Prozesswelle gegen Antifas: „Ein klarer Versuch der Einschüchterung“
Die linke Szene kritisiert die fünfjährige Haftstrafe für die Antifaschistin Hanna S. scharf. In Kürze starten bereits zwei weitere Prozesse.

Auch die Rote Hilfe, die linke Beschuldigte unterstützt, sprach von einem „politisch motivierten Verfahren“ und einem „Gesinnungsurteil“. Einen handfesten Beweis gegen Hanna S. habe es nicht gegeben. Es gehe darum, „ein Exempel zu statuieren“. Das Urteil gegen Hanna S. sei ein „neuer Höhepunkt der staatlichen Großoffensive auf Antifaschist*innen“. Parallel zur Urteilsverkündung hatten Linke vor dem Gericht protestiert. Am Samstag soll eine Antifa-Demonstration in Nürnberg folgen.
Auch der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan, der zum Urteil angereist war, sprach von einem „rechtspolitischen Exempel an Hanna S., das abschrecken soll“. Das Urteil sei „Ausdruck der voranschreitenden Kriminalisierung von Antifaschistinnen“. Schirdewan kritisierte auch den Vorwurf der kriminellen Vereinigung: Dieser gelte eigentlich organisierter Kriminalität wie der Mafia. „Der deutsche Rechtsstaat muss Maß halten in der Anwendung dieses Straftatbestandes gegenüber politischen Gruppierungen.“
Das Oberlandesgericht hatte Hanna S. am Freitag wegen gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt, weil sie mit anderen deutschen Linken an zwei Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest im Februar 2023 beteiligt gewesen sei. Neonazis aus Europa versammeln sich dort alljährlich zu einem „Tag der Ehre“, auf dem die SS und Wehrmacht verherrlicht werden. Bei den Angriffen wurden auch Schlagstöcke eingesetzt und die Rechtsextremen teils schwer verletzt.
Die Bundesanwaltschaft hatte Hanna S. deshalb sogar versuchten Mord vorgeworfen und neun Jahre Haft gefordert. Den Vorwurf des versuchten Mordes sah das Oberlandesgericht nicht. Die Verteidiger von Hanna S. hatten dagegen einen Freispruch gefordert – da nicht nachgewiesen sei, dass Hanna S. wirklich an den Angriffen beteiligt war.
Wegweisendes Urteil für zwei weitere Prozesse
Das Urteil ist wegweisend auch für zwei weitere Prozesse gegen Antifaschist*innen, die demnächst starten. So plant das Oberlandesgericht Dresden nach taz-Informationen, am 4. November einen Prozess gegen sieben Linke zu beginnen, in einem Hochsicherheitssaal am Stadtrand. Ihnen wird ebenfalls vorgeworfen, an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen zu sein oder diese unterstützt zu haben. Geplant sind Verhandlungstermine bis ins Jahr 2027.
Eine Gerichtssprecherin sagte der taz, ein finaler Eröffnungsbeschluss für den Prozess liege noch nicht vor. Sie gehe aber davon aus, dass „das Verfahren wohl in der ersten Novemberwoche beginnt“.
Hauptbeschuldigter in Dresden ist der Leipziger Johann G. Seine frühere Lebensgefährtin Lina E. wurde bereits 2023 vor dem Oberlandesgericht Dresden zu gut fünf Jahren Haft verurteilt, die sie momentan absitzt. Auch drei weitere Beschuldigte wurden damals verurteilt. Der Gruppe wurden mehrere schwere Angriffe auf Rechtsextreme in Sachsen und Thüringen zwischen 2018 und 2020 vorgeworfen, auch hier mit Schlagstöcken und teils schweren Verletzungen der Angegriffenen.
Die nun Angeklagten sollen ebenfalls zur Gruppe um Lina E. gehört haben. Johann G. war damals noch flüchtig, er wurde erst nach 4 Jahren Abtauchen im November 2024 von Zielfahndern in einer Regionalbahn in Thüringen festgenommen. Dem 31-Jährigen wird vorgeworfen, die Gruppe mit angeführt und die Angriffe geplant zu haben. Auch nach 2020 soll er noch bei Attacken in Dortmund und Erfurt involviert gewesen sein. Zudem soll sich Johann G., ebenso wie zwei weitere Angeklagte in Dresden, auch bei den Angriffen in Budapest beteiligt haben. Den Dreien wird deshalb auch versuchter Mord vorgeworfen.
