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Während Rettungsaktion der NGO Sea-WatchLibysche Küstenwache gibt Schuss ab

Die Sea-Watch 5 hatte Freitagnacht gerade 66 Menschen aus dem Mittelmeer geborgen. An Bord war auch taz-Redakteur Fabian Schroer. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Rettungsschiff unter Beschuss gerät.

Die Besatzung der Sea-Watch 5 hilft einer Gruppe Geflüchteter während einer Rettungsaktion im Mittelmeer vor Libyen am 11. August Foto: Louisa Gouliamaki/reuters

In der Nacht auf Freitag hat ein Schiff der libyschen Küstenwache (LCG) während einer Rettungsaktion der NGO Sea-Watch im zentralen Mittelmeer interveniert und dabei einen Schuss abgegeben. Der Vorfall ereignete sich, als die Crew der Sea-Watch 5 66 Menschen in internationalen Gewässern, etwa 100 Kilometer südlich von Malta, aus Seenot gerettet hatte. An Bord war unter anderem taz-Redakteur Fabian Schroer.

„Wir sind schockiert, dass mit einem so aggressiven Vorgehen gegen die Sea-Watch 5 auch unser taz-Kollege in Gefahr geraten ist“, sagt taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann. „Der Vorfall zeigt, dass wo Seenotrettung mit militärischen Mitteln bekämpft wird, zusammen mit den Menschenrechten auch die Pressefreiheit missachtet wird.“ Die taz verlange, dass deutsche und europäische Behörden Libyen zur Aufklärung dieses Vorfalls drängen und sich die Sicherheit der Sea-Watch 5 garantieren lassen.

Berichte über Gewalt gegen NGO-Rettungsschiffe, teils auch unter Einsatz scharfer Munition durch die LCG gibt es seit 2017. Die NGO Sea-Watch zählt seit 2016 mindestens 32 „gewaltvolle Vorkommnisse gegen NGO Schiffe“.

Erst am 25. August hatte die Crew des Rettungsschiffs Ocean Viking der NGO Sos Mediterannee gemeldet, 20 Minuten lang „mit Dauerfeuer“ von der LCG beschossen worden zu sein. Die Ocean Viking befand sich gerade mit 87 aus Seenot geretteten Menschen auf dem Weg nach Italien. Das Schiff wurde schwer beschädigt. Mittlerweile ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft in der Sache.

Die LCG wurde ab 2016 vor allem auf Betreiben Italiens in dem Bürgerkriegsland aufgebaut. Seither bekommt sie aus Europa Geld, Training, Schiffe sowie Unterstützung bei der Luftraumüberwachung.

Erst am vergangenen Montag hatten 42 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Amnesty International, die EU-Kommission in einem offenen Brief aufgefordert, die Unterstützung für die LCG einzustellen. „Menschenleben dürfen nicht im Namen des Grenzschutzes missachtet werden“, heißt es darin. Die Unterzeichner verweisen auf eine lange Liste von Gewalttaten, die bei der Aufbringung von Booten in Seenot durch die libysche Küstenwache begangen wurden. Sie werfen libyschen Beamten vor, eine „Kultur der Straflosigkeit für Gewalt“ zuzulassen.

Die EU-Kommission bekräftigte indes ihr Engagement für Libyen. „Das haben wir bisher getan und werden es auch weiterhin auf verschiedenen Ebenen tun, und das ist derzeit unsere Politik“, sagte Sprecher Guillaume Mercier zu dem Schreiben.

UN betrachtet Libyen für Geflüchtete als „nicht sicher“

Die LCG ist zu einem wichtigen Akteur der europäischen Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer geworden.

Seit 2017 stoppt sie mit sogenannten Interceptions Flüchtlingsboote und bringt die Insassen gegen ihren Willen zurück nach Libyen. Im vergangenen Jahr betraf dies nach Angaben der UN-Migrationsorganisation IOM rund 21.800 Menschen, in diesem Jahr bisher 16.200. Dabei übermitteln sowohl die EU-Grenzschutzagentur Frontex als auch maltesische und italienische Behörden der LCG die Koordinaten von Flüchtlingsbooten.

Zweitens rufen die Rettungsleitstellen von Italien und Malta bei Notrufen in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen immer öfter die LCG, um Schiffbrüchige aufzunehmen und nach Libyen zu bringen, statt nach Europa.

Drittens interveniert die LCG bei Rettungsaktionen durch europäische NGO-Schiffe und versucht offensichtlich, diese zu vertreiben – so wie in der Nacht zu Freitag.

Die UN hat explizit erklärt, dass sie Libyen für Geflüchtete als „nicht sicher“ betrachtet.

