Antisemitismusvorwürfe in Fürth: Da bröckelt etwas
Israelis seien unerwünscht, schrieb ein Pizzabäcker im fränkischen Fürth in einem Aushang. Wie bitte?

Die Presse, die Pizza Zulu seit Mittwoch bekommt, ist anders. Die dpa berichtete zuerst über den antisemitischen Aushang, Nürnberger Nachrichten, BR, Zeit, „Tagesschau“, aber auch israelische Medien folgten. Die israelische Botschaft schrieb bei X: „Die 30er-Jahre sind zurück.“ Die israelitische Kultusgemeinde Fürth hat Anzeige wegen Volksverhetzung und Diskriminierung einer Volksgruppe gestellt.
Nach zwei Stunden hat der Pizzabäcker den Aushang wieder entfernt. Der Text beginnt harmlos: „Liebe Kunden, wir lieben alle Menschen.“ Kinder auf dieser Welt sollten unter keinen Umständen angetastet werden, heißt es weiter. Man sei ein internationales Team und Teil der Zivilgesellschaft. Und deshalb wolle man nicht länger tatenlos zusehen, sondern protestieren. Der Kern der Botschaft ist in der Mitte des Textes versteckt: „Israelische Bürger sind in diesem Lokal nicht willkommen. Natürlich werden sie wieder willkommen sein, sobald sie sich entscheiden, ihre Augen, Ohren und Herzen zu öffnen.“
Öffentlich platziert, für alle gut lesbar, erinnert der Aushang an die Boykottaufrufe der Nazis. Vor gut einer Woche ging bereits der Fall eines Ladens in Flensburg durch die Medien, der Juden pauschal Hausverbot erteilt hatte. Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle machte noch den Fall eines Musikalienhandels öffentlich: Der hatte von einem israelischen Orchester eine Bewertung der Lage im Gazastreifen verlangt. Ein ohnehin nur fadenscheiniges Tabu in Deutschland, es bröckelt.
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Fürth wurde lange „fränkisches Jerusalem“ genannt
In Franken schlägt eine solche Nachricht mit besonderer Wucht ein. Im mit Fürth verwachsenen Nürnberg fanden die Reichsparteitage statt, Fürth selbst ist dagegen stolz auf seine jüdische Tradition, lange trug es den Beinamen „fränkisches Jerusalem“. Dass die Stadt Jüd:innen aber als Zuflucht gedient habe, wie mancher hier behauptet, sei ein Klischee, sagt Daniela Eisenstein, seit 2003 Leiterin des Jüdischen Museums, das sich von der Pizzeria nur einen Steinwurf entfernt befindet.
„Natürlich haben wir dort alle schon gegessen.“ Jetzt habe sie auf die Pizza aus der Nachbarschaft keine Lust mehr. „Ich habe aber überlegt, ob wir den Wirt einladen sollten. Wir bieten hier auch Antisemitismusworkshops an.“ Eisenstein, dezenter amerikanischer Akzent, wirkt nicht zornig oder aufgebracht. Es sei der erste Fall dieser Art in Fürth, er zeige aber beispielhaft, wie Antisemitismus funktioniere: „Warum gab es keinen Aushang, als Russland die Ukraine angegriffen hat? Warum immer Israelis?“
Von der Stele vor der Museumstür, auf der für eine Ausstellung mit dem Titel „Shitstorm“ geworben wird, kann man den Ort sehen, der zur Stunde selbst von einem solchen getroffen wird. Die Pizzeria ist in einem alten Haus aus Sandsteinquadern untergebracht, der Chef selbst mit Bart und Glatze fungiert als Logo über dem Eingang. Ab 17 Uhr geöffnet und von außen alles ganz ruhig, keine Demos, keine Fahnen, keine streitenden Menschengruppen.
Nur zwei ergraute Herren in Lederjacken, einer stämmig, Thomas Kraus, einer schmal, Martin Lehmeyer, stehen vor dem Restaurant. Sie stellen sich als Vertreter der Evangelischen Allianz vor, eines Dachverbands evangelikaler Christen. „Wir sind entsetzt“, sagt Kraus. „Wir gehen jetzt zu ihm rein und sagen, was er da gemacht hat, geht gar nicht.“ Kraus ist sehr emotional. Er hat eine App auf dem Handy, die ihn in mancher Nacht weckt: wenn es Raketenalarm in Israel gibt. Auch für die Bewohner des Gazastreifens würden sie beten, sagt Lehmeyer, da gebe es ja auch viele Christen.