Die Verteidiger*innen hatten die Übernahme des Falls durch die Bundesanwaltschaft zuletzt als überzogen kritisiert. Es sei „höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann“, teilten sie mit. Nach taz-Informationen forderten inzwischen mehrere Verteidiger*innen, die Verfahren ihrer Mandanten abzutrennen und deren Prozesse vor einem Landgericht zu eröffnen. Entschieden wurde darüber noch nicht.
Vorwurf versuchter Mord
Ebenfalls noch dieses Jahr soll ein Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf starten, gegen sechs weitere Antifaschist*innen, denen die Angriffe in Budapest vorgeworfen werden. Sie waren zunächst abgetaucht, hatten sich dann aber zu Jahresbeginn der Polizei gestellt und sitzen seitdem in Haft. Auch hier lautet der Vorwurf der Bundesanwaltschaft auf versuchten Mord, auch hier kritisieren Verteidiger*innen das als überzogen.
Ein siebter Beschuldigter, der Nürnberger Zaid A., hatte sich ebenfalls im Januar gestellt. Er ist nicht in Düsseldorf angeklagt, weil sich die Bundesanwaltschaft für ihn als Syrer nicht zuständig sieht. Dem 21-Jährigen droht deshalb weiterhin die Auslieferung nach Ungarn.
Zudem läuft in Budapest weiter der Prozess gegen Maja T. Der nonbinären Thüringer*in wird ebenfalls vorgeworfen, an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen zu sein. T. war im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert worden – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte.
Maja T. nackt gefesselt
Am Freitag wurde auch gegen Maja T. in Budapest verhandelt. Laut Prozessteilnehmenden wurden Überwachungsvideos aus Budapest begutachtet und eine angegriffene Rechtsextremistin als Zeugen angehört. In der Beweisnahme ist bis heute nicht geklärt, ob Maja T. tatsächlich an den Angriffen beteiligt war. Das Gericht hatte ursprünglich für Anfang Oktober ein Urteil gegen Maja T. geplant. Im Prozess sollen nun aber noch weitere Zeugen gehört werden, weshalb sich das Prozessende verzögert. T. drohen bis zu 24 Jahre Haft.
Maja T. selbst war zuletzt in einen Hungerstreik getreten, mit der Forderung nach einem Ende der Isolationshaft in Ungarn und einer Rückholung nach Deutschland – beides bisher erfolglos. Wolfram Jarosch, Vater von Maja T., beklagte am Freitag, dass sein Kind zuletzt in der Haft von Gefängnispersonal gefesselt und nackt ausgezogen wurde – nachdem T. eine Intimkontrolle verweigert hatte. Die Prozedur habe drei Stunden angedauert und es sei ein Disziplinarverfahren gegen Maja T. eingeleitet worden. „Das Vorgehen der ungarischen Behörden, Maja gewaltsam zu fesseln und zu entkleiden, widerspricht jeglicher Menschenwürde und internationalen Standards“, kritisierte Jarosch.
Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte zuletzt erklärt, das Auswärtige Amt setze sich für bessere Haftbedingungen und eine Rückholung von Maja T. nach Deutschland ein. Bei einem Haftbesuch der taz sagte Maja T. dazu: „Davon merke ich bisher leider nichts.“
Der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg sagte der taz, angesichts der Verurteilung von Hanna S. zu fünf Jahren Haft zeigten die bis zu 24 Jahre, die Maja T. in Ungarn drohten, wie „völlig überzogen“ die Strafandrohung dort sei. „Unabhängig davon hätte Maja T. nie durch deutsche Behörden an Ungarn ausgeliefert werden dürfen“, kritisierte Limburg. „Deutschland muss alles dafür tun, dass Maja T. schnellstmöglich rücküberstellt wird.“
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