NGOs, darunter Amnesty International, weisen seit Jahren auf mafiöse, auch personelle Verbindungen zwischen der LCG und kriminellen Banden hin, die in das Geschäft mit Kidnapping, Erpressung und Schlepperei in Libyen verstrickt sind.

Die EU-Kommission behauptet indes, ihre Unterstützung der LCG führe zu „mehr Rettungen auf See“. Konkrete Angaben, welchen Umfang die Unterstützung für die LCG hat, macht sie nicht.

Deutschland sieht libysche Küstenwache mittlerweile kritisch

Über den EU-Nothilfefonds für Afrika (EUTF for Africa) flossen bis 2021 rund 465 Millionen Euro für migrationsbezogene Maßnahmen nach Libyen. Seit 2021 stehen im EU-Programm „Globales Europa“ 65 Millionen Euro für „Schutz und Grenzverwaltung“ in Libyen bereit. Unklar ist, wie viel davon an die LCG fließt. Sicher ist, dass die LCG seit 2018 bewaffnete Patrouillenboote von Italien bekommen hat – und diese auch bei den Attacken auf Rettungsschiffe benutzt wurden.

Seit 2016 gehören Ausbildung und „Kapazitätsaufbau“ der LCG zu den Aufgaben zweier militärischer Operation der EU: bis 2020 der Operation „Sophia“ und dann der Nachfolgerin „Irini“. An beiden ist bzw. war die Bundeswehr beteiligt. „Sophia“ sollte vor allem Schlepper bekämpfen, Irini das Waffenembargo gegen Libyen überwachen.

Deutschland sieht die LCG allerdings mittlerweile kritisch. Die Ampel hatte der Bundeswehr untersagt, sich im Rahmen der Irini-Mission an der Ausbildung der LCG zu beteiligen. 2024 sagte eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes dazu, man sehe die LCG „nicht als Akteur, mit dem eine Zusammenarbeit möglich ist, aufgrund der relativ gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen.“ Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, man wolle „signalisieren, dass wir dieses inakzeptable Verhalten der libyschen Küstenwache nicht unterstützen“.

Kern der EU-Kooperation mit Libyen ist vor allem ein seit 2017 laufendes „Memorandum of Understanding“ zwischen Italien und der Regierung in Tripolis. Die italienische Regierung will das im November regulär auslaufende Memorandum verlängern, ein Bündnis um die Gruppe „Refugees in Libya“ will das mit Protesten in den kommenden Wochen verhindern.

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2 Kommentare

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  • Die Berichte häufen sich nun, dass die Libysche Küstenwache auf Schiffe und Boote schießt, dass Bootspassagiere ins Meer geworfen werden, dass ständig pure Gewalt angewendet wird.



    Das ist eine Bande von Kriminellen, die wahrscheinlich keine Skrupel haben auf irgendwelche Leute zu schießen: Journalisten, Politiker, Europäer, egal.



    Ich gehe davon aus, dass in der IOM noch einiges über die Verhaltensweisen der "LK" und über Vorkommnisse auf dem Meer bekannt ist. Sie führen praktisch Krieg.



    Ich kann nur fordern: Andere Wege, Schluss mit diesen Grausamkeiten!

  • Wenn sich ein Taz-Reporter an Bord eines Schiffes der Flüchtlingsretter begibt, tut er das auf eigene Gefahr. Es hat ihn niemand daran gehindert, auch nicht die libysche Küstenwache. Also die Pressefreiheit ist hier nicht in Gefahr. Wenn das Schiff durch die Aktivitäten der NGOs gefährdet wird, muss er dieses Risiko vorher kalkulieren. Er wäre nicht der erste Reporter, der bei der Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten zu Schaden käme.



    "Deutschland sieht libysche Küstenwache mittlerweile kritisch." Alle zitierten Äußerungen stammen aus der Zeit der "Ampel"-BR. Inzwischen ist aber eine andere Regierung mit anderer Agenda da. Insofern ist die zitierte allgemeine Behauptung falsch und gibt nicht den aktuellen Stand wieder.



    Wo hört eigentlich Lebensrettung auf und fängt Schlepperei an? Wenn Menschen in "internationalen Gewässern", aber vor der libyschen Küste aufgenommen werden, woher sie offensichtlich kommen, ist der Weitertransport nach Europa jetzt was...? Wenn Flüchtlinge auf das Mittelmeer geschickt werden, weil die Schlepper oder andere Akteure dann die Rettungsschiffe rufen können und die auch kommen, ist das mutmaßlichBeihilfe zur Schlepperei, also Menschenschmuggel.