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Netanjahu bei den Vereinten NationenWutrede vor leeren Rängen

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu beschwört Israels militärische Macht – und beschimpft alle Staaten, die Palästina offiziell anerkannt haben.

Benjamin Netanjahu bei seiner Rede in der UN-Vollversammling am Freitag Foto: Peter Foley/imago

Berlin taz | Es waren ziemlich leere Ränge, vor denen der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Rede bei der diesjährigen UN-Vollversammlung hielt. Zahlreiche Delegationen betraten erst den Saal, um ihn dann unmittelbar und demonstrativ wieder zu verlassen. Wer blieb, das waren unter anderem die US-Delegation, die Netanjahu in seinem Kampf gegen die Hamas unterstützt, und Großbritannien. Doch auch sie entsendeten nicht ihre ranghöchsten Vertreter oder ihre UN-Botschafter, sondern überwiegend rangniedrigere Diplomaten.

Israel steht weltweit immer isolierter da. Netanjahus Rede dürfte diese Bewegung kaum umkehren. Das kleine Land Israel gegen den Rest der Welt – das war die Botschaft, die er vermittelte. Teilen der UN-Generalversammlung warf er mangelnde Unterstützung vor. Zwar hätten viele Staats- und Regierungschefs sein Land nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel unterstützt.

„Aber diese Unterstützung verflüchtigte sich schnell, als Israel das tat, was jede Nation mit Selbstachtung nach einem solch brutalen Angriff tun würde: Wir haben dagegen gekämpft.“

Passend dazu zog Netanjahu, wie schon so oft, wenn er vor der UN-Vollversammlung spricht, eine Karte hervor. Die Überschrift: „Der Fluch“. Darunter abgebildet die Proxies des Iran: Die Hamas in Gaza, die Hisbollah im Libanon, die Houthis im Jemen. Einer nach dem anderen hakt er die Akteure ab: „Erledigt“, sagt Netanjahu: „Erledigt und auch erledigt.“

Lautsprecher im Gazastreifen

Seine Rede war ein Versuch, Macht zu demonstrieren und klarzustellen: Israel hat keine Angst vor Isolation. Doch längst nicht alle Israelis sind da mit ihm einer Meinung. Gerade erst hatte er in Israel mit einer Aussage für Furore gesorgt: Israel, hatte Netanjahu gesagt, müsse angesichts seiner Isolation zu einem „Super-Sparta“ werden, wirtschaftlich unabhängig von allen, stark, aller Isolation zum Trotz. Unter Israelis sorgte er damit für heftige Kritik, Netanjahu ruderte zurück, veröffentlichte mehrere Klarstellungen.

Nach innen versuchte Netanjahu mit der Rede, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen – oder, wie Kri­ti­ke­r*in­nen sagen, Wahlkampf zu betreiben. Demonstrativ trug er einen QR-Code am Revers, in der Mitte die gelbe Schleife, das Symbol für den Kampf um das Leben der israelischen Geiseln. Der QR-Code führte zu Videos über die Taten der Hamas am 7. Oktober. Doch auf viele Familien von Geiseln wirkte dies vielmehr wie eine billige Inszenierung, für die er die Geiseln instrumentalisierte.

Ähnlich wurde Netanjahus Anordnung aufgenommen, vor der Rede Lautsprecher in Gaza aufzustellen, um die Geiseln direkt anzusprechen. Laut dem Büro des Premiers seien diese nur entlang der Grenze aufgestellt worden, doch das israelische Militär erklärte, sie seien auch innerhalb des Gazastreifens aufgestellt worden. Laut einem früheren Bericht des israelischen Fernsehsenders Channel 12 hatte sich die Armee ursprünglich gegen den Befehl ausgesprochen, da er das Leben von Soldaten riskierte.

In der Mitte der Rede richtete Netanjahu dann das Wort an die Geiseln direkt. Auf Hebräisch sagte er: „Wir haben euch nicht vergessen“, sagt er, „nicht eine Sekunde.“

Netanjahu: Palästinensischer Staat wäre „purer Wahnsinn“

Ob er mit diesem Schritt tatsächlich Vertrauen zurückgewinnen wird, ist fraglich. Geiselangehörige werfen ihm Propaganda auf dem Rücken ihrer Liebsten vor. Seit fast zwei Jahren protestieren sie, wie Tausende Israelis, und fordern von Netanjahu den Krieg in Gaza zu beenden, um die Geiseln zu befreien. Stattdessen aber, so der Vorwurf, führe er den Krieg weiter, um sich an der Macht zu halten.

Die Mutter einer Geisel, Einav Zangauker, kritisierte den Premier scharf dafür, dass er ihren Sohn als politisches Mittel benutze. „Das ist das letzte Mal, dass Sie Matans Namen erwähnen“, warnte sie. „Er sagte Matan, dass er ihn nicht vergessen habe, aber er erwähnte nicht, dass er seinen Tod durch einen Luftangriff angeordnet hat.“ Noch lebt Matan, offiziellen Angaben zufolge, so wie rund 20 weitere Geiseln, die neben bereits getöteten Geiseln noch im Gazastreifen festgehalten werden.

Nachdem in der vergangenen Woche zahlreiche Länder einen palästinensischen Staat anerkannt haben, erklärte Netanjahu ein weiteres Mal der Gründung eines palästinensischen Staates eine Absage. Sie wäre „purer Wahnsinn“. Dies nach dem 7. Oktober zu tun, sei so, als würde man Al-Kaida nach dem 11. September einen Staat in der Nähe von New York City geben, sagt er vor der UN-Vollversammlung. „Wir werden das nicht tun.“ Israel werde nicht zulassen, dass westliche Staaten ihm einen „Terrorstaat“ aufzwängen.

In Richtung Syrien und Libanon hingegen richtete er etwas anders gelagerte Worte. Ein Abkommen mit Syrien sei erreichbar, sagt er vor der UN-Vollversammlung. Den Libanon rief er zu direkten Verhandlungen auf. Ein Sieg über die Hamas werde den Frieden mit Nationen in der gesamten arabischen und muslimischen Welt ermöglichen. Auch ein friedliches Zusammenleben mit der Bevölkerung des Iran sei möglich.

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