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Herbst der Reformen und BürgergeldWie teuer Merz’ Sparpläne sind

Der Kanzler kündigt den Herbst der Reformen an und nimmt Bürgergeldberechtigte ins Visier. Ihnen sollen weniger Wohnkosten erstattet werden. Geht das?

In einem Wohnheim für Frauen und Kinder in Hannover: nach dem Ordnungsrecht müssen Kommunen dafür sorgen, dass jeder Mensch eine Unterkunft hat Foto: Henning Scheffen/imago

Bundeskanzler Friedrich Merz will sparen. Aber nicht da, wo Geld ist, also bei den Reichen, sondern bei denjenigen, die am Existenzminimum leben. In zwei Schritten soll das Bürgergeld reformiert werden. Neben härteren Sanktionen sollen die Jobcenter künftig weniger Wohnkosten für Bürgergeldberechtigte übernehmen. Geht das? Die taz hat sich bei den So­zi­al­rechts­an­wäl­t*in­nen Anne Naumburger und Rechtsanwalt Julian Hoelzel aus Berlin erkundigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Der Kanzler will Pauschalen für Wohnkosten einführen. Was gilt bisher?

Bisher erhalten Bürgergeldberechtigte Zuschüsse für Unterkunft und Heizung (KdU), die sich danach richten, was Behörden im Einzelfall für „angemessen“ betrachten. Dabei werden sowohl die Verfügbarkeit als auch die Preise von Wohnraum berücksichtigt. Das unterscheidet sich regional sehr stark: In Gera sind Wohnungen zum Beispiel viel günstiger als in Frankfurt am Main, die Zuschüsse also unterschiedlich hoch. Das will Merz ändern, indem er bundesweite Pauschalen einführen will.

Merz will auch die sogenannten Angemessenheitsgrenzen absenken. Was heißt das?

Unter Angemessenheitsgrenzen versteht man die Obergrenze der Kosten für Unterkunft und Heizung, die der Staat übernimmt. Bisher orientieren sich die Kommunen dabei an der Höhe der Mieten sowie dem verfügbaren Wohnraum in der Region.

Bürgergeld wird Che­f*in­nen­sa­che

Kein Dissens Sozialministerin Bärbel Bas hat die Streitpunkte der schwarz-roten Koalition bei der Reform des Bürgergelds relativiert. Man sei sich im Ziel „komplett einig“, dass mehr Menschen in Arbeit kommen und die Betroffenen dabei mitwirken müssten, sagte die SPD-Chefin in der Haushaltsdebatte im Bundestag. Es sei ihre Meinung und auch die von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): „Die, die nicht mitmachen, die müssen das auch merken. Und da stehe ich auch zu, da gibt es überhaupt keinen Dissens.“ Merz und sie hätten das Thema zur „Chef- und Chefinnensache gemacht“. Ein Gesetzentwurf zur Bürgergeldreform sei über den Sommer erarbeitet worden. Es sei richtig, nun zunächst untereinander einen Konsens zu finden, bevor man damit an die Öffentlichkeit gehe, sagte Bas. Konkreter wurde sie nicht.

Kosten Für die CDU forderte Generalsekretär Carsten Linnemann noch einmal tief greifende Reformen statt „Trippelschritte“. Auch er betonte aber, es gebe „keinen Dissens“ dabei, die Menschen in Arbeit zu bringen. Zugleich müsse Missbrauch bekämpft werden, bekräftigte der CDU-Abgeordnete. Debattiert wurde über den Entwurf des Bundeshaushalts 2026. Für den Sozialetat sind nächstes Jahr rund 197,4 Milliarden Euro eingeplant, gut sieben Milliarden Euro mehr als dieses Jahr. Die Ausgaben für das Bürgergeld sollen um etwa 1,5 Milliarden Euro sinken, unter anderem, weil neu ankommende Ukrainerinnen und Ukrainer künftig nur noch Asylbewerberleistungen bekommen sollen. Steigerungen gibt es hingegen bei den Rentenzuschüssen. An die Rentenversicherung soll der Bund im nächsten Jahr 127,8 Milliarden Euro überweisen, gut fünf Milliarden Euro mehr als 2025. (dpa)

Sind diese Vorschläge verfassungskonform?

Beim Festlegen der Angemessenheitsgrenzen verlangt das Bundesverfassungsgericht von den Kommunen, dass sie die soziale Wirklichkeit erfassen und den Anspruch „zeit- und realitätsgerecht“ bestimmen. Weil die Mieten real steigen, würde eine Absenkung der Angemessenheitsgrenzen dieser Vorgabe widersprechen. Und auch die Pauschalen würden die Sozialgerichte voraussichtlich kippen.

Merz will auch die sogenannte Karenzzeit abschaffen. Was ist das?

