 Menschen festgehalten.
„Man kann sich nicht hinlegen, es gibt kaum Wasser und Toiletten, bei 45 Grad schmilzt dein Körper förmlich.“ Das ganze System sei darauf ausgelegt, die Menschen zu terrorisieren, um Lösegeld zu erpressen oder sie für Zwangsarbeit weiterzuverkaufen, sagt Yambio. „Sie sagen, es ginge in den Kampf gegen Menschenhandel – dabei sind die Milizen in Libyen die größten Menschenhändler.“ Dass Italien und die EU Akteure unterstützen, die tief in dieses Geschäft verstrickt seien, dürfe nicht unwidersprochen bleiben. „Sie glauben, niemand zieht sie zur Rechenschaft.“ Das müsse enden. Niemand solle sagen können, er wisse nicht, was in Libyen geschieht, sagt Yambio.
„Stark von der Organisierten Kriminalität beeinflusst“
Der Kampagne gegen das Memorandum of Understanding mit Libyen angeschlossen hatte sich auch die in Italien einflussreiche Anti-Mafia-Bewegung. „Für uns ist klar, dass die Situation in Libyen stark von der Organisierten Kriminalität beeinflusst ist“, sagt Giorgio Sammito von der NGO Libera. Das Bündnis kämpft seit Jahren dafür, dass Vermögenswerte krimineller Netzwerke in gemeinnützige Projekte überführt werden.
Sammito sieht starke Parallelen zwischen dem Agieren der libyschen Milizen und der italienischen Mafia: „Infiltration des Staates, faktische Kontrolle über ein Territorium, Gewalt als Machtinstrument – das sind Ähnlichkeiten“, sagt Sammito. In Libyen sei kaum noch zwischen kriminellen Milizen und staatlichen Akteuren zu unterscheiden. Umso schlimmer sei, dass Italien und die EU solche Akteure weiter aufbauen.
Libera setzt sich seit Jahren für das Gedenken an die Opfer von Mafia-Morden ein. „Ich glaube, dass es da Berührungspunkte mit den Kämpfen der Flüchtlinge gibt“, sagt Sammito. „Bei uns geht es darum, die anonymen Toten sichtbar zu machen“, sagt er. Die toten Flüchtlinge erscheinten in der öffentlichen Wahrnehmug meist nur als namenlose Zahlen. „Das ist eine Form der Entmenschlichung. Man muss ihnen ihre Würde zurückgeben. Dabei wollen wir mithelfen.“
Am Freitag will das Protestbündnis deshalb eine Liste mit den bekannten Daten von rund 60.000 Menschen, die seit 1993 im Mittelmeer zu Tode kamen in der Innenstadt von Rom entrollen.
Im Anschluss will die Gruppe Refugees in Libya mit einem Tribunal an einen besonders schweren Völkerrechtsverstoß Italiens erinnern: Im vergangenen Januar war der libyschen General Osama Almasri Njeem bei einem Fusballspiel in Turin festgenommen worden. Unter Almasris Kommando standen mehrere Internierungslager in Libyen. Wegen schwerster Misshandlung der dort inhaftierten wird Almasri vom Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den Haag gesucht. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch die Meloni-Regierung lieferten Almasri nicht aus, sondern ließ ihn von der italienischen Luftwaffe nach Tripolis zurück fliegen.
„Niemand benennt die Verantwortlichen für dieses Unrecht“, sagt RiL-Sprecher David Yambio, der selbst in mindestens einem der Lager inhaftiert war, das Almasri befehligt hatte. „Also tun wir es.“
Am Samstag hatte die NGO „Ärzte für Menschenrechte“ (MEDU) mit Blick auf die Parlamentsdebatte Papst Leo in einen Bericht mit dem Titel „Die Folterfabrik“ übergeben. 3.000 Menschen, die zwischen 2014 und 2020 in den libyschen Intierungslagern schwerste Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, wurden für den Bericht befragt. „Nichts hat sich seitdem geändert“, sagte MEDU-Koordinator Alberto Barbieri. Auch Amnesty International und Human Rights Watch hatten die Zusammenarbeit scharf kritisiert.
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