Wie ein Kind, das einen Apfel geklaut hat
Während im Gastraum die ersten Familien ihre Pizzen bestellen, empfängt Gastwirt Gaspare Squitieri im verrauchten Büro, die Vorhänge sind zugezogen. Er sitzt vor zwei Bildschirmen, auf dem einen ist sein Mail-Postfach geöffnet. Lauter Hassnachrichten seien das. Der Reporter und die Evangelikalen in seinem Anhang müssen nichts sagen, er wisse ja, warum sie in seinem Büro stehen. Der Wirt wirkt geknickt. Heute Nacht habe er nur eine Minute geschlafen. „Mit 50 Jahren sitze ich hier vor euch wie ein kleines Kind, das einen Apfel geklaut hat. Ich wollte das nicht.“
Aber was wollte er? Er habe es nicht mehr ertragen, sagt Squitieri, die Bilder der hungernden Kinder in Gaza, das Wegschauen in Europa. Er habe die Menschen bewegen wollen, sich einzusetzen, eine Diskussion entfachen. „Das war unser Ziel. Dass wir das total verkehrt gemacht haben, ist mir klar. Komplett dumm formuliert. Ziel komplett verfehlt.“
Für 15 Minuten wird das Büro des Pizzabäckers zur Modellfläche eines deutschen, reichlich konfusen Nahostdiskurses. Ihm gehe es doch nicht um Israel, sagt Squitieri, aber israelisch, das habe er doch schreiben müssen, weil der Krieg nicht in Marokko passiere. Ob er denn sehe, will der evangelikale Lohmeyer wissen, wie viele Israelis gegen Netanjahu auf die Straße gegangen seien? „Ich sehe das. Aber wir müssen doch hier bei uns etwas bewegen.“ Warum er sein Wort dann nicht gegen die deutschen Bürger und ihre Regierung richte, die diesen Krieg unterstützen, kann er nicht erklären. „Ich habe das auf die dümmste Art der Welt versucht.“
Nur das Argument Russland möchte er bei aller Demut nicht gelten lassen: „Für die Ukraine hat sich sofort die ganze Welt bewegt.“ Palästina aber sei eine andere Welt, Hilfe komme nicht an. „Was können wir da tun? Also drehen wir uns um.“ Eigentlich, und das ist nach seinem Aushang schwer zu glauben, sei es sein Wunsch, „Palästinenser und Israelis an einen Tisch“ zu bringen. „Schauen Sie, mein Plan war einfach: Ich bewege mich und mache ein bisschen Chaos. Dieses Riesenchaos habe ich nie erwartet.“ Er sei naiv gewesen, sagt Squitieri, und selbst wenn das stimmen sollte, klingt es nun wie eine Schutzbehauptung.
Das jüdische Museum als Ort des Diskurses
Gaspare Squitieri hat noch einige Aufräumarbeiten vor sich. Die Google-Rezensionen sehen nicht gut aus. Den ganzen Tag bekomme er Anrufe, manche legten auf, andere hinterließen Morddrohungen. Die Reservierungssoftware sei lahmgelegt. Dass der Shitstorm geschäftsbedrohlich werden kann, ist fraglich. Schwerer wiegt wohl Squitieris Angst vor juristischen Konsequenzen. In einem vorbereiteten schriftlichen Statement kündigt der Wirt an, sich mit Vertreter:innen der jüdischen Gemeinde in Verbindung zu setzen, er wolle zuhören.
Daniela Eisensteins Angebot für den Antisemitismusworkshop jedenfalls steht.
Sie will ihr Museum auch als Ort verstanden wissen, an dem Diskurse ausgetragen werden. Der Nahostkonflikt soll hier im Rahmen einer Fotoausstellung über Israel nach dem 7. Oktober diskutiert werden, die in Kürze eröffnet wird. „Wir müssen wieder lernen zu streiten. Aber der Nahostkonflikt ist etwas sehr Komplexes. Das kann man nicht mit einem Aushang lösen.“
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