Wenn Menschen neu Bürgergeld erhalten und ihre Miete aus Behördensicht eigentlich zu hoch ist, müssen sie Dank der Karenzzeit-Regelung nicht sofort in eine günstigere Wohnung umziehen. Das soll zum einen das Grundbedürfnis nach Wohnen erfüllen. Zum anderen soll es dazu beitragen, dass die Leute sich auf die Suche nach einer neuen Arbeit konzentrieren können, statt dabei durch die parallele Wohnungssuche behindert zu werden. Die Berechtigten stehen so nicht vor dem Dilemma, die Differenz zwischen ihren tatsächlichen und den von den Behörden für angemessen erachteten Kosten alleine stemmen oder umziehen zu müssen. Zudem sind viele nur vorrübergehend arbeitslos, für wenige Monate umzuziehen, ist nicht sinnvoll. Die Karenzzeit soll auch die Verwaltung vereinfachen und die gerichtlichen Streitigkeiten verringern. Selbst wenn die Karenzzeit gestrichen würde, müsste der Staat die Kosten zunächst trotzdem tragen, zumindest für die ersten 6 Monate. Wirksame Einsparungen würde das also nicht bringen.

Eine Kleine Anfrage der Linken zeigt: 8,8 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften bekamen 2024 nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft erstattet und mussten Geld aus dem Regelsatz drauflegen – also Geld, das eigentlich für Essen und andere Dinge gedacht ist. Ist das rechtlich okay?

Im Bürgergeldgesetz (§ 1 SGB II) steht – im Sinne des Sozialstaatsprinzips: Das Bürgergeld soll helfen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Wenn aber ein beachtlicher Teil des Regelbedarfs für die Unterkunft eingesetzt werden muss, gefährdet das die Existenzsicherung. Geld an anderer Stelle einzusparen, ist angesichts des sowieso schon sehr niedrigen Regelsatzes nahezu unmöglich.

Was passiert, wenn Merz' Pläne umgesetzt werden?

Streitigkeiten vor Gericht würden drastisch zunehmen. Wenn die Lücke zwischen den tatsächlichen und den anerkannten Unterkunftskosten sich vergrößert, und Menschen diese nicht mehr durch Einsparungen aus dem Regelbedarf ausgleichen können, führt dies zwangsläufig zu Mietschulden. Diese übernimmt das Jobcenter allerdings nicht, wenn die Mieten nicht als angemessen angesehen werden. Findet sich nicht sofort eine alternative, also „angemessene“ Wohnung – was auf dem aktuellen Wohnungsmarkt unwahrscheinlich ist –, verlieren die Menschen ihre Wohnungen. Wohnungslosigkeit würde zunehmen.

Wie teuer wären Merz' Sparpläne?

Nach dem Ordnungsrecht sind Städte und Kommunen verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Mensch eine Unterkunft hat. Verlieren Menschen ihre Wohnung, müssen sie in Wohnheimen untergebracht werden. Das verursacht neue Kosten für die öffentliche Hand – und zwar weitaus höhere als die bisherigen: Pro Person liegt der Tagessatz in Berlin zum Beispiel bei 37 bis 38 Euro für ein Mehrbettzimmer. Bei Doppel- oder Einzelzimmern kann der Tagessatz auch bei über 50 Euro liegen. Da kommt schnell eine Summe zusammen, die Mieten übersteigt. Hinzu kommt: Die Plätze in Wohnheimen sind schon jetzt nahezu ausgeschöpft.

Außerdem entstehen durch Wohnungsverlust weitere Kosten: für Einlagerung, Umzugskosten, die ebenfalls vom Jobcenter getragen werden müssten. Weil Einlagerungen meist nur eine bestimmte Zeit lang übernommen werden, muss dann Mobiliar entsorgt werden, was bedeutet: Beim späteren Neubezug einer Wohnung entstehen wiederum Kosten für die Erstausstattung, die die Jobcenter übernehmen müssen.

Welche Maßnahmen wären rechtlich machbar?

Merz' Pläne ändern nichts am wachsenden Problem, dass immer weniger Wohnraum zu angemessenen Preisen verfügbar ist. Rechtlich möglich und sinnvoll wären Maßnahmen, die das weitere Steigen von Mieten begrenzen, etwa eine Mietpreisbremse und sozialer Wohnungsbau.

Wären mehr Sozialwohnungen eine Lösung?

Das allein reicht nicht. Um eine Sozialwohnung zu erhalten, müssen Menschen die Voraussetzungen für einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) erfüllen. Das zu überprüfen bedeutet einen hohen Verwaltungsaufwand. Trotzdem kann dieser eine Fehlbelegung nicht verhindern: Der WBS muss in der Regel nur zu Beginn des Mietvertrags vorgelegt werden, doch die Bedürftigkeit von Menschen verändert sich im Laufe der Zeit. Dieses System ermöglicht langfristig keine bedarfsgerechte Förderung. Es sollte dringend hinterfragt werden, warum Wohnraum allein nach individuellen Kriterien, statt gesamtgesellschaftlichen gefördert wird.

Ein weiteres Problem an Sozialwohnungen ist, dass nach einer Weile die Preisbindung entfällt. Dann fallen die Wohnungen dann doch wieder in den regulären Wohnungsmarkt, werden also teurer. So werden die Bedürfnisse von Mietenden nicht erfüllt. Diese bestehen nicht nur darin, ein Dach über dem Kopf zu haben, sondern auch darin, langfristig in einer Wohnung bleiben zu können, statt faktisch durch sogenannte Markteffekte verdrängt zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die existentielle und personale Bedeutung der Wohnung für das Leben der Einzelnen schon mehrfach als „Ausfluss der Eigentumsfreiheit“ herausgestellt. Und auch in der Rechtswissenschaft wurde schon mehrfach betont: Wohnen ist ein Persönlichkeitsrecht. Der Staat sollte es erfüllen.

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